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Afghanistan: Kein Grund zu Optimismus nach Bonner Konferenz

Die Ergebnisse der Bonner Konferenz bieten kaum Anlass zum Optimismus. Wesentliche Weichenstellungen für eine Konsolidierung Afghanistans sind nicht erfolgt. Nun müssen neue Strategien her, sagt Nils Wörmer.

Kurz gesagt, 05.01.2012 Research Areas

Die Ergebnisse der Bonner Konferenz bieten kaum Anlass zum Optimismus. Wesentliche Weichenstellungen für eine Konsolidierung Afghanistans sind nicht erfolgt. Nun müssen neue Strategien her, sagt Nils Wörmer.

Der Erfolg der Bonner Afghanistan-Konferenz vom 05. Dezember 2011 besteht vor allem in ihrer psychologischen Signalwirkung für die afghanische Bevölkerung. Denn viele Afghanen messen der Zusicherung fortwährender ziviler Unterstützung über das Ende des militärischen Einsatzes 2014 hinaus zentrale Bedeutung zu. Kritische Stimmen aus der politischen Opposition Afghanistans bemängeln jedoch, dass wenig Konkretes beschlossen wurde. Kernthemen des Afghanistankonfliktes konnten gar nicht verhandelt werden, weil wesentliche Akteure wie Vertreter der Aufständischen sowie Pakistans nicht an der Konferenz teilgenommen haben. In der Tat sollten die Ergebnisse der Konferenz nicht überbewertet werden. Wichtige Weichenstellungen für den Übergang in die Transformationsphase ab 2015 sind nicht erfolgt.

Kernprobleme des Transitionsprozesses 2011 bis 2014

Dass in Afghanistan im Jahr 2011 weniger Soldaten der Internationalen Schutztruppe (ISAF) getötet worden sind als im Vorjahr (565 gegenüber 711 im Jahr 2010), ist kein Indikator für eine verbesserte Sicherheitslage. Die Aufstandsbewegung hat sich trotz des hohen militärischen Drucks, der vor allem von US-Truppen erzeugt wurde, als sehr robust und anpassungsfähig erwiesen. Zuletzt gelang es den Aufständischen am 25. Dezember 2011, Abdul Mutaleb Beg, einen einflussreichen Machthaber und Parlamentsabgeordneten aus der Provinz Takhar, zu töten. Auch die vorangegangenen gezielten Tötungen hochrangiger Vertreter der ehemaligen Nordallianz verdeutlichen die Fähigkeit der Aufständischen, dem militärischen Druck nicht nur standzuhalten, sondern ihrerseits Druck auszuüben. Der erfolgreiche Anschlag auf Abdul Mutaleb Beg hat besondere Symbolkraft, weil er in der Provinz Takhar erfolgte, die erst kürzlich für die vollständige Übergabe von deutschen an afghanische Sicherheitskräfte ausgewählt worden war. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Voraussetzungen für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung fortwährend in Frage gestellt werden.

Was den Friedensprozess, also die Verhandlungen mit Vertretern der Aufständischen und die Aussöhnung, anbelangt, so sind bis dato keine nennenswerten Fortschritte zu verzeichnen. Nach dem schweren Rückschlag, den die Ermordung des Vorsitzenden des Hohen Friedensrates Burhanuddin Rabbani darstellte, konzentrieren sich die Hoffnungen auf die bevorstehende Eröffnung einer Auslandsvertretung der Taliban in Katar. Doch auch die Etablierung einer offiziellen Adresse der Taliban ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Kernforderungen der Taliban einerseits und die der Karzai-Regierung und der internationalen Gemeinschaft andererseits wechselseitig ausschließen. Während die Taliban den vollständigen Abzug der internationalen Truppen nach wie vor zur Voraussetzung von Friedensverhandlungen machen und sich weigern, die afghanische Regierung anzuerkennen und mit dieser zu verhandeln, fordert die internationale Gemeinschaft die Anerkennung der neuen afghanischen Verfassung und einen Gewaltverzicht der Taliban einschließlich der Aufkündigung ihrer Kooperation mit internationalen terroristischen Gruppierungen.    

Ob die Kooperation mit regionalen Akteuren, vor allem die stärkere Einbindung Pakistans und Irans im Sinne der internationalen Gemeinschaft, möglich ist, ist nach der dramatischen Verschlechterung der amerikanisch-pakistanischen Beziehungen im vergangenen Jahr mehr denn je fraglich. Sollte sich die jüngst geschmiedete Allianz afghanischer und pakistanischer Taliban-Gruppierungen, Shura-ye Murakeba, als handlungsfähig erweisen und, wie angekündigt, tatsächlich all ihre Ressourcen für den Kampf gegen die internationalen Truppen bündeln, so wird sich das Kräfteverhältnis in Afghanistan verschieben. Ohne die Unterstützung Pakistans werden sich in diesem Fall erhebliche Schwierigkeiten für die afghanischen Sicherheitskräfte und ihre westlichen Verbündeten ergeben.

Neue Strategien zur Konsolidierung Afghanistans notwendig

Hinsichtlich Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung konnten der Karzai Regierung in Bonn nach zähem Ringen Zugeständnisse abgerungen werden, und bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung hat die internationale Gemeinschaft größere Kraftanstrengungen angekündigt. Tatsächliche Fortschritte in diesen beiden Politikfeldern sind wesentliche Voraussetzungen, um den afghanischen Staat auf eine solidere Grundlage zu stellen und langfristig überlebensfähig zu machen. Entsprechende Bemühungen müssen integraler Bestandteil einer Strategie für die nächsten drei Jahre sein.  

Entscheidend für die Arbeit der ISAF ist das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung. Um dieses zu festigen, muss die internationale Staatengemeinschaft sehr deutlich machen, dass sie keinen weiteren Wahlbetrug akzeptieren und sicherstellen wird, dass Hamid Karzai, wie in der derzeitig gültigen Verfassung festgeschrieben, seine Regentschaft nicht über das Jahr 2014 ausdehnen kann.

Vor allem aber sind Anstrengungen notwendig, die Sicherheitslage zu verbessern sowie Fortschritte im Friedensprozess zu erwirken. Sollte die Realität in Afghanistan in den nächsten drei Jahren deutlich von der erhofften Entwicklung abweichen, könnten der vollständige Abzug der ISAF-Kampftruppen und die Einleitung der Transformationsphase im Jahr 2015 zu einem Debakel werden. Die Gefahr eines Rückfalls in den Bürgerkrieg wäre erheblich. Der internationalen Gemeinschaft bleiben nun drei Jahre Zeit, um Strategien zu entwickeln und Instrumente zu definieren, mit denen sie ab 2015 die Entwicklung Afghanistans im Sinne der in Bonn formulierten Ziele unterstützen kann.

Sollte sich im Verlauf der Jahre 2012 und 2013 herausstellen, dass einzelne Regionen in Afghanistan der Kontrolle der Zentralregierung entgleiten, brauchen sowohl die Nato als auch die Bundesregierung eine Planung für das ‚Worst Case Szenario‘.