Am Horn von Afrika trifft das Corona-Virus auf Staaten, die ohnehin mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert sind: Anhaltende bewaffnete Konflikte, Dürre und Unsicherheit haben mehr als acht Millionen Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht, weitere 3,5 Millionen sind in die Nachbarländer geflohen, wo sie in überfüllten Flüchtlingslagern leben. Alle Staaten der Region befinden sich in einem fragilen Zustand politischer Transformation oder sind durch Krieg und Regierungsversagen enorm geschwächt. Ihre Kapazitäten reichen weder für die Eindämmung der Covid-Pandemie aus noch für die Abfederung der Folgen, wie Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Um die Demokratisierung im Sudan und in Äthiopien nicht zu gefährden, ist es notwendig, den Fokus auf soziale Sicherungssysteme zu richten und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Dazu ist ein Soforthilfepaket aus dem Ausland erforderlich, das den Staaten das wirtschaftliche Überleben sichert. Langfristige Unterstützung jedoch sollte an die Bedingung geknüpft werden, dass ein Großteil der Investitionen in den Aufbau staatlicher Kapazitäten fließt.
Wichtig für eine wirksame Bekämpfung von Covid-19 und die Bewältigung der Folgeschäden ist nicht zuletzt die Legitimität der Regierung und der Grad an Vertrauen, das die Bevölkerung in ihre Führung hat. Von diesen Faktoren wird abhängen, ob der Staat Anweisungen durchzusetzen vermag und ob soziale Unruhen ausbrechen.
Wie jetzt regiert wird, wird das Verhältnis von Staat und Bevölkerung in der Zeit nach der Pandemie prägen. Obgleich derzeit eine große Unterstützung für die amtierenden Regierungen zu verzeichnen ist, könnte die Zustimmung bei steigenden Infektionszahlen, Hungertoten oder Ausschreitungen nachlassen.
Unterdessen wächst die Gefahr, dass sich autoritäre Regime verfestigen, je länger die Exekutive die alleinige Machtbefugnis innehat. So hindert die Regierung etwa in Somalia Journalisten an kritischer Berichterstattung. Die Regierung in Äthiopien blockiert die Internetkommunikation in einzelnen Landesteilen. Darüber hinaus greifen Befürchtungen um sich, dass Premierminister Abiy Ahmed unter Bedingungen des Ausnahmezustands die Wahlen weiter verschiebt, das Parlament auflöst und eine geschäftsführende Regierung einsetzt. Dies würde der Legitimität der Regierung schaden und die Versöhnung im politisch und ethnisch fragmentierten Land erschweren.
In allen Ländern sind einschneidende Maßnahmen getroffen worden, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Gefahr ist sehr groß, dass Nahrungsmittelknappheit, Hunger, Plünderungen und soziale Unruhen Staatsversagen und bewaffnete Konflikte zur Folge haben. Je länger die Beschränkungen gelten und je weniger die Regierungen in der Lage sein werden, ihre Bevölkerung zu versorgen, desto instabiler wird die Region.
Situation am Horn
Viele Länder am Horn von Afrika befinden sich noch im Anfangsstadium der Pandemie. Die Fallzahlen sind niedrig, doch erschwert die geringe Anzahl an Tests einen Überblick.
Im Sudan wurde schnell reagiert. Die Regierung ließ die Grenzen schließen, bevor ein Covid-Fall im Land bekannt geworden war. Im Sudan gelten nächtliche Ausgangssperren, in der Hauptstadt Khartum wurde gar eine umfassende Ausgangssperre verhängt. Der sudanesische Premierminister zehrt noch von einem Vertrauensvorschuss der Bevölkerung. Die Erfahrung des gemeinsam erreichten Umsturzes und der Erneuerung des Landes schweißt viele Menschen im Sudan zusammen. Dennoch steht die Regierung auf tönernen Füßen, kann sie sich doch nicht vollständig auf die Institutionen verlassen, die weiterhin mehrheitlich mit Angehörigen des alten Regimes besetzt sind.
