EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach im Juni 2019 von einem »historischen Augenblick«, als sich die EU und die vier Staaten des Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) nach 20 Jahren grundsätzlich über ein Freihandelsabkommen verständigt hatten. Drei Monate später steht das Abkommen jedoch unter massivem Druck der Öffentlichkeit und von zumindest vier EU-Mitgliedstaaten: Angesichts der Brände im Amazonas-Gebiet und der konfrontativen Haltung von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro drohen die Regierungen Frankreichs, Irlands und Luxemburgs wie auch das österreichische Parlament damit, das Abkommen nicht zu ratifizieren. Auch im Europäischen Parlament artikuliert sich massiver Widerstand, Boykott-Androhungen überschatten die geplante Öffnung des europäischen Marktes für Agrarprodukte aus dem Mercosur. Doch das Regionalabkommen eignet sich kaum dafür, Konflikte mit nur einem Partner auszutragen. Zweckmäßiger wäre es vielmehr, die Schwachpunkte beim Arten- und Waldschutz mit effektiven Überwachungsverfahren zu beseitigen und die Schutzpolitik mit bestehenden Instrumenten zu vertiefen.
Die Wucht der politischen Auseinandersetzung über den noch nicht vorliegenden Text des EU-Mercosur-Abkommens hat nicht nur die beteiligten Regierungen beider Regionen überrascht. Kritiker nahmen die Brände im Amazonas zum zentralen Ansatzpunkt, um das Unbehagen von Teilen der Landwirtschaft Europas (besonders in Frankreich und Irland, aber auch im Wahlkampf in Österreich) zu artikulieren. Das ohnedies ungeliebte Abkommen konnte so als schädlich für Umwelt, Ökologie und Klima gebrandmarkt werden, womit sich gleichzeitig das Interesse am Schutz der EU-Landwirtschaft politisch bedienen ließ. Viel zur Aufwallung hat das Verhalten des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro beigetragen, dessen Präferenz für die Nutzung des Amazonasbeckens als Quelle wirtschaftlichen Wachstums viele europäische Umweltaktivisten schon vor seinem Amtsantritt beunruhigte. Aus ihrer Sicht ist nun der Nachweis erbracht, dass die brasilianische Seite kein ernsthaftes Interesse an regelkonformem Verhalten hat. In diversen Onlinepetitionen wird das Ende des Abkommens verlangt, da die brasilianische Regierung »die grüne Lunge der Welt« zerstöre.
Die lange Dauer der Verhandlungen weist bereits auf die multiplen Schwierigkeiten hin, denen dieses Unterfangen ausgesetzt war. Das stark agrarisch geprägte Exportprofil der Länder des Mercosur wirkte dabei ebenso als Hindernis wie die internen Widersprüche, insbesondere zwischen Argentinien und Brasilien. Diese konnten erst durch die Bereitschaft von Präsident Macri (Argentinien) und Bolsonaro (Brasilien) überwunden werden, das Bündnis zu entpolitisieren. In der Folge rückte das Interesse an wirtschaftlicher Integration wieder stärker in den Vordergrund und drängte Auseinandersetzungen über bilaterale Autoimporte sowie gescheiterte Großinvestitionen zurück.
Das EU-Mercosur-Abkommen
Die Vereinbarung zwischen der EU und dem Mercosur, die 773 Millionen Menschen betrifft, schafft nach Ansicht der EU-Kommission einen robusten Rahmen für den bisherigen Waren- und Dienstleistungshandel (Ersterer hat einen Umfang von 88 Milliarden Euro, Letzterer von 34 Milliarden Euro). Damit sollen die teilweise prohibitiv hohen Zölle auf Autos (bis zu 35%) und auf Autoteile (14–18%) für die EU gesenkt werden. Durch die Liberalisierung sollen pro Jahr nach Schätzungen 4 Milliarden Euro an Zollzahlungen eingespart werden. So wird der Mercosur 91% seiner Importe aus der EU binnen zehn Jahren vollständig zollfrei stellen, bei der EU sollen es 92% sein. Dies wird mit Kontingentlösungen für bestimmte sensible Produkte sowie den Ausschluss einer kleinen Zahl von Gütern ergänzt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Rindfleischimport aus dem Mercosur, der einem Kontingentierungsregime unterliegt – eine Regelung, die auch bei Geflügel und Zucker Anwendung findet. Bei Ethanol, das aus Zuckerrohr gewonnen wird, regelt sich die Mengenbeschränkung nach dem Verwendungszweck. Hinzu kommen eine Verständigung über Normen und Standards zum Umweltschutz und die Anwendung von Normen der Internationalen Arbeitsorganisation.
