Die Ergebnisse der US-Zwischenwahlen werden innenpolitische Reformen erschweren. In der Außenpolitik behält Präsident Joe Biden jedoch einigen Handlungsspielraum, umso mehr wenn es zu einer Mehrheit im US-Senat reicht. Die Unterstützung der Ukraine kann er fortsetzen, allerdings vermutlich in engeren finanziellen Grenzen. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage werden sowohl die Republikaner als auch Teile der Demokraten auf eine restriktivere Fiskalpolitik drängen. In der China-Politik stärkt der Wahlsieg der Republikaner, die geschlossen eine harte Linie befürworten, die Hardliner in der Regierung Biden. Die Republikaner werden im Kongress das Technologie-Decoupling von China vorantreiben, auch gegen die Bedenken und Interessen von Verbündeten und außenpolitischen Partnern. Das erhöht den Druck auf die Europäische Union (EU), dem von Biden eingeläuteten noch restriktiveren Kurs gegen gegenüber China zuzustimmen. Diese Frage könnte im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) zum Streitpunkt werden.
Die Demokraten haben ihre zuvor schon knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus eingebüßt, im Senat konnten sie eine Mehrheit der Republikaner verhindern. Ob die Demokraten ihren Vorsprung sogar noch um eine Stimme ausbauen können, wird sich nach der Stichwahl im Bundesstaat Georgia im Dezember zeigen. Wie schon in den ersten beiden Amtsjahren wird Präsident Biden nur ein geringer Spielraum bleiben, weitgehende Reformen voranzubringen (Waffenkontrolle, Wahlrechtsreform, Gesetz zu einem Recht auf Abtreibung). Das liegt auch daran, dass Biden bei einigen dieser Themen mit Gegenstimmen aus der eigenen Partei rechnen muss (vgl. SWP-Aktuell 67/2022). Um seine außenpolitische Agenda fortzuführen, kann der Präsident aber auf das Mittel der Exekutivverordnungen zurückgreifen. Ob Biden und die Demokraten außerdem über die Vergabe von Haushaltsmitteln außen- und sicherheitspolitische Schwerpunkte setzen können, ist noch offen. Ohne politische Kompromisse mit den Republikanern wird es nicht gehen.
In zwei für Europa zentralen Fragen – der Unterstützung für die Ukraine, damit diese sich im Angriffskrieg Russlands verteidigen kann, und in der China-Politik – überschneiden sich bislang die Interessen der Republikaner mit denen der Demokraten im Kongress sowie mit denen der Biden-Regierung. Deshalb ist dort mit Kontinuität zu rechnen.
Bei der Bekämpfung des Klimawandels, die Biden anfangs als eines der wichtigsten außenpolitischen Ziele definierte, wird sein Handlungsspielraum künftig begrenzt sein. Internationale Vereinbarungen, die eine Ratifizierung im Kongress erfordern, sind nahezu ausgeschlossen. Auf Basis der Infrastruktur- und Anti-Inflations-Gesetze kann Biden jedoch private Investitionen in klimafreundliche Projekte und Technologien lenken.
Ringen um Ukraine-Unterstützung
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine haben die USA laut dem Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft insgesamt 52,3 Milliarden Euro an Hilfen zugesagt, davon 27,6 Milliarden an militärischer Unterstützung, 9,5 Milliarden für humanitäre Hilfe und weitere 15,2 Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung. Die Militärhilfen umfassen die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung aus den Beständen der US-Armee. Hinzu kamen weitere Notfallhilfen aus dem US-Haushalt. Außerdem verabschiedete der US-Kongress im April 2022 den Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act – in Anlehnung an das gleichnamige Gesetz aus dem Zweiten Weltkrieg. Es erlaubt den Export von Rüstungsgütern an die Ukraine sozusagen auf Kredit, da klar ist, dass dem Land ausreichende finanzielle Mittel fehlen. Zusätzlich schafft es einen gesetzlichen Rahmen für die beschleunigte Bereitstellung.
