Nach neuen Provokationen ist Nordkorea zurück auf der Agenda der internationalen Gemeinschaft. Die USA dürfen sich jetzt nicht auf ein rhetorisches Tauziehen einlassen. Stattdessen muss schnell gehandelt werden, meint Eric J. Ballbach. Auch Europa kann dabei eine Rolle spielen.
Nachdem es einige Monate ruhig geworden war in den Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA, machen die Entwicklungen der letzten Tage deutlich, dass Pjöngjang zurück auf der Agenda der internationalen Gemeinschaft ist. Zunächst wurde bekannt, dass die USA seit Mitte Februar über mehrere Kanäle versuchten, Kontakt mit Nordkorea aufzunehmen, jedoch keine Antwort erhielten. Dann veröffentlichte Nordkorea zwei Erklärungen hochrangiger Regierungsfunktionäre: Am 16. März kritisierte Kim Yo Jong in einem Statement die gemeinsame Militärübung der USA und Südkoreas und mahnte, dass Nordkorea das interkoreanische Militärabkommen von 2018 aufkündigen könnte, solle Seoul »weitere provokative Handlungen« wagen. Zwei Tage später wurde die erste stellvertretende Außenministerin Choe Son Hui mit den Worten zitiert, Nordkorea sehe keinen Grund, zu den Gesprächen mit Washington zurückzukehren; den Vorstoß der USA bezeichnete sie als einen »billigen Trick«. Die Qualität seiner Provokationen steigerte Pjöngjang mit dem Test von je zwei Cruise Missiles und ballistischen Kurzstreckenraketen am 23. und 25. März, womit es erneut gegen gültige Sicherheitsratsresolutionen verstieß.
Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass mit einer weiteren Eskalation auf der koreanischen Halbinsel zu rechnen ist. Dabei folgt Nordkorea bisher seinem traditionellen game plan: Es sendet eine Botschaft, die alle Optionen auf dem Tisch belässt, sorgt damit für maximalen Spielraum und legt, zumindest aus Sicht Pjöngjangs, den Ball ins Spielfeld Washingtons. So hat Nordkorea vor dem Abschluss des Policy-Review-Prozesses in den USA durch gezielte Provokationen den Einsatz erhöht, während es gleichzeitig vermittelte, dass die Tür für ein erneutes Engagement nicht völlig geschlossen ist. »Damit ein Dialog zustande kommt«, so Choe, »muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der beide Parteien auf Augenhöhe verhandeln können«.
Die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea hängt zu einem nicht unwesentlichen Teil davon ab, zu welchen Ergebnissen die Biden-Administration bei der Überprüfung der Nordkorea-Politik kommt. Dieser Prozess ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber es zeichnet sich bereits ab, dass die Politik der Biden-Administration sich maßgeblich von jener der Trump-Administration unterscheiden wird.
Erstens wird Joe Biden die personalisierte Diplomatie von Donald Trump nicht fortsetzen. Vielmehr möchte Washington die regionalen Akteure in Nordostasien wieder unmittelbarer in die Nordkorea-Frage einzubeziehen – und wird möglicherweise versuchen, die Atomfrage (wieder) multilateraler zu gestalten. Während seines jüngsten Besuchs in Japan und Südkorea erklärte Blinken, die Biden-Administration berate sich eng mit den Regierungen Seouls und Tokios sowie anderer verbündeter Nationen, räumte aber auch ein, dass Peking bei allen diplomatischen Bemühungen mit Pjöngjang »eine entscheidende Rolle zu spielen hat«. Ob die Konsultationen zu einem tatsächlichen Konsens führen, bleibt abzuwarten.
Zweitens werden die USA vermutlich eine prozessuale Lösung für die Atomfrage vorschlagen: Blinken selbst argumentierte 2018 in einem Beitrag in der New York Times, dass der beste Deal, den die USA mit Nordkorea erreichen könnten, »mehr als wahrscheinlich« dem Iran-Abkommen ähneln werde. Er schrieb, dass ein Interimsabkommen Zeit verschaffen würde, um ein umfassenderes Abkommen auszuhandeln, einschließlich einer sequenzierten Roadmap, die fortgesetzte Diplomatie erfordere.
Drittens scheint die neue US-Administration einen größeren Fokus auf die Menschenrechtsfrage zu legen. Während seines Besuchs in Seoul machte Blinken deutlich, dass die USA nicht nur Sicherheitsbedenken ansprechen würden, sondern auch die »weit verbreiteten, systematischen Misshandlungen« der nordkoreanischen Bevölkerung durch die Regierung.
Agieren, nicht reagieren: Wie die Erfahrungen mit Nordkorea zeigen, kommt es nun darauf an, dass die USA schnell handeln und ihre neue Nordkorea-Strategie sowohl ihren Verbündeten als auch Pjöngjang klar kommunizieren. Wenn die offiziellen Kommunikationskanäle blockiert sind, können Vermittlungsaktivitäten einzelner EU-Mitgliedstaaten wie beispielsweise Schweden und/oder Track-1.5-Vermittler hilfreich sein. Bis dahin ist es entscheidend, sich nicht in ein rhetorisches Tauziehen mit Nordkorea zu verstricken. Handelt die internationale Gemeinschaft gegenüber Nordkorea nicht rasch, wird Pjöngjang vermutlich wieder zu einer kriseninduzierenden Politik greifen – und die internationale Gemeinschaft dazu zwingen, auf weitere Provokationen zu reagieren. Stattdessen sollte es darum gehen, eine weitere Eskalation von vornherein zu verhindern.
Trennung der Themen: Die Nuklearfrage ist höchst komplex. Die Lösung der sicherheitspolitischen Komponenten dieses Problems erfordert die Auseinandersetzung mit einer Reihe unmittelbar damit verbundener politischer, diplomatischer, wirtschaftlicher und historischer Fragen. Wie der Fall der Sechs-Parteien-Gespräche, des bis dato letzten multilateralen Formats zur Beilegung der Nuklearkrise, gezeigt hat, kann ein einzelner Verhandlungsprozess jedoch schnell von der Vielzahl der damit einhergehenden Herausforderungen überfrachtet werden. Daher ist es wichtig, adäquate Formate mit den richtigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu etablieren, um die jeweiligen Themen und Herausforderungen zu diskutieren.
Es gibt eine Rolle für Europa: Die EU ist in Sicherheitsfragen auf der koreanischen Halbinsel zweifellos nur ein peripherer Akteur. Gleichwohl bietet die aktuelle Debatte über eine neue Indo-Pazifik-Strategie eine wichtige Gelegenheit für Brüssel, den eigenen Ansatz gegenüber Nordkorea kritisch zu reflektieren, da dieser seine erklärten Ziele – die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, die Stärkung des Nichtverbreitungsregimes und die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Nordkorea – nicht erreicht hat. Auch wenn die Nordkoreafrage nicht im Vordergrund dieser neuen Strategie stehen wird, muss die EU einen größeren politischen Willen zeigen, zur Lösung der anstehenden Sicherheitsfragen in der Region beizutragen, wenn sie ihr Profil als Sicherheitsakteur in der Region stärken will.
Demonstrierte Fähigkeiten, deklarierte Politik und blockierte Verhandlungen
doi:10.18449/2020A33
Zum Stand der US-Nordkorea-Beziehungen und zu den Herausforderungen für die EU
doi:10.18449/2019A71
Akteure, Problemlagen und Europas Interessen