Trotz der vereinbarten Lieferquoten sehen Lobbyisten der EU-Landwirtschaft nach wie vor eine Bedrohung für die bäuerlichen Strukturen in Europa. Durch billige Importe würden leichtfertig bäuerliche Existenzen gefährdet und das gewonnene Vertrauen der Verbraucher erschüttert. Im Vordergrund des Interesses steht insbesondere das europäische Vorsorgeprinzip, wonach Regierungen einen rechtlichen Anspruch haben, zum Schutz von Menschen, Tieren, Pflanzen und der Umwelt im Lichte eines wahrgenommenen Risikos zu agieren, auch wenn es keine gesicherte wissenschaftliche Evidenz gibt. Das harte Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen trägt diesem Prinzip ebenso Rechnung wie die Festlegung von Grenzen für den Pestizideinsatz durch Spezifikationen von Rückstandshöchstgehalten (etwa von Glyphosat) bei Lebensmitteln. Auf Grundlage des dabei angewendeten Risikobewertungsansatzes erwarten nicht zuletzt Vertreter der europäischen Landwirtschaft, dass die Anerkennung von Vorsorgemaßnahmen seitens des Mercosur sehr viel deutlicher im Handelsabkommen festgeschrieben würde, um gleiche Marktbedingungen zu gewährleisten.
Abholzung und Brandrodung im Amazonasbecken
Neue Weideflächen durch Brandrodung zu erschließen ist Teil einer Logik, die auf Ausdehnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche gerichtet ist. Im Zusammenspiel von Kleinbauern und Agroindustrie hat diese Logik in Brasilien Tradition. Regen- und Trockenwälder werden legal und illegal gerodet, womit nicht nur Artenschutz, Wasserkreisläufe und Waldbestand beeinträchtigt, sondern auch die Territorien indigener Bevölkerungsgruppen und deren Schutzrechte weiter eingeschränkt werden. Brasiliens Politik der »In-Wert-Setzung« der Naturschätze des Amazonas und der vertieften Nutzung der Fläche für Viehwirtschaft und den Anbau von Soja und Zuckerrohr dämpfen die Erwartungen, dass Brasilia die Pariser Klimaziele umsetzt. Schnell wurden die Brände als »internationale Krise« und als »Notfall« angesehen, Frankreichs Staatspräsident setzte sie auf die Agenda des G7-Gipfels in Biarritz. Damit rief er den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro auf den Plan, der darin eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Brasiliens sah und auf eine Beteiligung der Amazonas-Staaten drängte. Er erinnerte – wie schon seine Amtsvorgänger – die internationale Gemeinschaft daran, dass sein Land die Souveränität über den größten Teil des Amazonasbeckens ausübe, auch wenn international immer wieder die Bedeutung des Regenwaldes als globale CO2-Senke und die damit verbundene globale Verantwortung betont werde. Der Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Macron und Bolsonaro zeigte, dass die staatliche Politik ebenso wie viele Umweltaktivisten Gefahr laufen, Brasilien mit der Person des Präsidenten gleichzusetzen, ohne zu berücksichtigen, dass sich auch im Lande selbst viele Akteure mobilisieren, um der umstrittenen Politik Bolsonaros Einhalt zu gebieten.
