Seit dem Machtantritt von Staats- und Parteichef Xi Jinping 2012/2013 hat sich in Chinas Innen- und Außenpolitik ein fundamentaler Wandel vollzogen. Zwei zentrale Motive bestimmen Xis Kurs: zum einen die Konzentration der Macht auf die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) und seine Person, verbunden mit intensiver Kontrolle der Gesellschaft; zum anderen die Stärkung des chinesischen Nationalismus. In der Außenpolitik hat Xi ambitionierte Ziele gesetzt: Der regionale und globale Einfluss der Volksrepublik soll weiter ausgebaut werden. 40 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Peking und Washington sehen die USA in China zunehmend eine Bedrohung für ihre globale Macht und ihre demokratischen Werte.
2012 wurde Xi Jinping Generalsekretär der KPCh und Oberbefehlshaber des Militärs, 2013 übernahm er das Amt des Staatspräsidenten. Seither hat sich die Volksrepublik schrittweise sowohl von der Reform- und Öffnungspolitik im Innern als auch von ihrer eher zurückhaltenden Außenpolitik verabschiedet. Der frühere Kurs auf beiden Feldern war Ende der 1970er Jahre von Deng Xiaoping initiiert worden.
Trotz aller Rückschläge, wie dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989, setzten die USA jahrzehntelang darauf, dass China sich eines Tages liberalisieren und demokratisieren würde. Angesichts der gewachsenen Parteiherrschaft in Peking und der zunehmenden Repression gegenüber der chinesischen Gesellschaft ist diese Hoffnung mittlerweile verflogen.
Zum einen erfolgte unter Xi eine auf seine Person zugeschnittene Zentralisierung der Macht. Im März 2018 wurden zeitliche Begrenzungen für höchste Staatsämter aufgehoben. Xi kann nun theoretisch bis an sein Lebensende regieren. Weiter konzentriert wurde die Macht in seinen Händen, indem die »Xi-Jinping-Gedanken über den Sozialismus mit chinesischen Charakteristika für eine neue Ära« als leitende Ideologie in die Parteistatuten und die Präambel der chinesischen Verfassung aufgenommen wurden. Xi ist so in der Lage, seine persönlichen Ansichten als Leitbilder von Partei und Staat zu propagieren.
Dabei ist der Inhalt der »Xi-Jinping-Gedanken« – wie bereits ihr sperriger Titel nahelegt – durchaus schwammig. Sie basieren auf vier bereits früher von Xi entwickelten Strategien. Die ersten beiden gelten Chinas wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung. Bei den strategischen Zielen drei und vier geht es darum, das Regieren durch das Recht bzw. durch Parteidisziplin zu stärken. Gemeint ist nicht etwa der Aufbau eines Rechtsstaats. Vielmehr soll das Recht als bevorzugtes Herrschaftsinstrument der Partei dienen. Die beiden Ziele hängen also eng miteinander zusammen. Sie laufen darauf hinaus, die Gesellschaft intensiver zu kontrollieren und kritische Akteure, etwa Menschenrechtsanwälte, zu verfolgen. Innerparteilich fallen Kritiker häufig Anti-Korruptions-Kampagnen zum Opfer. Die Vorwürfe sind vermutlich meist stichhaltig. Doch findet eine selektive Verfolgung statt; sie trifft oft Gegner von Xi und nur selten seine Anhänger.
Zum anderen fördert Xi stärker als frühere Führungspersonen des Landes den chinesischen Nationalismus. Dieser ist in erster Linie ein ethnischer Nationalismus, der Kultur, Sprache und Traditionen der Han-Chinesen in den Vordergrund rückt. Propagiert werden die »Wiederauferstehung der chinesischen Nation« und die Verwirklichung des »chinesischen Traums« bis zum Jahr 2049, wenn sich die Gründung der Volksrepublik zum hundertsten Mal jährt. Xi betont Chinas historische Errungenschaften als eine der ältesten Zivilisationen überhaupt. Zugleich will er erreichen, dass China global wieder zur wirtschaftlich, politisch und technologisch führenden Nation wird. Ziel ist der Status, den China viele Jahrhunderte lang genoss: das Reich in der Mitte der Welt zu sein.
Die nationale Dimension: Kontrolle und Repression
Zwei Beispiele sollen im Folgenden die innenpolitische Entwicklung illustrieren: die Zustände in Chinas größter Provinz Xinjiang sowie der Umgang mit Unternehmen. Nachdem Ende 2016 in Xinjiang der neue Parteichef Chen Quanguo angetreten war, setzte eine Welle der Repression ein. In Xinjiang leben etwa 10 Millionen turkstämmige Muslime (überwiegend Uiguren). Nach Schätzungen werden über eine Million von ihnen ohne Gerichtsverfahren in Internierungslagern festgehalten. Die chinesische Regierung hat die Existenz der Lager zuerst bestritten und sie später als »Umerziehungslager für Extremisten« bezeichnet. Mittlerweile werden sie als »berufliche Ausbildungszentren« charakterisiert. Ihr Zweck bestehe darin, islamistische und terroristische Einstellungen in der Bevölkerung zu bekämpfen. In Xinjiang und anderen Teilen Chinas gab es in der Vergangenheit immer wieder Anschläge islamistischer Terrorgruppen auf chinesische Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung, unter anderem als Folge der Unterdrückung der islamischen Religion in Xinjiang.