Sabotageaktionen und Störmanöver von Vertretern des alten Regimes mehren sich. So hatte sich etwa General Hamad, der Gouverneur der Hauptstadt, geweigert, das für Moscheen in Khartum geltende Versammlungsverbot durchzusetzen. Islamisten aus den Reihen des früheren Baschir-Regimes veranstalten Demonstrationen gegen die Regierung des Premierministers und rufen nach Machtübernahme des Militärs. Angriffe auf staatliche Einrichtungen, als Protest gegen Mobilitätsbeschränkungen und Ausgangsverbote der Regierung, werden aus dem Norden berichtet und könnten landesweit zunehmen. Noch hält die Machtbalance zwischen Militärs und Zivilen in der Übergangsregierung. Auch die bewaffnete Opposition reagierte positiv auf den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen (VN), angesichts der Krise einen temporären Waffenstillstand zu schließen.
Etwas anders stellt sich die Situation im Nachbarland Äthiopien dar. Ethiopian Airlines flog noch bis in den März hinein täglich Ziele in China an. Aufrufe an die Bevölkerung, zu Hause zu bleiben, erfolgten spät. Am 8. April rief die Regierung für Äthiopien als erstes Land in Afrika den Notstand aus. Hingegen reagierte die Industrie in Äthiopien schnell, Textilfabriken stellten ihre Produktion auf Atemschutzmasken um. Premierminister Abiy Ahmed spielt die Rolle des regionalen Krisenkoordinators. So werden Hilfslieferungen für den Kontinent über Addis Abeba per Ethiopian Airlines verteilt. Auch medial stellt sich Abiy Ahmed erfolgreich als Vertreter des Kontinents dar, der durch Op-Eds und Briefe die benötigten Hilfsinvestitionen mobilisiert. Im Land selbst hingegen schwindet das Vertrauen in die Regierung zumindest in einzelnen Landesteilen. Vor allem im Internet kursieren Gerüchte über diktatorische Tendenzen und anstehende Inhaftierungen politischer Oppositioneller.
Am wenigsten Hoffnung macht die Lage in Somalia und im Südsudan, jenen beiden Ländern am Horn, in denen akute Konflikte Massenvertreibungen verursachen und wo sich politische Annäherung oder ein Waffenstillstand, wie derzeit im Sudan, kaum vorstellen lassen. Trotz Friedensvertrag ist im Südsudan das Vertrauen der Bevölkerung in die ehemaligen Kontrahenten gering, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gruppierungen finden weiterhin statt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsmittelhilfen abhängig, ein funktionierendes Gesundheitssystem wurde bislang nicht aufgebaut. Mehr als 2,2 der 12 Millionen Einwohner leben als Flüchtlinge vorwiegend in den Nachbarländern, rund 1,5 Millionen sind Vertriebene im eigenen Land. Die Versorgung haben humanitäre Hilfsorganisationen übernommen, teilweise unter dem Schutz der VN-Friedensmission UNMIS. Da die Regierung die Grundversorgung der Bevölkerung auch früher schon an internationale Hilfsorganisationen ausgelagert hat, ist kaum anzunehmen, dass sie in dieser Krise Führungsaufgaben wahrnimmt. Die Regierung in Juba wird die Krise voraussichtlich nicht nutzen, um Vertrauen zu bilden, ihre Legitimität dürfte folglich weiter schwinden.
Somalia ist unter allen Staaten der Region mit den größten Herausforderungen konfrontiert. Von den 15 Millionen Somalis ist ein Drittel auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 2,6 Millionen sind wegen Krieg oder Dürre zu Binnenvertriebenen geworden, knapp eine Million lebt als Flüchtlinge in den Nachbarländern. Die Zentralregierung in Mogadischu steht im politischen Konflikt mit einigen ihrer Bundesländer. Diese Konflikte werden durch verfeindete Lager im Golf-Kooperationsrat (GCC) noch verschärft. So unterstützen Katar und die Türkei die Zentralregierung in Mogadischu, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien wiederum unterstützen die Bundesstaaten finanziell. Das vergrößert die Kluft zwischen Regierung und Bundesstaaten. Kapazitäten können in der Folge nicht aufgebaut, Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Währenddessen rüstet sich die jihadistische al‑Shabaab und führt vermehrt Angriffe gegen somalische Sicherheitsorgane und die Mission der Afrikanischen Union (AU) durch.