Allerdings erscheint es fraglich, ob ein Assoziierungsabkommen mit dem Mercosur wirklich das beste Instrument der EU und ihrer Mitgliedstaaten ist, in der aktuellen Krise Einfluss auf die brasilianische Regierung zu nehmen. Die im Abkommen erreichte Zusicherung, ökologische und soziale Standards einzuhalten, ist eine der Komponenten, Nachhaltigkeit zu sichern. Hinzutreten müssen die in der EU vorgeschriebenen Verfahren des »Sustainability Impact Assessment«, um mögliche Auswirkungen des Handelsabkommens abschätzen zu können. Nur auf dieser Grundlage lässt sich eine solide Entscheidung treffen. Zudem sieht der bislang bekannte Text des Nachhaltigkeitskapitels eine Regelung vor, die es den EU-Ländern gestattet, Importe von Gütern zu blockieren, die mit dem Verdacht auf Umweltzerstörung behaftet sind. Doch auch diese Vereinbarung geht jenen Kritikern nicht weit genug, die wirksame Sanktionsmittel und eine verpflichtende Kontrolle mit Vorgaben für regelmäßige Nachweisverfahren verlangen. Ihnen liegt daran, dass sich Nachhaltigkeitsforderungen einklagen lassen, um so im Vertrag stärkere Durchsetzungsrechte zu verankern.
Schwache Grundlagen der politischen Einigung
Das Abkommen umfasst regulatorische Bestimmungen und Investitionsregeln, die über den ausschließlichen Kompetenzbereich der EU-Kommission hinausgehen. Darum wird es nicht nur vom Europäischen Parlament zu billigen sein, es bedarf auch der Zustimmung der Mitgliedstaaten, zumeist auch der Parlamente und zum Teil auch von Regionalparlamenten. Nach einer möglichen schriftlichen Einigung, die im Oktober erfolgen könnte, wird das Ratifizierungsverfahren eingeleitet, das mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Damit ist das Abkommen – wenigstens in jenen Teilen, die nicht in die ausschließliche Kompetenz der Kommission fallen – dazu angetan, in vielfacher Hinsicht zum Spielball nationaler und regionaler Interessen zu werden. Bislang haben sich auch in Deutschland die betroffenen Ressorts sehr unterschiedlich zu dem anvisierten Abkommen verhalten. Viele Stellungnahmen lassen erkennen, dass die Durchsetzung von Maximalforderungen im Vordergrund steht, die mit den Partnern des Mercosur kaum zu verhandeln sind. Man wird jedoch nicht umhinkommen, den Souveränitätsanspruch Brasiliens anzuerkennen, wenn es um die Nutzung des Amazonasregenwaldes geht, sofern nicht gleichzeitig Ausgleichsmittel für die Wahrung der aus globaler Sicht bestehenden klimapolitischen Erfordernisse angeboten werden.
Oft gerät aus dem Blick, dass Freihandelsverträge darauf abzielen, Zölle und Handelshemmnisse abzuschaffen, und nur begrenzt dazu taugen, weit ausgreifende umwelt- und klimapolitische Forderungen durchzusetzen. Eine tragfähige Balance zwischen verschiedenen Interessen muss durch ein umfassendes Instrumentarium der klimabezogenen Schutzpolitik ergänzt werden. Eine Aussetzung des Abkommens würde auch Argentinien, Paraguay und Uruguay in ihren Interessen an gemeinsamen Handel schädigen. Hier wird schnell deutlich, dass sich ein bi-regionales Abkommen nur schlecht als Mittel eignet, Konflikte mit einem Partnerland erfolgreich auszutragen, ohne die anderen Vertragspartner zu schädigen. Wenn Deutschland oder Norwegen bilateral mit Brasilien vereinbarte Umweltprogramme im Gefolge der Brände und der fragwürdigen Haltung von Präsident Bolsonaro einfrieren, ist dies insoweit ein sinnvolleres Instrument, um der Entwaldung entgegenzuwirken, statt das gesamte Mercosur-Abkommen zu blockieren. Im letzteren Fall könnte rasch der Eindruck entstehen, dass es vor allem um die Verteidigung der europäischen Landwirtschaft geht, weniger um die globale Klimapolitik.