Human Rights Watch spricht mit Blick auf die Provinz von »Menschenrechtsverletzungen in einem Ausmaß, das wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben«. Die Bevölkerung Xinjiangs wird durch omnipräsente Kameras, durch Polizei-Checkpoints und die zwangsweise Sammlung von DNA-Proben überwacht. Zudem erfolgt eine »Sinisierung« der Provinz. In den Internierungslagern werden die Inhaftierten offenbar gezwungen, Texte der KPCh auswendig zu lernen und Chinesisch zu sprechen. Die Religionsausübung in Xinjiang ist massiv eingeschränkt. Viele Moscheen wurden abgerissen, islamisch-religiöse Texte sowie islamischer Religionsunterricht verboten. Lange Bärte und andere als religiös wahrgenommene Zeichen wurden untersagt.
Die amerikanische Regierung kritisiert Chinas Politik in der Region; das Gleiche gilt parteiübergreifend für den US‑Kongress. Vizepräsident Mike Pence sprach von der »Ausrottung der muslimischen Kultur« in Xinjiang. Der Kongress diskutiert über ein Gesetz (»Uyghur Human Rights Policy Act«), das unter anderem gezielte Sanktionen gegen Personen ermöglichen würde, die für Übergriffe in der Provinz verantwortlich sind. Und der jüngste Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums beschreibt die Lage in Xinjiang an erster Stelle.
Auf wirtschaftlichem Feld zeigt sich die gewachsene Rolle der KPCh unter anderem darin, dass die Präsenz von Parteizellen in privaten Unternehmen – auch ausländischen – seit Xis Amtsantritt deutlich zugenommen hat. 2016 war die KPCh in rund 70 Prozent der Firmen vertreten. Die Zellen haben zwar keine direkte Mitsprache bei Management-Entscheidungen, beeinflussen sie aber oft.
Mit der Strategie »Made in China 2025« zielt die Volksrepublik darauf, eigenen Unternehmen in Schlüsselsektoren wie Robotik, Biotechnologie und künstliche Intelligenz weltweit eine Spitzenposition zu verschaffen. Die Instrumente der Strategie sind der Aufkauf führender Technologieunternehmen im Ausland, die Aneignung von Know-how ausländischer Firmen im Austausch für Marktzugang in China sowie die Förderung chinesischer Unternehmen.
Die regionale Dimension: Expansion in den Pazifik
Ein zentrales Element der »Wiederauferstehung der chinesischen Nation« besteht nach Xis Vorstellungen darin, Gebiete wiederzuerlangen, die früher zu China gehörten bzw. von Peking historisch beansprucht werden: Taiwan, das Südchinesische Meer und die von Japan verwalteten Inseln Diaoyu/Senkaku. Taiwan ist de facto ein eigener Staat, der nie Teil der Volksrepublik war. Zudem handelt es sich um eine konsolidierte Demokratie, und praktisch alle Taiwaner wollen ihr politisches System behalten. Verschiedene Teile des Südchinesischen Meeres werden von mehreren Anrainerstaaten beansprucht – Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Taiwan, Vietnam.
Die historisch begründeten Forderungen Chinas hat der Ständige Schiedshof in Den Haag 2016 auf Grundlage der UN-Seerechtskonvention zurückgewiesen. Von Peking wurde das Urteil nicht anerkannt.
Das neue Selbstbewusstsein, mit dem China territoriale Ansprüche erhebt, hat die USA veranlasst, in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie von Dezember 2017 die Volksrepublik – ebenso wie Russland – als »revisionistische Macht« zu bezeichnen. Vizepräsident Pence sprach in diesem Zusammenhang von »autoritärem Expansionismus«.
Die globale Dimension: Chinas »Neue Seidenstraße«
Seit 2013 realisiert die Volksrepublik mit der »Neuen Seidenstraße« (»One Belt, One Road«) eine globale Strategie der multidimensionalen Vernetzung und Expansion. Im Rahmen dieses Projekts vergibt China Kredite für Infrastruktur-Projekte vorrangig in Eurasien, um Handelsrouten und Häfen auf dem Weg nach Europa auszubauen und zu kontrollieren. Nach Schätzungen summieren sich die bisherigen Kredite auf mehr als 200 Milliarden US-Dollar.
Ziel ist dabei nicht nur, den Handel zu stärken oder neue Investitions- und Auftragschancen für chinesische Unternehmen zu schaffen. Es geht ebenso um die Erweiterung von politischem Einfluss. So dient Pekings Konnektivitätspolitik auch dem Anliegen, globale Standards, etwa im Technologiebereich, sowie Diskurse, zum Beispiel über Globalisierung und Handel, mitzuprägen.
