-
Erschwerende Faktoren?
7. Erschwerende Faktoren?
Trotz des integrations- und sicherheitspolitisch per saldo eindeutig positiven Wahlresultats bestehen auch einige Faktoren, die unter bestimmten Voraussetzungen die euroatlantischen Bestrebungen und die gesellschaftlich-wirtschaftliche Reformpolitik erschweren - aber nicht in Frage stellen - könnten.
- Wie wird sich Smer gebaren? Die Enttäuschung über den verpaßten Einzug in die Regierung ist groß. Wird Róbert Fico der Versuchung eines Rückfalls in populistische Verhaltensmuster widerstehen? Wichtig wird sein, daß sich Fico und Smer zügig dafür entscheiden, in das Vakuum zu stoßen, das sich in der linken Mitte ergab, und eine moderne europäische Sozialdemokratie für die Slowakei aufzubauen.
- Was wird aus der HZDS und aus Vladimir Mečiar? Mehrere Entwicklungsvarianten sind denkbar. Nach einer Serie von Niederlagen in den letzten Jahren ist nicht mehr auszuschließen, daß sich die angeschlagene Machtmaschine Mečiar aus dem politischen Leben zurückzieht (um definitiv mit der Politik aufzuhören oder für die nächsten Präsidentschaftswahlen Kraft zu schöpfen). Sollte er sich dafür entscheiden, die Zügel in der HZDS weiterhin in der Hand zu halten, könnte in der Partei eine Palastrevolte drohen. Möglich ist auch, daß Abgeordnete die HZDS-Fraktion verlassen und zur Regierungsseite überlaufen oder einen parlamentarischen Ableger der HZD etablieren. Aus heutiger Sicht sind noch alle Optionen von einem Zerfall der HZDS bis zu einer langsamen Rekonsolidierung auf niedrigem Niveau möglich. Beobachtet werden sollte, ob die HZDS ihren programmatisch-verbalen Kurswechsel der letzten Jahre aufrechterhalten oder abermals aggressivere Töne anstimmen wird.
- Die Frage nach dem künftigen Verhalten von Smer und HZDS hängt zusammen mit dem Zustand der Opposition. Diese wird voraussichtlich aus HZDS, Smer und Kommunisten bestehen. Vor allem Smer, aber auch HZDS müssen unter Beweis stellen, daß sie als konstruktive Opposition auftreten können. Populistische Schwenks könnten sich auf die Akzeptanz der EU- und NATO-Mitgliedschaft auswirken. Allerdings ist die Zustimmung für die EU so hoch, daß einige Faktoren zusammenkommen müßten, um das Referendum über den Beitritt zu kippen. Volatiler ist die Unterstützung für die NATO-Mitgliedschaft (hier wird allerdings kein Referendum abgehalten). Die in der vergangenen Legislaturperiode zu vernehmende Pro-NATO-Rhetorik der HZDS hat sicherlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Perzeptionsverbesserung des Bündnisses beigetragen. Ein eventuelles Hinterfragen der Mitgliedschaft durch die HZDS könnte sich negativ auswirken.
- Wird die Mehrheit von drei Stimmen ausreichen? Die knappe Mehrheit wird vermutlich einen Disziplinierungseffekt hervorbringen. Sofern Entscheidungen im Koalitionsrat abgestimmt werden, ist davon auszugehen, daß die Koalitionsparteien ihre Abgeordneten mit aller Macht auf Kurs halten werden. Abzuwarten bleibt in diesem Zusammenhang insbesondere, wie sich der Neuling ANO entwickelt bzw. wie sich dessen Parlamentarier verhalten werden. Sollte es zu Übertritten aus der Opposition (HZDS) kommen, würde sich die arithmetische Position der voraussichtlichen Regierungskoalition entspannen.
- Eine große Herausforderung, insbesondere für eine Koalition der rechten Mitte, liegt im sozialen Bereich bzw. in der Sicherung der gesellschaftlichen Unterstützung für die Reformen. Die für die meisten Slowaken besonders brennenden Probleme liegen im sozialen Bereich: die hohe Arbeitslosigkeit, der niedrige Lebensstandard, das kränkelnde Gesundheitswesen. Reformen werden unpopulär sein und die parlamentarische wie außerparlamentarische Opposition auf den Plan rufen. Im Unterschied zur bisherigen Koalition fehlen in der neuen Regierung die Linksparteien, die als Bindeglied und Vermittler zu den Gewerkschaften agierten.
- Und nach wie vor stehen die großen Daueraufgaben im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Staatsapparates auf der Agenda, die auch aus anderen Ländern der Region bekannt sind: Korruption, Leistungsfähigkeit der Justiz, Effizienz der öffentlichen Verwaltung, eventuell Reform der Verwaltungsreform.
Sollte die Regierung der rechten Mitte wie erwartet zustande kommen, so wird sie kurzfristig einige Trümpfe in der Hand halten, die vor allem auf außenpolitischem Feld liegen: eine wohlwollende internationale Atmosphäre und die Aussicht, das Ticket zu EU und NATO ausgehändigt zu bekommen. Mikuláš Dzurinda muß die positive Stimmung nutzen, die sich voraussichtlich nach den Entscheidungen von Prag und Kopenhagen ergibt, um die Akzeptanz für den EU-Beitritt weiterhin hoch zu halten und relativ rasch unpopuläre Reformvorhaben umzusetzen, die in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode nur schwer angegangen werden können. Wenn die Regierung zusammenhält (wofür die knappe „zusammenschweißende“ Mehrheit spricht), könnte dies gelingen.