Dieses Gesetz wurde mit einer überparteilichen Mehrheit beschlossen; ebenso verliefen weitere Abstimmungen über Haushaltsmittel für die Ukraine im März, Mai und Ende September 2022. Jedoch stimmten im Mai bereits 57 republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus und 11 im Senat gegen das bisher größte Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 40 Milliarden Euro. Bei einer weiteren Abstimmung über Ukraine-Hilfen im September, allerdings in Verbindung mit anderen Haushaltsausgaben, gab es noch mehr Gegenstimmen.
Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland und Exportkontrollen bei Spitzentechnologien sind das zweite Standbein der US-Unterstützung für die Ukraine. Seit Kriegsbeginn geht Washington mit umfassenden Sanktionen gegen einzelne Sektoren der russischen Wirtschaft und gegen Personen vor, einschließlich der politischen Elite und Putin-treuer Oligarchen. Russlands Zentralbankreserven wurden eingefroren und mehrere Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen. Exportkontrollen verhindern, dass Schlüsseltechnologien nach Russland ausgeführt werden und im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt werden könnten.
Diese Maßnahmen sind eng mit den Verbündeten und weiteren Partnern der USA abgestimmt. Dreißig Länder beteiligen sich an den Sanktionen gegenüber Russland. Darüber hinaus hat die US-Regierung schon im März im Zusammenspiel mit Großbritannien einen Importstopp für russisches Rohöl und andere fossile Brennstoffe verhängt sowie Investitionen von US-Personen im russischen Energiesektor untersagt. Zudem gelang es Biden, die G7-Staaten von einem gemeinsamen Vorgehen zu überzeugen. Die EU kündigte kurz nach den USA einen schrittweisen Ausstieg aus russischen Öl- und Kohleimporten bis Jahresende an. Im Sommer einigten sich die G7 überdies auf ein Embargo für Gold aus Russland.
Der US-Präsident hat zugesagt, die Ukraine so lange zu unterstützen, wie es nötig ist. Daran hängt auch seine Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner. Auch ohne die Kongressmehrheit wird Biden die Sanktionen und Exportkontrollen per Exekutivverordnung weiterführen oder sogar noch ausweiten können. Bei weiteren Militärhilfen für die Ukraine könnte es der Kongress dem Präsidenten allerdings schwermachen.
Zwar erklärte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, dass die Partei weiterhin uneingeschränkt an der Seite der Ukraine stehe. Laut einer Meinungsumfrage vom Oktober befürwortet bisher eine klare Mehrheit (66 Prozent) der Anhängerinnen und Anhänger der Republikaner die Ukraine-Hilfen. In den Wochen vor den Zwischenwahlen äußerten sich aber mehrere einflussreiche Politikerinnen und Politiker der Republikaner kritisch zu einer größeren finanziellen Unterstützung der Ukraine. Beispielsweise wehrte sich Kevin McCarthy, der als Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus gehandelt wird, öffentlich dagegen, der Ukraine einen »Blanko-Scheck« zu erteilen. Auch unter Abgeordneten der Demokraten mehrten sich kritische Stimmen, die zwar die Finanzhilfen nicht infrage stellten, aber von Biden eine diplomatische Öffnung gegenüber Russland forderten.
Auch außerhalb des Kongresses versuchten einige einflussreiche, politisch rechtsgerichtete Gruppen den Druck auf die Regierung Biden zu erhöhen, die Hilfen für die Ukraine auslaufen zu lassen. Heritage Action, die Lobbyorganisation des konservativen Think-Tanks Heritage Foundation, stellte sich bereits seit Mai 2022 gegen Bidens Ukraine-Politik. Auf der vom früheren Präsidenten Donald Trump gegründeten Social-Media-Plattform Truth Social sowie auf anderen eher rechtsgerichteten Plattformen wurde ebenfalls gegen Präsident Selenskyj und gegen die Ukraine-Politik der Biden-Regierung Stimmung gemacht.