Erschwerende Faktoren am Horn sind die durchgehend desaströse Gesundheitsversorgung und der schlechte Gesundheitszustand der Bevölkerung, die vielfach an Mangelernährung und Tuberkulose leidet. Eine weitere enorme Herausforderung ist die hohe Bevölkerungsdichte in den Ballungsgebieten und den Flüchtlingscamps. Ebenfalls ein großes Problem ist die hohe Zahl an Tagelöhnern und Beschäftigten im informellen Sektor, die über keinerlei Ersparnisse verfügen. Da Covid besonders riskant ist für Menschen, die Vorerkrankungen haben, vor allem aber für Personen über 60, könnte sich am Horn von Afrika der Faktor Jugend positiv auswirken: Der Altersdurchschnitt liegt in der Region bei unter 20 Jahren.
Wenn der Staat nicht in der Lage ist, ein gewisses Maß an sozialer Sicherung zu gewährleisten, wird es kaum möglich sein, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie wegen Covid-19 Beschäftigungsverbote, Mobilitätseinschränkungen und Ausgangssperren hinzunehmen hat.
Strukturelle und akteursgebundene Faktoren
Wie sich die Politiken der Akteure am Horn von Afrika durch die Covid-19-Krise verändern werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab: der Legitimität der Regierung, der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt von der Rolle, die externe Akteure während der Krise spielen.
Legitimität, Führung und Akzeptanz
Kapazitäten des Staates wie etwa die Leistungsfähigkeit der Verwaltung und das Vermögen, kritische Infrastruktur aufrechtzuerhalten, werden entscheidend sein für den Umgang mit dem Virus und den wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Pandemie.
Die sudanesische Führung kann sich in den urbanen Zentren auf die Bindungskraft der erfolgreichen gemeinsamen Revolution gegen das Baschir-Regime stützen. Dadurch hat sie einen Vorteil gegenüber jenen Ländern, in denen ethnische, soziale oder religiöse Diskrepanzen die Gesellschaft spalten. Noch hält die Balance zwischen zivilen und militärischen Kräften in der Regierung, die zu gemeinsamem Handeln zwingt. Wenn die Regierung Koordinierungsaufgaben übernimmt und sich um die Versorgung der Bevölkerung kümmert, trägt das zur Stabilisierung des Landes bei.
Gelingt es dem äthiopischen Premierminister Abiy, die Bevölkerung durch gutes Krisenmanagement zu einen, könnte sein Medemer-Projekt (Amharisch für Synergie, Zusammenkommen) eine gesellschaftliche Stabilisierung auch in Zeiten ökonomischer Probleme bewirken. In Äthiopien wurden die Parlamentswahlen, die ursprünglich für Mai 2020 und dann für August 2020 vorgesehen waren, wegen Covid‑19 auf unbestimmte Zeit verschoben. Was vor wenigen Wochen noch Kritik und heftige Reaktionen der Opposition hervorgerufen hätte, wird nun fast einhellig unterstützt.
Sollte es der Premier schaffen, Äthiopien relativ stabil durch die Krise zu navigieren, wird das seiner Parteienkoalition mit großer Wahrscheinlichkeit den Sieg bei den kommenden Wahlen sichern. Hier liegt eine Chance, die allerdings schnell wieder vertan werden kann, etwa durch repressive Politik, wie im Falle der Blockade von Internet und Telekommunikation im Bundesstaat Oromia. Um die Legitimität seiner Regierung zu bewahren, bedarf es transparenter Kommunikation und der Einbindung sowohl der Opposition wie der Bundesstaaten. Kann Premier Abiy Ahmed die Bevölkerung aber nicht von den Einschränkungen überzeugen und vermag er die lokale Ebene nicht in die Bekämpfung des Virus einzubinden, könnte Corona zu einem Katalysator wachsender Konflikte werden, die an den Bruchlinien von Ethnie und Religion aufbrechen würden.