Aber nicht nur in der EU könnten dem Vertrag die Grundlagen entzogen werden: Dieses Szenario ist auch im Mercosur denkbar, etwa wenn in Argentinien die eher protektionistisch orientierten peronistischen Präsidentschaftskandidaten Alberto Fernández und Cristina Fernández de Kirchner die Wahlen am 27. Oktober 2019 gewinnen. In der Folge dürften sich auch die Konflikte zwischen Buenos Aires und Brasilia wieder verschärfen und könnte der Rückhalt für das Abkommen schwinden.
Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob die politische Einigung vom Juni 2019 noch ausreichend trägt, um die Vereinbarung erfolgreich abzuschließen. Zumindest hat die aktuelle Auseinandersetzung deutlich gemacht, dass an bestimmten Punkten noch Bedarf für Nachverhandlungen besteht. Diese Chance sollten die Vertragspartner nutzen, um die Zweifel an der garantierten Umsetzung der Standards bei Arbeitsrechten und Umweltkriterien zu entkräften, indem man geeignete Prüfverfahren vereinbart, um ihre Umsetzung zu überwachen.
Effektiver Amazonas-Schutz jenseits des Freihandels
Daraus wird unmittelbar erkennbar, dass Tropenwaldschutz sich durch eine Fülle von Instrumenten effektiver und sinnvoller betreiben lässt als durch Sanktionspolitik und Restriktionen im Freihandel. Gefragt sind Maßnahmen, die förderlich auf die Bewahrung der biologischen Vielfalt im Amazonas-Regenwald und die Sicherung des Schutzgebietsnetzes wirken. Hierzu bedarf es eines positiven Anreizsystems in Form von Umweltfonds und Finanzierungsinstrumenten, die eine solche Politik für die brasilianische Politik und Gesellschaft attraktiv machen. Amazonas-Schutz wird weder von Brasilien noch von den anderen Anrainerstaaten des Amazonas zum Nulltarif zu bekommen sein, die internationale Gemeinschaft wird dafür geeignete Ausgleichsmechanismen anbieten müssen.
Dies haben auch die sieben Regierungschefs der betroffenen Länder (Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Surinam) im Pacto de Leticia festgehalten, den sie am 6. September 2019 bei einem Gipfeltreffen zum Schutz des Amazonas unterzeichnet haben. Sie fordern darin ein verstärktes Zusammenwirken, um den vielfältigen Gefährdungen des Regenwaldes zu begegnen, etwa illegalen Praktiken in Bergbau, Drogenhandel und Holzeinschlag und bei der Ausdehnung von Anbauflächen. Dabei verweisen sie auf die große Zahl einschlägiger internationaler Verpflichtungen und Vereinbarungen, die bereits abgeschlossen wurden. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Amazonaspakts (Organización del Tratado de Cooperación Amazónica, OTCA), dem außerdem noch Venezuela angehört, soll zu diesem Zweck vertieft werden.
Diese vielfältigen Mechanismen gilt es zu aktivieren und zu unterstützen. Das EU-Mercosur-Abkommen ist nur ein weiteres Instrument, das sich nutzen lässt, um den Amazonas zu schützen. Es geht darum, mit den Ländern der Region zusammenzuwirken, sie aber nicht durch Bestrafung mit Handelssanktionen oder gar eine Verweigerung des gesamten Abkommens zu isolieren. Für den Amazonas-Schutz ist Zusammenarbeit auf vielen verschiedenen Ebenen erforderlich. Handelspolitische Konditionalitäten, die auf nur einen von 31 Partnern einwirken sollen, helfen nicht weiter.
Prof. Dr. Günther Maihold ist Stellvertretender Direktor der SWP.
© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2019
Alle Rechte vorbehalten
Das Aktuell gibt die Auffassung des Autors wieder.
SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfahren, einem Faktencheck und einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP-Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ qualitaetssicherung/
SWP
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit
Ludwigkirchplatz 3–4
10719 Berlin
Telefon +49 30 880 07-0
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org
swp@swp-berlin.org
ISSN 1611-6364
doi: 10.18449/2019A51