In Zukunft könnten die Republikaner der Biden-Regierung das Leben schwermachen, wenn es um Vorhaben zur Unterstützung der Ukraine geht und dafür über die Vergabe von Haushaltsmitteln verhandelt werden muss. Gerade weil die Republikaner damit gescheitert sind, in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit zu erlangen, könnten sie den geringen Handlungsspielraum, den sie hinzugewonnen haben, zu einer Blockadepolitik nutzen. Das letzte Finanzpaket für die Ukraine vom September wird am 16. Dezember auslaufen. Sobald der neue Kongress Anfang 2023 eröffnet wird, könnten die Republikaner androhen, weitere Haushaltsmittel (appropriations) für die Ukraine, die im Laufe des Jahres notwendig werden, auf den Prüfstand zu stellen. Über den Vorsitz außenpolitisch wichtiger Ausschüsse im Repräsentantenhaus könnten sie weitere Haushaltsvorlagen (continuing resolutions) bremsen und hätten die Oberhand darüber, welche Ausgabenvorschläge im Plenum beraten werden. Bei Abstimmungen wird Biden vermutlich nicht mehr allein auf die Stimmen der Demokraten bauen können – er wird Kompromisse eingehen und politisches Kapital einsetzen müssen. In welcher Höhe der Kongress Ukraine-Hilfen bewilligen wird, wird darüber hinaus beeinflusst von Entwicklungen wie der Inflation und einer wahrscheinlicher werdenden wirtschaftlichen Rezession sowie von der öffentlichen Meinung.
Scharfe Konkurrenz mit China
Der strategische Umgang mit China bleibt auch nach der Wahl oberste außenpolitische Priorität. Die Regierung Biden hat in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom Oktober dieses Jahres den Wettbewerb mit China als wichtigstes Ziel ausgegeben. Chinas militärische Fähigkeiten sollen eingeschränkt und teils auch geschwächt werden. Vor allem außenwirtschaftliche Instrumente sollen dazu dienen, die Volksrepublik von solcher Spitzentechnologie auszuschließen, die zivil und militärisch genutzt werden kann (dual use). Aus Sicht der Biden-Regierung ist eine Unterscheidung zwischen den beiden Sphären im Fall Chinas nicht mehr möglich. Sie reagiere damit auf die 2017 beschlossene Änderung des Statuts der Kommunistischen Partei Chinas, die Peking die Macht gegeben hat, jederzeit in jeden Wirtschaftssektor eingreifen zu können. Die Aufhebung dieser Trennung erfordere, so Washington, eine neue Praxis bei Exportkontrollen.
Bislang hat die Regierung Biden den harten Kurs in der China-Politik, der unter der Präsidentschaft Trumps eingeschlagen wurde, nicht nur fortgesetzt, sondern verschärft. Biden hat die Zollpolitik beibehalten und das Technologie-Decoupling vorangetrieben. Einer Kooperation mit China, etwa in der Klimapolitik, erteilte er zwar nicht grundsätzlich eine Absage; in sicherheitspolitisch sensiblen Bereichen ist es nach Ansicht seiner Regierung jedoch angezeigt, chinesische Unternehmen vollständig auszuschließen. Daran knüpfen sich nicht zuletzt Erwartungen an die Verbündeten und andere außenpolitische Partner, beispielsweise im Hinblick auf Telekommunikationstechnologie: Den Einsatz von 5G-Hardware des chinesischen Unternehmens Huawei in deutschen Netzen sieht die aktuelle US-Regierung nicht weniger kritisch als Trump, selbst wenn man auf europäische Partner keinen öffentlichen Druck aufgebaut hat.
Der Kongress hat unter Biden eigenständig ein härteres Vorgehen gegen China initiiert. Im Dezember 2021 verabschiedete er mit breiter überparteilicher Mehrheit in beiden Kammern das Gesetz zur Verhinderung uigurischer Zwangsarbeit in der Region Xinjang (Uyghur Forced Labor Prevention Act, UFLPA). Es soll bestimmte Importe verhindern, und zwar sowohl von Waren, die direkt aus Xinjang stammen, als auch von Rohstoffen und Komponenten, die zu irgendeinem Zeitpunkt im Produktionsprozess die Region passiert haben (etwa Baumwolle oder Polysilizium für Solarpanele). Importeure müssen nachweisen können, dass sie keine Produkte aus Zwangsarbeit einführen. Die US-Behörden sind berechtigt, mit harten Strafen gegen Verstöße vorzugehen. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass andere Staaten mitziehen sollen.