Die Regierung Somalias stellt Covid‑19 vor existentielle Herausforderungen. Schon vor der Pandemie war die Zustimmung für die Regierung von Präsident Mohamed Abdullahi Famajo nicht überwältigend. Das Land hat nahezu keine funktionierende kritische Infrastruktur, ein Drittel der Bevölkerung ist von Nahrungsmittellieferungen abhängig, außerdem herrscht ein offener Konflikt mit al‑Shabaab. Dazu kommt ein Lockdown, der für die Truppen der Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) gilt. Abgesehen von Streitigkeiten zwischen der Zentralregierung und den Bundesstaaten erschwert ein repressiver Umgang mit Medien und Journalisten die Vertrauensbildung.
Erst am 22. Februar 2020, ganz zu Beginn der Pandemie, wurde die neue Regierung im Südsudan vereidigt. Seitdem das Land 2011 die Unabhängigkeit vom Sudan erlangte, regieren die beiden Kontrahenten Präsident Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar. Zweimal scheiterte das Regierungsbündnis an Rivalitäten der beiden Lager. Die Folge waren blutige Bürgerkriege, die den Südsudan in extremer Armut, ethnischer Zerklüftung und ohne kritische Infrastruktur für Gesundheit, Bildung und Verkehr zurückgelassen haben.
Gesundheitsversorgung
In allen Ländern am Horn von Afrika herrscht ein gravierender Mangel an medizinischer Versorgung und Ausstattung.
Mit 557 Beatmungsgeräten und über 570 Intensivbetten steht Äthiopien weit vor allen anderen Ländern der Region. Der Sudan hat 80 Beatmungsgeräte und 200 Intensivbetten, davon befinden sich aber nur 40 in öffentlichen Krankenhäusern. Somalia verfügt über 25 Intensivbetten, aber kein einziges Beatmungsgerät, der Südsudan über 24 Betten und 4 Beatmungsgeräte.
Obgleich Äthiopien in den vergangenen Jahren mehr in Gesundheit und Bildung investiert hat, kommen hier nur 0,1 Ärzte auf 1 000 Einwohner, in Somalia sind es lediglich 0,023.
Eritreas Gesundheitsversorgung ist auf ähnlichem Stand wie jene Äthiopiens. Allerdings bleibt das Land auch während der Corona-Krise bei seiner isolationistischen Position. Nicht einmal die Flugzeuge mit Hilfslieferungen des chinesischen Milliardärs Jack Ma, die über Äthiopien am Horn von Afrika verteilt werden sollten, erhielten eine Landegenehmigung in Eritrea.
Im Sudan und Südsudan ist die Diskrepanz zwischen den offiziellen Ausgaben für den Gesundheitssektor und der faktischen Mangelsituation der Versorgung am eklatantesten. Laut Weltgesundheitsorganisation liegt das Budget im Sudan mit 6,34% nicht sehr weit unter dem Durchschnitt der Mitgliedstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), im Südsudan werden sogar 9,76% des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen veranschlagt. Tatsächlich ist es aber so, dass im Sudan auf 1 000 Einwohner 0,43 Ärzte kommen, im Südsudan sind es 0,15. Im Vergleich dazu liegt die Ärztedichte in Mitgliedstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei durchschnittlich 2,89 pro 1 000 Einwohner. Die Vermutung, dass gerade das Gesundheitswesen enorm anfällig für Korruption ist, scheint sich hier zu bestätigen.
Auch das Gefälle zwischen der zahlenmäßig kleinen Elite und dem Gros der Bevölkerung zeigt sich deutlich in der Gesundheitsversorgung. Die Elite ließ sich vorrangig im Ausland behandeln, in den heimischen Gesundheitssektor wurde kaum investiert. Die mit Covid-19 verbundenen Reisebeschränkungen und die weltweite Überlastung der Gesundheitssysteme erschweren derzeit den Weg ins Ausland. Darum ist die Notwendigkeit augenfälliger, im eigenen Land zu investieren.
