Trump bezichtigt die WHO schwerwiegender Fehler im Management der Corona-Krise und lenkt damit von eigenen Verfehlungen ab. Sollte der US-Präsident dem zentralen Krisenmanager den Geldhahn zudrehen, hätte das gravierende Folgen. Eine Einschätzung von Maike Voss.
Trotz der akuten Covid-19-Pandemie hat US-Präsident Donald Trump angekündigt, Zahlungen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auszusetzen. Bevor weiteres Geld fließt, müsse geklärt werden, wie das Krisenmanagement der WHO zu bewerten sei und welchen Einfluss China darauf hatte. Mit einem solchen Schritt würde Trump dem weltweit wichtigsten Manager der Krise erheblich schaden.
Als Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist die WHO mehr als eine Hilfsorganisation für Länder des globalen Südens. Sie setzt auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen Normen und Standards für ihre 194 Mitgliedsländer im Gesundheitswesen und in der internationalen Kooperation. Essentiell ist ihre Rolle bei der Kontrolle und Eindämmung von Infektionskrankheiten, wie sich aktuell bei Covid-19 zeigt. Die WHO unterstützt und koordiniert die Verteilung von Testkits und Schutzausrüstung sowie den Aufbau von Laboren und bietet Fachkräfteschulungen an. Sie empfiehlt den Staaten ferner, wie sie mit Fehlinformationen in der öffentlichen Debatte umgehen können und koordiniert internationale Forschungsbemühungen für Impfstoffe und Therapeutika. Damit ist sie der entscheidende Akteur, der die in der Pandemie so wichtige internationale Koordinierung gewährleisten kann – alles im Rahmen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV), des von den WHO-Mitgliedstaaten verabschiedeten international bindenden Regelwerks.
Trumps Drohung, die WHO zu schwächen, widerspricht der bis zuletzt praktizierten strategischen Ausrichtung seiner Regierung auf »globale Gesundheitssicherheit«. Das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC), die US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) und das Verteidigungsministerium kooperieren, um Fortschritte bei der Prävention, Erkennung und Reaktion auf Ausbrüche von Infektionskrankheiten voranzutreiben. Im Mai 2019 veröffentlichte das Weiße Haus eine Globale Gesundheitssicherheitsstrategie, die darauf abzielt, die Vereinigten Staaten und ihre Partner im Ausland vor Gesundheitsbedrohungen zu schützen, indem sie mit anderen Nationen, internationalen Organisationen (darunter auch die WHO) und nicht-staatlichen Akteuren zusammenarbeitet. Die Strategie ist dabei eng verknüpft mit nationalen Strategien für Sicherheit und Bioabwehr. Was bewegt Trump nun, der Schaltzentrale der globalen Gesundheit den Rücken zu kehren?
Trump wirft der WHO eine zu große diplomatische Nähe zu China vor. In der Folge habe die WHO zu sehr auf chinesische Angaben über den Verlauf des Ausbruches vertraut, während Peking Informationen zurückgehalten habe. Zudem habe die WHO es versäumt, frühzeitig Reisebeschränkungen zu empfehlen. Aufgrund dieses Missmanagements habe sich damit das Virus zu schnell verbreitet; wertvolle Zeit zur Vorbereitung auf die Pandemie sei verstrichen. Zur Bewertung der Vorwürfe hilft ein Blick auf das Mandat der WHO. Danach sammelt diese keine eigenen Gesundheitsdaten, sondern ist auf die Kooperation mit nationalen Regierungen angewiesen. Entsprechend arbeitete sie notgedrungen mit den Informationen, die ihr Peking zur Verfügung stellte. Zusätzlich vermeidet die WHO in ihrer Kommunikation mit allen Staaten direkte Konfrontationen, um die in Krisenzeiten so wichtigen Kommunikationskanäle offenzuhalten. Im Falle von Verfehlungen einzelner Mitgliedstaaten hat sie keinerlei Sanktionsmöglichkeiten.
Reisebeschränkungen werden aus gutem Grund nicht ausgesprochen: Weil sie Viren nicht aufhalten können, sind sie laut IGV – den gemeinsamen Regeln der WHO-Mitglieder – nicht zulässig. Analysen zeigen, dass Reisebeschränkungen die weltweite Ausbreitung von Covid-19 nicht verhindern, sondern nur verzögern. Jedoch gelingt diese Verzögerung vor allem Ländern, die die gewonnene Zeit zur aktiven Vorbereitung nutzten. Die USA gehörten nicht dazu.
Sicherlich wird sich Peking den Vertuschungsvorwürfen stellen müssen. Trumps Vorwürfe an die WHO aber legen seine Unkenntnis über das WHO-Mandat offen und sind nicht haltbar. Der US-Präsident macht hier einen neuen Schauplatz des sino-amerikanischen Konflikts auf und lenkt zudem von eigenen Versäumnissen ab. Damit behindert er – erst recht, wenn Zahlungen tatsächlich ausbleiben – die koordinierte Bewältigung der Krise.
Macht Trump seine Drohung war, so würde sich das, erstens, negativ auf das operative Krisenmanagement der WHO auswirken. Zu befürchten ist, dass ein Ausbleiben der Mittel des zahlungskräftigsten Mitglieds das WHO-Alltagsgeschäft in der Fläche beeinträchtigt; im Hauptquartier in Genf, in den sechs Regionalbüros und in den 149 Länderbüros – genau dort, wo die Organisation aktuell am meisten gebraucht wird.
Ausgesetzte Mittel verletzen, zweitens, Regeln der WHO-Mitgliedschaft und dürften dazu führen, dass Washingtons Sitz in WHO-Gremien frei bleibt. Dies gäbe China die Chance, das Vakuum zu füllen und die Agenda der WHO künftig stärker mitzubestimmen, wie dies bereits in einer Reihe von anderen Organen der Vereinten Nationen der Fall ist.
Die Anschuldigungen wirken drittens schon jetzt auf die Reputation der WHO und erschweren damit die für die akute Krisenbewältigung so dringende Kooperation der betroffenen Länder. Sicherlich sind eine Aufarbeitung der Covid-19-Krise und eine Überprüfung der Funktionalität der WHO notwendig und gerechtfertigt, jedoch ist es dafür viel zu früh.
Politische Signale zur Unterstützung der WHO gibt es bereits. So sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell dem WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus zu, weitere Mittel zu mobilisieren. Auch die Kanzlerin, das deutsche Entwicklungsministerium und das Auswärtige Amt im Rahmen seiner Allianz des Multilateralismus versicherten der WHO ihre »volle Unterstützung«. Konkret könnten sie anlässlich Trumps Rückzug dafür werben, deren Arbeit durch eine Erhöhung der Grundfinanzierung für alle Mitgliedstaaten grundsätzlich auf bessere Füße zu stellen. Auch könnte Deutschland Personal bereitstellen, mit dessen Hilfe die Organisation Gesundheitssysteme dort stärken könnte, wo die Not am größten ist.