Setzen die US-Behörden das Gesetz nun in voller Härte um, könnten Forderungen im Kongress zunehmen, die Biden-Regierung solle größeren Druck auf außenpolitische Partner ausüben, ebenfalls gegen Chinas Exporte von Waren aus Zwangsarbeit durchzugreifen. Die EU hat zwar selbst bereits eine Initiative gestartet, um Waren und Produkte aus Zwangsarbeit vom eigenen Markt nehmen zu können. Allerdings ist das Gesetz allgemein gehalten und richtet sich nicht ausdrücklich gegen China. Es wird voraussichtlich frühestens 2023 in Kraft treten, die Verantwortung für die Durchsetzung bei den Regierungen der Mitgliedstaaten liegen. Erst einige Jahre später könnte das Gesetz tatsächlich Wirkung zeigen. Dem US-Kongress könnte dieser Ansatz nicht weit genug gehen.
Des Weiteren verabschiedete der Kongress im August 2022 mit großer Mehrheit den CHIPS and Science Act (CHIPS). Er soll die Abhängigkeit von in China produzierten einfachen Chips sowie von wichtigen Rohstoffen aus China so weit wie möglich reduzieren und zudem verhindern, dass die Volksrepublik in der Forschung zu und Entwicklung von anspruchsvollen Halbleiterchips aufsteigt. Zusätzlich zu den Gesetzen erließ Biden zwei weitreichende Exekutivverordnungen zu Export- und zu Investitionskontrollen, die darauf abzielen, China von Spitzentechnologie abzuschneiden und seinen Zugang zu Anwendungen künstlicher Intelligenz zu blockieren. Weitere Kontrollen im Bereich der Biotechnologie könnten hinzukommen.
Zusammengenommen liefern der UFLPA, der CHIPS und die Exekutivverordnungen zu Investitions- und Exportkontrollen hinsichtlich sensibler Technologien, Fertigungssoftware und Anwendungen künstlicher Intelligenz einen umfassenden Instrumentenkasten für den »Wettbewerb« mit Peking, unterhalb der Schwelle militärischer Auseinandersetzungen. Die neuen Regelungen unterstreichen den inzwischen überparteilichen Konsens dazu, noch tiefer in die Wirtschaft einzugreifen und massive Subventionen zugunsten der US-Produktion zuzulassen. Damit wächst auch der Druck auf außenpolitische Partner, zum Schutz der eigenen Unternehmen in dem angeheizten internationalen Wettbewerb eine aktivere Industriepolitik zu betreiben, einschließlich staatlicher Subventionen für bestimmte Sektoren der Wirtschaft.
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2024 ist damit zu rechnen, dass sich Demokraten und Republikaner – wie schon in den letzten Wahlkämpfen – mit ihrer Kritik an China sowie Forderungen nach weiteren Zöllen und Zwangsmaßnahmen regelrecht überbieten werden.
Klimapolitik
Die Klimapolitik stand für Biden anfangs weit oben auf der Agenda. In der neu angelegten »Klimaaußenpolitik« sind Biden und der Klimabeauftragte John Kerry jedoch an Grenzen gestoßen: Die Kooperation mit der EU in Klimafragen stockt. Kaum im Amt, schloss Biden zwei Dinge aus, einen Preis für Kohlendioxid (CO2) und einen Grenzausgleichsmechanismus, ähnlich dem CBAM der EU. Versuche, im Vorfeld der Weltklimakonferenz 2022 in Ägypten (COP27) mit China zu kooperieren, sind diesen Sommer vorerst gescheitert. China hatte in Reaktion auf den Taiwan-Besuch der Mehrheitsführerin im Kongress, Nancy Pelosi, weitere Gespräche mit den US-Klimadiplomaten abgesagt.