Gerade für Transitionsregierungen stellt dieser Zustand aber auch eine Chance dar, die Korruption im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Strategische Investitionen in die Sozialsysteme, die von der Bevölkerung unterstützt und lokal kontrolliert würden, könnten jetzt wichtige Weichen für die Zukunft stellen.
Zeigen sich die Regierungen aber nicht bereit, Verantwortung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu übernehmen, kann dies Folgen haben: So können Stationen abgelehnt oder attackiert werden, in denen Covid-19-Patienten behandelt werden. Wie schon bei Ebola bestünde auch die Gefahr, dass Corona-Teststationen angegriffen werden, da sie als Orte gelten, an denen das Virus verbreitet wird.
Erschwerend wirken Faktoren, die alte, koloniale Muster bedienen: die mangelnde Solidarität Europas, die rassistische Behandlung von Afrikanern in China und verstörende Aussagen französischer Ärzte über Afrika als Versuchslabor, das für Covid-Impfstoffe besonders gut geeignet sei. Auch die anonymen rassistischen Internetbeschimpfungen und die verbalen Angriffe Donald Trumps gegen Tedros Ghebreyesus, den ehemaligen Außenminister Äthiopiens und heutigen Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, werden auf dem Kontinent als Herabwürdigung verstanden. Fremdenfeindliche Reaktionen bekommen in Afrika Chinesen, Europäer und Mitarbeiter humanitärer Organisationen zu spüren, die für das Einschleppen des Virus verantwortlich gemacht werden. Das wiederum beeinträchtigt die Versorgung. Es kann sogar sein, dass humanitäre Hilfe durch internationale Organisationen abgelehnt wird, als Folge der geschilderten Verhaltensweisen und aus weiteren Gründen: Verbreitung von Verschwörungstheorien, Repression gegen Journalisten, geringes Vertrauen in die staatlichen Medien, intransparente Kommunikation der Behörden und repressive Durchsetzung von Ausgangssperren.
Nahrungsmittelsicherheit
Das Horn von Afrika wird immer wieder von schweren Dürren, Überschwemmungen und Hungerkatastrophen heimgesucht; derzeit wütet eine Heuschreckenplage, wegen kriegerischer Konflikte können Felder nicht bestellt werden. Große Teile der Bevölkerung sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Äthiopien und Sudan verfügen über Getreidereserven, deren Umfang allerdings nicht ausreicht, um die betroffene Bevölkerung längere Zeit zu ernähren. Noch sind in beiden Ländern weniger als zehn Prozent der Bevölkerung von humanitärer Hilfe abhängig. In Somalia dagegen sind ein Drittel und im Südsudan sechzig Prozent der Bevölkerung auf externe Hilfe angewiesen. Es ist anzunehmen, dass Preise für Lebensmittel steigen werden, logistische Zentren, Häfen und Transport durch Covid‑19‑Einschränkungen beeinträchtigt sein werden. In der Folge ist mit Engpässen oder Ausfällen von Hilfslieferungen zu rechnen.
Hier ist die Koordinierung der VN-Organisationen gefragt. Für die Länder in der Region gilt es, Versorgungsinfrastruktur aufzubauen und Vorräte anzulegen.
Wirtschaft
Ausgangssperren und Grenzschließungen werden zur Folge haben, dass die ohnehin schon schwachen Ökonomien weitere enorme Schwierigkeiten bekommen und in Rezessionen abrutschen werden.
Obwohl ein Großteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, wird durchschnittlich die Hälfte des Bruttosozialprodukts in den Städten erwirtschaftet. Sollten die Nahrungsmittelpreise im Zuge von Knappheit ansteigen, wird dies zunächst vor allem die urbane Bevölkerung treffen, der wegen der Ausgangssperren schon jetzt überlebensnotwendige Einnahmen fehlen.
Auch der regionale Warenhandel, obschon er gering ist, wird durch Covid-Maßnahmen eingeschränkt. Nach der Grenzschließung Somalias ist der Handel mit der Alltagsdroge Qat eingebrochen, die Betreiber der Anbaugebiete in Kenia und Äthiopien sind ohne Einkünfte.