Streben nach Einfluss: Militär, Wirtschaft, Soft Power
Der Politikwissenschaftler Joseph S. Nye unterscheidet drei Arten von Macht in der internationalen Politik. Die erste Dimension ist militärische Macht. Hier geht es um die Fähigkeit von Staaten, durch Einsatz von Gewalt oder Drohung damit das Verhalten anderer Staaten zu beeinflussen bzw. diese der eigenen Herrschaft unterzuordnen. Die zweite Dimension betrifft wirtschaftliche Macht – wie sie von Staaten ausgeübt wird durch ökonomische Anreize, etwa Gewährung von Zugang zum eigenen Markt, durch wirtschaftliche Hilfen oder durch Sanktionen. Militärische und wirtschaftliche Macht gehören beide zur »Hard Power«. In der dritten Dimension – der »Soft Power« – gründet der Einfluss von Staaten auf der Anziehungskraft ihrer Werte, ihrer Kultur oder ihrer Politik.
Was militärische Hard Power angeht, steigern sowohl China als auch die USA ihr Verteidigungsbudget. Im Jahr 2017 hat Washington 610 Milliarden Dollar für das eigene Militär ausgegeben, Peking schätzungsweise 228 Milliarden Dollar. Chinesische Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge patrouillieren routinemäßig in den umstrittenen Gewässern des Ost- und Südchinesischen Meeres und umrunden häufiger als früher Taiwan. Verletzungen des taiwanischen Luftraums haben unter Xi ebenfalls zugenommen. Trotz gegenteiliger Versprechungen von Xi im Jahr 2015 hat China militärische Installationen, wie Landeplätze und Raketenbasen, auf sieben künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer errichtet.
Im Bereich wirtschaftlicher Hard Power führen China und die USA gegenwärtig einen Handelskrieg miteinander. Zum einen zeigt sich darin eine der wenigen konsistenten Positionen von Präsident Trump, der seit langem eine protektionistische Wirtschaftspolitik befürwortet. Zum anderen reagiert die amerikanische Seite hier auf die perzipierte Benachteiligung von US‑Unternehmen bei Investitionen in China und beim Handel mit dem Land. Trump hat im Jahr 2018 Zölle von 10 bis 25 Prozent auf chinesische Waren im Wert von über 250 Milliarden Dollar verhängt. Zudem drohte er mit entsprechenden Maßnahmen für weitere Waren im Wert von 267 Milliarden Dollar, ebenso mit einer Erhöhung aller Zölle für Importe aus der Volksrepublik auf 25 Prozent. China hat mit Zöllen von 5 bis 25 Prozent auf US-Waren im Wert von 110 Milliarden Dollar geantwortet.
Unabhängig davon, ob die USA und China zu einer vorläufigen Einigung im Handelskonflikt finden, werden sich zwei Trends vermutlich fortsetzen. Erstens dürfte der Wettbewerb um die globale Führung im Technologiebereich anhalten. Diese ist eine wichtige Voraussetzung für militärische und wirtschaftliche Dominanz. Zweitens werden die USA wohl weiter versuchen, ihre heimische Wirtschaft stärker von der chinesischen zu entkoppeln (»decoupling«). Damit würde sich die Abhängigkeit von der chinesischen »Werkbank der Welt« verringern; im Falle eines bewaffneten Konflikts wären die USA weniger verwundbar. Alternative Lieferketten sollen aufgebaut werden, die entweder vollständig in den USA beheimatet oder durch Einbeziehung anderer Staaten stärker diversifiziert sind.
Mit der »Neuen Seidenstraße« will China auch Soft Power erwerben. Die Volksrepublik fördert ihre Sprache, Kultur und Sichtweise weltweit durch mehr als 500 Konfuzius-Institute und 170 Büros der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua. Umfragen zu Chinas Image, die in den letzten zehn Jahren durchgeführt wurden, zeigen konstant überwiegend positive Meinungen in Afrika und Lateinamerika, während sich die Werte in den westlichen Demokratien und Japan verschlechtert haben. Chinas repressive Innen- und zunehmend aggressive Außenpolitik konterkariert das eigene Bemühen um Ansehensgewinne.
Neben der eher konstruktiv ausgerichteten Soft Power nutzt China auch »Sharp Power«, die destruktiver Natur ist. Die Attraktivität anderer Staaten soll gemindert, Kritik an China unterbunden werden. Sharp Power nutzt die Offenheit und den politischen Wettstreit in demokratischen Ländern, um gesellschaftliche Konflikte zu schüren und Kritiker zu bedrängen. Wissenschaftler etwa, die sich kritisch zu China äußern, erhalten teils keine Visa mehr oder finden keine akademischen Kooperationspartner im Land. Bestimmte Themen, so Pekings Politik in Tibet oder Xinjiang, werden daher kaum erforscht.
Insgesamt fürchtet die US-Regierung, dass China zur globalen Nummer eins in Wirtschaft und Technologie, später auch beim Militär werden könnte. Eine solche Entwicklung empfände Washington vor allem deshalb als Problem, weil ein tiefes Misstrauen gegenüber Chinas politischem System besteht. Wäre das Land eine Demokratie, würde sein Aufstieg anders bewertet.
Dr. Frédéric Krumbein ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung des Autors wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A27