Das deutliche Nein der Dänen bei der Volksabstimmung am vergangenen Donnerstag ist eine Absage an eine engere europäische Zusammenarbeit, mit der Dänemark zurück in die Rolle des Sonderlings fällt, meint Tobias Etzold.
Kurz gesagt, 07.12.2015 Research AreasDas deutliche Nein der Dänen bei der Volksabstimmung am vergangenen Donnerstag ist eine Absage an eine engere europäische Zusammenarbeit, mit der Dänemark zurück in die Rolle des Sonderlings fällt, meint Tobias Etzold.
Am 3. Dezember hielt Dänemark ein von der Regierung und weiteren Fraktionen initiiertes Referendum über die Umwandlung seines Vorbehalts in der europäischen Innen- und Justizpolitik in ein »Opt-In«-Modell ab, das es dem Land erlauben würde, einzelne EU-Rechtsakte in diesem Politikfeld hinzu- oder abzuwählen. Im dänischen Fall standen zunächst 22 der insgesamt 32 relevanten EU-Verordnungen zur Abstimmung, darunter die Europol-Verordnung, Bestimmungen zum grenzüberschreitenden Handel, zur Cyberkriminalität und zum Erb- und Sorgerecht. Bei einer Beteiligung von 72 Prozent sprach sich eine klare Mehrheit von 53,6 Prozent der Wähler gegen das »Opt-In«-Modell aus. Damit bleibt der Vorbehalt bestehen, der dazu führt, dass Dänemark sich zukünftig wohl nicht mehr an der europäischen Polizeikooperation Europol wird beteiligen können. Diese wird seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 2009 schrittweise von der intergouvernementalen Zusammenarbeit auf die supranationale Ebene überführt. Das bilaterale Parallelabkommen, über das Dänemark bislang mit Europol kooperiert, läuft 2016 aus, eine Erneuerung wird aufgrund des neuen supranationalen Charakters Europols schwierig. Viele Politiker fürchten damit erhebliche Nachteile für Dänemark bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Niederlage für Løkke Rasmussen
Für die Minderheitsregierung der konservativ-liberalen Venstre von Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen sowie die Sozialdemokraten und drei weitere kleine Fraktionen, die das Referendum unterstützt hatten, ist das Nein eine herbe Niederlage. Rasmussen hatte trotz des Drucks der seine Regierung tolerierenden rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei nach den Parlamentswahlen an der ursprünglich sozialdemokratischen Referendumsinitiative festgehalten. Bis vor kurzem galt ein Ja für die Abschaffung des Vorbehalts in der Justiz- und Innenpolitik wegen des großen Interesses an einer Beteiligung an Europol als sehr wahrscheinlich. Die hohe Zahl von Flüchtlingen, mit der Europa zurzeit konfrontiert ist, verursachte aber offenbar einen Stimmungsumschwung. Dabei war die europäische Asyl- und Migrationspolitik noch nicht einmal Gegenstand des Referendums. Die Gegner eines »Opt-ins« fürchteten jedoch, dass der entsprechende Vorbehalt in naher Zukunft ebenfalls aufgehoben werden könnte, obwohl die Regierung beteuerte, nicht daran rütteln zu wollen; in der Tat hätte die Umwandlung des Vorbehalts in ein »Opt-In«-Modell bedeutet, dass das Parlament künftig ohne ein weiteres Referendum hätte entscheiden können, welchen EU-Rechtsakten sich Dänemark anschließt. Gerade in der Asyl- und Migrationspolitik aber fürchtet eine Mehrheit der Dänen einen Verlust nationaler Souveränität besonders. Das Land handhabt dieses Politikfeld seit etlichen Jahren und erst recht unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise sehr restriktiv und nimmt zum Bespiel nicht am Umverteilungsplan der EU teil. Auch vor diesem Hintergrund muss sich die Regierung mit dem Vorwurf auseinandersetzen, nicht überzeugend erklärt zu haben, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Europol ist.