Trotzdem kann man der Biden-Regierung nicht absprechen, dass sie den Klimaschutz mit ambitionierten Investitionspaketen entscheidend vorangebracht hat: Biden hat neue Klimaziele festgelegt und mit dem Infrastrukturgesetz sowie dem jüngst verabschiedeten Anti-Inflations-Gesetz einen erheblichen Beitrag geleistet, um den CO2-Verbrauch zu reduzieren. Das Weiße Haus geht von einer Verringerung um 40 Prozent bis 2030 gegenüber dem Ausstoß von 2005 aus.
Nachdem die Demokraten in mindestens einer Kammer des Kongresses die Mehrheit verloren haben, rücken weitere klima- und umweltpolitische Maßnahmen per Gesetz erst einmal in weite Ferne. Versuche Bidens, die Klima- und Umweltstandards per Exekutivverordnungen durchzusetzen, wird der US Supreme Court vermutlich wieder rückgängig machen. Zuletzt untersagte das Gericht der Umweltbehörde EPA, die Treibhausgasemissionen von Kraftwerken unter dem Clean Air Act zu regulieren. Zwar steht einer Kooperation mit China nichts entgegen; bei der Reduzierung des Methanausstoßes etwa kann der Klimabeauftragte Kerry gemeinsam mit der EU und mehr als 120 Ländern, China inklusive, Ziele abstimmen. Um diese umzusetzen, wären dann jedoch wieder Kongressmehrheiten notwendig.
Ähnlich sieht es bei der Frage der »Wiedergutmachungszahlungen« aus, die reiche Industrienationen an ärmere Länder zum Ausgleich von Klimaschäden leisten sollen, wie auf der COP27 besprochen. Kerry könnte das befürworten, aber hohe staatliche Zahlungen in einen globalen Fonds wären schwer vorstellbar, selbst bei (dünnen) Mehrheiten für die Demokraten. Um dennoch US-Zusagen an Schwellen- und Entwicklungsländer einzuhalten, Mittel zur Klimafinanzierung in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, konzentriert sich Kerry weitgehend auf den Privatsektor. Diesen möchte er für Investitionen gewinnen, die Schwellen- und Entwicklungsländern zugutekämen.
Iran, internationale Vereinbarungen, Nordkorea
Völliger Stillstand droht nach den Zwischenwahlen bei außenpolitischen Initiativen, die mit einer internationalen Vertragsvereinbarung einhergehen. Das bezieht sich insbesondere auf eine Erneuerung des Atomabkommens von 2015 mit Iran (JCPOA), die im Kongress verabschiedet werden müsste. Bei der Unterzeichnung des Abkommens unter Präsident Barack Obama lehnte sich die republikanische Opposition dagegen auf. Kurz nach Amtsantritt beendete Donald Trump die US-Beteiligung am JCPOA. Trump schwenkte um auf einen Kurs des »maximalen Drucks«, entgegen den Bedenken und Interessen der anderen Vertragspartner. Seitdem ist klar, dass eine internationale Vereinbarung, die allein auf einer Exekutivverordnung fußt, wie das JCPOA, nicht dauerhaft tragfähig ist. Eine bessere Lösung ist bisher nicht in Sicht.
Die ablehnende Haltung der Republikaner gegenüber vertraglichen Verpflichtungen auf internationaler Ebene geht jedoch über das JCPOA hinaus. Es wäre wahrscheinlich, dass die Republikaner jegliche Verträge zu Themen wie Globaler Gesundheit, Klima- und Umweltschutz, Rüstungskontrolle, Nichtverbreitung von Atomwaffen sowie Handels- und Investitionsabkommen blockieren. Ferner kann man davon ausgehen, dass sie im Repräsentantenhaus erneut die sogenannte Hastert-Regel anwenden, auch bekannt als »Mehrheit der Mehrheit«-Regel. Der Sprecher des Repräsentantenhauses lässt danach nur noch Abstimmungen über Gesetzesvorlagen zu, denen schon im Vorfeld eine Mehrheit der Mehrheitspartei zustimmt.