Weltweit wird die Wirtschaft schrumpfen. Der Rückgang des Ölpreises könnte positive Effekte haben, indem etwa der Benzinpreis sinkt. Da aber große Kreditgeber in den Golfstaaten angesiedelt sind, wird sich deren Wirtschaftseinbruch negativ auch auf das Horn von Afrika auswirken.
Viele Menschen am Horn werden mit Überweisungen von Familienangehörigen sozial abgesichert, die im Ausland arbeiten. Weil die Arbeitslosigkeit weltweit steigt, können soziale Sicherungen, Krankenversorgung, Schulgelder und Nahrungssicherungen nicht mehr durch solche Geldmittel aus dem Ausland finanziert werden. Besonders relevant für Arbeitsmigrantinnen und ‑migranten aus der Region werden die Golfstaaten sein. Nach der Finanzkrise 2008 und dem Vorhaben »Saudi Vision 2030«, das den Arbeitsmarkt in Saudi-Arabien mit Einheimischen versorgen soll, schickte Saudi-Arabien mehr als 300 000 Menschen nach Hause, die im Niedriglohnsektor gearbeitet haben. Auch jetzt sind wöchentlich Tausende gezwungen, aus den Golfstaaten ans Horn zurückzukehren.
Zunehmend stehen nun Regierungen in der Pflicht, die der sozialen Absicherung ihrer Bevölkerung bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatten.
Covid-19-Hilfspakete
Um die härtesten Einbrüche abzufedern, haben die EU, die internationalen Finanzinstitutionen und die G20 Maßnahmen ergriffen. Die G20-Länder wollen für die am wenigsten entwickelten Länder Schuldenmoratorien erlassen, die ein Volumen von 20 Milliarden US-Dollar haben und ab Mai gelten sollen. Sie könnten für alle Länder am Horn gelten. Hingegen wurde keines dieser Länder im Zusammenhang mit dem Schuldenmoratorium des Internationalen Währungsfonds (IWF) namentlich genannt.
Von den 3,25 Milliarden Euro, die die EU afrikanischen Staaten für die Bewältigung der Covid-19-Krise zur Verfügung stellt, geht am Horn von Afrika der größte Teil in den Sudan (80 Millionen Euro), 10 Millionen Euro erhält Äthiopien, 27 Millionen Euro Somalia und 5 Millionen Euro der Südsudan. Äthiopien hat wiederum 76,5 Millionen Euro von der Weltbank erhalten, der Südsudan 7 Millionen Euro. Somalia profitiert vor allem vom Entschuldungsprozess.
Für den Sudan gestaltet sich der Zugang zu den internationalen Finanzinstitutionen besonders schwierig. Wegen der Unterstützung jihadistischer Gruppierungen, wie etwa al-Qaida, und der Beteiligung an Anschlägen gegen US-Botschaften in Nairobi und Daressalam wurde das Baschir-Regime 1993 von den USA auf die Liste jener Staaten gesetzt, die Terror unterstützen (State Sponsors of Terrorism, SST). Der Sudan verhandelt mit der US-Administration darüber, von der Liste gestrichen zu werden. Dadurch würde ihm der Weg zur Entschuldung und zu dringend benötigten Finanzunterstützungen wieder offenstehen. Doch die Verhandlungen erweisen sich als zäh und komplex. In der aktuell grassierenden Pandemie ist es deswegen umso wichtiger, zur Stabilisierung des Landes alternative Zugänge zu Unterstützung zu finden.
Konflikte
Das Horn von Afrika ist die konfliktreichste Region auf dem Kontinent. Zugleich ist sie Schauplatz der meisten und größten Friedensmissionen, sowohl der Vereinten Nationen als auch der Afrikanischen Union.
Bedenklich ist die Lage derzeit in sozial, ethnisch oder religiös fragmentierten Gesellschaften. Verschwörungstheorien werden gegenwärtig in sozialen Medien verbreitet, das Virus wird als Anlass genutzt, um die Bereitschaft zu mobilisieren, Gewalt gegenüber der vermeintlich schuldigen Gruppe einzusetzen.