Løkke Rasmussen muss jetzt ausloten, welche Alternativoptionen es gibt, damit sich Dänemark weiterhin an der europäischen Polizeizusammenarbeit beteiligen kann, insbesondere ob ein neues Parallelabkommen mit der EU rechtlich möglich ist. Aufgrund der Komplexität der Materie und der Vielzahl der beteiligten Akteure (Europäische Kommission, Parlament und übrige Mitgliedstaaten) könnten die entsprechenden Verhandlungen mühsam werden und mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Die Erfolgsaussichten hängen auch davon ab, ob die EU sich dafür entscheidet, Rosinenpickerei auf Seiten der Mitgliedstaaten grundsätzlich zu unterbinden, oder ob sie es für wichtiger hält, Dänemark in der Europol-Zusammenarbeit zu halten.
Verhärtung des europaskeptischen Trends
Das Abstimmungsergebnis markiert eine Fortführung des Trends, der sich bereits bei den Parlamentswahlen im Juni angedeutet hatte, von der vorsichtigen Bewegung der sozialdemokratisch geführten Vorgängerregierung hin zum Kern Europas zurück zur Rolle des kleinen Sonderlings, der dem britischen Lager zuzurechnen ist. Damit ist das Risiko verknüpft, dass Dänemark von integrationsfreundlichen EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland als Kooperationspartner weniger geschätzt wird.
Einen Beitrag hierzu leistet die EU-skeptische Dänische Volkspartei, die bei den Wahlen zweitstärkste politische Kraft geworden war. Schon damals hatte sie Løkke Rasmussen einen EU-kritischen Kurs aufgezwungen, vor dem Referendum hat sie massiv für ein Nein geworben. Nun wähnt sie sich als wahre Siegerin, da sie noch mehr Dänen hinter ihrem Kurs vermutet. Entsprechend wird ihr Druck auf die fragile Minderheitsregierung zunehmen; ihre Zustimmung zu Gesetzesvorhaben der Regierung wird sie noch selbstbewusster vom Entgegenkommen bei eigenen Forderungen abhängig machen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Nein-Kampagne keine rein rechtspopulistische Angelegenheit war, sondern auch von linken und in der Mitte anzusiedelnden politischen und gesellschaftlichen Kräften getragen wurde. Dies zeigt, wie stark der Europaskeptizismus in breiten Teilen der dänischen Gesellschaft verankert ist und wie schwer sich die Dänen grundsätzlich damit tun, weitere Rechtskompetenzen an die EU abzugeben.
Die Chancen, an den weiteren drei Vorbehalten Dänemarks zu rütteln und damit dessen europäische Integration weiter zu vertiefen, stehen noch schlechter als beim Vorbehalt in der Innen- und Justizpolitik, dessen Abschaffung die Bevölkerung vergleichsweise offen gegenüberstand. Für eine Aufhebung des dänischen Vorbehalts in der EU-Verteidigungspolitik etwa plädieren Politiker, Diplomaten und Militärs seit längerem, da er den sicherheitspolitischen Interessen Dänemarks entgegenstehe. Angesichts der jüngsten Erfahrung ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die Aufhebung gelingt. Wenn die Regierung dennoch auf dem Weg der Integration voranschreiten möchte, wird sie auf die verschiedenen europakritischen Gruppen zugehen und eine breite Debatte über Dänemarks Rolle und Gestaltungsmöglichkeiten in der EU führen müssen. Vor allem muss sie besser darin werden, die Vorteile der EU-Integration zu kommunizieren.
Der Text ist auch bei EurActiv.de erschienen.
Nach dem historisch guten Abschneiden der EU-skeptischen Dänischen Volkspartei bei den Wahlen in Dänemark deutet alles darauf hin, dass sich das Land noch weiter von der Europäischen Union entfernen wird, meinen Tobias Etzold und Janus Keck.
Dänemarks Europapolitik zwischen Abwarten und vorsichtiger Veränderung