Im Fall Nordkoreas, das vor der US-Wahl seine Nachbarn ein weiteres Mal mit Raketentests provoziert hat, zeigt sich immer deutlicher, dass die von den Vereinten Nationen beschlossenen Sanktionen wirkungslos geblieben sind (vgl. SWP-Aktuell 65/2022). Sie konnten die Atombestrebungen des Machthabers Kim Jong Un nicht verhindern. Vor allem Russland und China unterwandern die Sanktionen; dagegen waren sowohl Trump als auch Biden bislang machtlos. Eigentlich wäre das ein zentrales Feld für eine Neuausrichtung der US-Politik, die von beiden Parteien getragen werden müsste. Ob es zu einer Kooperation über Parteigrenzen hinweg kommt, bleibt jedoch offen. Die politische Polarisierung und der zu erwartende erbitterte Kampf um die Präsidentschaft 2024 könnten dazu führen, dass selbst in einer so drängenden außenpolitischen Frage kein Konsens mehr erreicht wird.
Ausblick: Aufgaben für Europa
Auch nach dem für ihn überraschend positiven Ergebnis bei den Zwischenwahlen ist Bidens innenpolitischer Handlungsspielraum weiterhin begrenzt; außenpolitisch dürfte er zumindest teilweise handlungsfähig bleiben. Aus europäischer Perspektive sollten bei der Zusammenarbeit mit der Biden-Regierung drei Themen im Mittelpunkt stehen: 1) die Fortsetzung der Ukraine-Unterstützung, 2) der Umgang mit China, 3) die Klimapolitik. In allen drei Bereichen besitzt die EU sowohl ein Interesse als auch Kapazitäten, eigene Strategien zu entwickeln und umzusetzen; außerdem gibt es ausreichende Überschneidungen mit den außenpolitischen Prioritäten Bidens. Daher verspricht die Zusammenarbeit mit seiner Regierung außenpolitische Erfolge für beide Seiten.
Bei der Unterstützung für die Ukraine ist auch im neuen Kongress kurzfristig mit Kontinuität zu rechnen. Trotzdem erhöht die noch unklare Positionierung der Republikaner zu weiteren Hilfen für das Land den Druck auf die europäischen Staaten, eigene Beiträge zu seiner Unterstützung zu überprüfen. Um die Ukraine gegenüber Russland zu stärken, sollten die EU und die europäischen Nato-Partner im Zusammenspiel mit Washington mehr militärische Mittel zur Verfügung stellen. Zudem sollten sie gemeinsam mit Biden die umfassenden Sanktionen gegen Russland sowie die Exportkontrollen fortführen, ihre Umsetzung überwachen und, wo nötig, nachschärfen. Damit Deutschland Sanktionen effektiver durchsetzen kann, ist es erforderlich, das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II schnell zu verabschieden. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung die Initiative der Europäischen Kommission für eine EU-weite Zentralstelle unterstützen, die überwachen soll, ob bzw. wie die Mitgliedstaaten Sanktionen einhalten. Ziel ist es, Schlupflöcher wirksam zu schließen.
In Bezug auf Russland ist überdies zu empfehlen, dass die EU und die USA weiter gemeinsam daran arbeiten, die Einnahmen des Landes aus dem Export fossiler Energieträger so weit wie möglich zu drosseln, ohne Verwerfungen auf den Energiemärkten zu verursachen. Bessere Rahmenbedingungen für ein eng mit Washington abgestimmtes Vorgehen wird es absehbar nicht geben. Gleichzeitig besteht in den genannten Bereichen dringender Handlungsbedarf.