In Ländern mit bewaffneter Opposition sind seit Beginn der Corona-Krise zwei unterschiedliche Reaktionen zu beobachten. Im Sudan führen Teile der bewaffneten Opposition Friedensverhandlungen mit der Übergangsregierung, eine politische Lösung ist möglich geworden. Hier folgen selbst jene Gruppierungen, die derzeit nicht in Verhandlungen einbezogen sind, dem Aufruf des VN-Generalsekretärs zur temporären Waffenruhe.
Ganz anders stellt sich das Kalkül jihadistischer Gruppierungen dar, etwa von al‑Shabaab. Durch vermehrte Angriffe auf Sicherheitsorgane führen sie die Schwäche der Regierung und der AU-Mission vor. Angehörige der al‑Shabaab trafen sich im März unbehelligt zu einer mehrtägigen Strategiekonferenz in Somalia. Humanitäre und medizinische Hilfe für die notleidende Bevölkerung in Gebieten, die von al‑Shabaab kontrolliert werden, kann die Gruppierung dabei als politisches Druckmittel nutzen.
Empfehlungen
Die Antwort aller beteiligten Akteure – in den Ländern wie extern – auf Covid-19 am Horn von Afrika sollte nicht darin bestehen, auf mehr Isolationismus zu setzen, sondern auf mehr vernetztes Denken und Handeln. Neben kurzfristiger humanitärer Hilfe von außen ist eine langfristige Investition in soziale Sicherungssysteme notwendig.
Wie sich gerade am Horn von Afrika zeigt, sind einzelne Philanthropen wie etwa Jack Ma oder Bill Gates als Unterstützer sichtbarer als staatliche Akteure. Um den Herausforderungen gerecht zu werden, bedarf es allerdings weiterhin der Arbeit multilateraler Organisationen, die von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen finanziert und kontrolliert werden.
Was die Akteure in den Ländern selbst tun sollten
Die Regierungen der Staaten am Horn von Afrika stehen vor der Frage, wie sie zwei Hauptziele bestmöglich erreichen sollen: Regimestabilität und Schutz der Bevölkerung. Wenn sie jetzt nur den eigenen Machterhalt im Auge haben und den Schutz der Bevölkerung vernachlässigen, könnte die Krise im Chaos enden. Durch Investitionen in das Gesundheitssystem und Kommunikation mit der Bevölkerung hingegen würden die verordneten Maßnahmen an Akzeptanz gewinnen und würde die Legitimität der Regierung gestärkt. Die aktive Bekämpfung der Korruption, vor allem im Gesundheitssektor, kann als Chance begriffen werden, das notwendige Vertrauen der Bevölkerung zu erlangen. Insofern gilt es Anti-Korruptionsmaßnahmen zu ergreifen, transparent und gemeinsam mit der Bevölkerung Bedürfnisse abzuklären und Strukturen aufzubauen.
Für die Eindämmung von Corona braucht es Zusammenhalt. Fehlt dieser, etwa weil die Bevölkerung der Staatsmacht misstraut, wird das Virus schnell zur Munition für jene, die für ihre Zwecke mobilisieren und die Fragmentierung vorantreiben wollen.
Der Ausbau sozialer Sicherungsnetze verhilft den Regierungen zu größerer Legitimität und lässt das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierungen wachsen. Letzteres ist unabdingbar, damit eine Regierung Maßnahmen und Einschränkungen verordnen und wirksam durchführen kann. Nur so ist es möglich, Gemeinschaften dafür zu mobilisieren, die Eingrenzung von Infektionen nachhaltig zu gewährleisten. Wie sich bei Ebola gezeigt hat, sind es die lokalen Verbände, die Dorf- und die Glaubensgemeinschaft, die Familien und Clans, die zur Eindämmung des Virus effektiv beitragen und soziale Unterstützung und Versorgung leisten können. Umso wichtiger ist es, dass Vertreter von Glaubensgemeinschaften, Dorfvorsteher, Frauen und Jugendverbände sowie Nachbarschaftskomitees eingebunden und mit Mitteln ausgestattet werden. Auch wenn es wünschenswert wäre, Polizei und Militär in Logistik und Versorgung einzubinden, muss dies gut überlegt sein: Denn es ist jeweils zu prüfen, inwieweit die Sicherheitsbehörden bis dahin als repressive Organe galten, die den Willen der autoritären Eliten durchsetzen, oder ob sie Vertrauen in der Bevölkerung genießen.