Was die China-Politik anbetrifft, sollte die EU bedenken, dass die Biden-Regierung ihren harten Kurs gegenüber der Volksrepublik mit der Erwartung an die EU verbindet, einen ähnlichen Kurs einzuschlagen. Das schließt die Bereitschaft mit ein, mindestens vergleichbare außenwirtschaftliche Instrumente gegen die politische Einflussnahme Chinas einzusetzen. Zum Beispiel könnte Washington von der EU fordern, ihre Sanktionen gegen China auszuweiten und ihre Investitionskontrollen nachzubessern. Washington setzt im Bereich Spitzentechnologie (vor allem Halbleiter) zunehmend auf Exportkontrollen und könnte Ähnliches auch von der EU verlangen. Die Regierung Biden hat immer wieder betont, dass sie anstrebt, bei neuen, sicherheitspolitisch sensiblen Technologien gemeinsame Standards zu setzen, insbesondere bei den Anwendungen künstlicher Intelligenz. Ebenso ist anzunehmen, dass Washington von der EU härtere Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen in China erwartet, nachdem der Kongress mit dem UFLPA ein sehr weitreichendes Gesetz gegen Einfuhren von Waren aus Zwangsarbeit beschlossen hat.
Aus Sicht der Biden-Regierung ist der Trade and Technology Council (TTC) das entscheidende außenpolitische Format, um sich mit der EU in diesen Fragen abzustimmen. Mit asiatischen Staaten haben die USA ein vergleichbares Austausch- und Verhandlungsformat geschaffen, den Indo-Pacific Economic Framework (IPEF). Nachdem sich Brüssel und Washington eng über Sanktionen und Exportkontrollen gegenüber Russland abgestimmt und sie konzertiert umgesetzt haben, liegt es aus Washingtoner Perspektive nahe, den TTC auch für die Verständigung über eine kohärente Vorgehensweise gegenüber China zu nutzen.
Der Ausgangspunkt für die Arbeit des TTC war hingegen ein breites Spektrum an Problemen und offenen Fragen in der Handels- und Technologiepolitik der EU wie der USA. Beide Seiten hatten sich bei der ersten Zusammenkunft im Oktober 2021 auf zehn Arbeitsgruppen geeinigt, darunter solche zur Klimafinanzierung und zur Zukunft der globalen Handelsordnung. Die EU-Kommission hat daher jedes Recht, darauf zu pochen, dass der TTC nicht zu einem reinen »Anti-China-Club« wird. Die jüngste Entscheidung Washingtons, als Teil des Anti-Inflations-Gesetzes großzügige Klimasubventionen nur an Unternehmen zu vergeben, die Elektrofahrzeuge in den USA produzieren, wurde in Brüssel als Belastung des transatlantischen Verhältnisses aufgenommen. Die EU-Kommission hat sich bei der US-Regierung über das Gesetz beschwert, da sie europäische Hersteller benachteiligt und Prinzipien der Welthandelsorganisation (WTO) verletzt sah. Auch dieser Schritt und das Signal, falls nötig handelspolitische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, sind legitim. Inzwischen ist eine transatlantische Task-Force eingesetzt worden, die die Streitfragen klären soll.
Dennoch sollten die Kommission und mächtige Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich bei der Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Interessen das geopolitische Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Anstatt eine WTO-Beschwerde auszuarbeiten, sollte in den nächsten Monaten die Priorität eher darauf liegen, die Regierung Biden dazu zu bewegen, die seit 2017 andauernde US-Blockade der WTO-Streitschlichtung aufzuheben und sich für notwendige Reformen des Regelwerks zu öffnen.
Wünschenswert wäre, dass die EU in der Klimapolitik ähnlich vorgeht. Beide Seiten sollten den TTC auch dazu nutzen, gemeinsam auszuloten, inwieweit sie bereit sind, ihre jeweiligen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele als gleichwertig anzuerkennen. So könnten sie wichtige Grundlagen für einen Klima-Club legen, der ohne Verpflichtung auf einen CO2-Preis auskommt – wie beim G7-Gipfel in Elmau vereinbart. Der Club sollte so angelegt sein, dass er anderen Ländern offensteht.
Dr. Laura von Daniels ist Leiterin der Forschungsgruppe Amerika.
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DOI: 10.18449/2022A73