Deutschland und Europa
Für Deutschland und Europa stellen sich im Umgang mit Covid-19 am Horn von Afrika mehrere Herausforderungen, doch bieten sich auch Gelegenheiten.
Deutschland hat sich in den letzten Jahren als verlässlicher Partner der Transformationsländer am Horn erwiesen. Darum sollte es nun auch vorangehen und innerhalb der EU die Rolle eines Koordinators der Hilfen nicht scheuen. Das gilt speziell mit Blick auf den Sudan, dessen Situation als Staat im Übergang fragil ist, dabei hat er eine enorme geostrategische Bedeutung. Die Ausrichtung einer Sudan-Konferenz, in der ein Paket mit Finanzmitteln aus Europa, den USA, den Golfstaaten, aber auch den Internationalen Finanzorganisationen geschnürt wird, wäre ein richtiger Schritt.
Für den Sudan sind Optionen zu entwickeln, die es ihm erlauben, trotz SST-Listung Zugang zum Hilfsfonds des IWF zu bekommen. Europa könnte den Sudan auch bei den Verhandlungen über den Zugang zu Mitteln der Internationalen Entwicklungsorganisationen und der Weltbank unterstützen. Darüber hinaus könnten sich Deutschland und Europa für eine Entschuldung beim Pariser Club einsetzen. Auf dessen Mitgliedstaaten entfällt der Großteil der Rückstände der sudanesischen Auslandsschulden, die sich auf zwischen 50 und 60 Milliarden US-Dollar belaufen.
Entschuldung ist eine wichtige, schnell realisierbare Maßnahme, die afrikanischen Staaten größeren finanziellen Spielraum in der Covid-19-Krise eröffnen würde.
Hingegen sollten Investitionen nicht getätigt werden, ohne Kontrollmechanismen vorzusehen. Autoritäre, repressiv agierende Regierungen sollte es durch Covid-19-Hilfen nicht ermöglicht werden, ihren Machterhalt zu sichern. Vielmehr gilt es, Investitionen an den Ausbau der sozialen Infrastruktur und an demokratische Kontrollen zu knüpfen.
Vereinte Nationen
In der akuten Krise sollten die Vereinten Nationen eine proaktive Koordinationsrolle übernehmen. Die VN hat Erfahrungen mit der Bewältigung von Krisen. Das betrifft Epidemien ebenso wie das Management von Flüchtlingscamps und von Friedensmissionen. Gerade nachdem die US-Regierung ihre Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation eingestellt hat, gilt es für Deutschland und Europa, sich verstärkt für multilaterale Lösungen einzusetzen und ihre Finanzierungsbeiträge anzuheben.
AU und IGAD
Die Task Force der AU-Behörde für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) der Afrikanischen Union könnte sich über die akute Krise hinaus institutionalisieren und die Aufgabe übernehmen, die nationalen Sicherungssysteme zu verbessern und die kontinentale Verknüpfung voranzubringen. Für die Regionalorganisation IGAD (Intergovernmental Authority on Development) könnte die Covid-19-Pandemie zu einem entscheidenden Wendepunkt werden. Der Schwerpunkt der 1986 gegründeten Vorläuferorganisation IGADD lag auf Entwicklung und Dürrebekämpfung in der Region. Eine Konzentration auf diese Aufgabenbereiche wäre im Zeichen von Pandemien und klimabedingten Krisen am Horn von Afrika zukunftsweisend und präventiv.
Dr. Annette Weber ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika.
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ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2020A30