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Strategische Autonomie Europas

Akteure, Handlungsfelder, Zielkonflikte

SWP-Studie 2019/S 02, 01.02.2019, 44 Seiten

doi:10.18449/2019S02

Forschungsgebiete

Europa muss in zunehmendem Maße selbst Verantwortung für sein Wohl­ergehen und seine Sicherheit übernehmen. Die Debatte über die Stärkung der europäischen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit dreht sich um Begriffe wie den der strategischen Autonomie oder, vor allem in Frankreich, der europäischen Souveränität. Selten allerdings werden diese Begriffe definiert und wird erläutert, was politisch und praktisch verlangt ist.

Strategische Autonomie wird hier als die Fähigkeit definiert, eigene außen- und sicher­heitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionellen, politi­schen und materiellen Voraussetzungen, um diese in Kooperation mit Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen. Dieses Verständnis umfasst das gesamte Spektrum außen- und sicherheitspolitischen Handelns, nicht nur die ver­teidigungspolitische Dimension. Autonomie ist immer relativ. Politisch geht es um einen Zuwachs an Handlungsfähigkeit, also um einen Prozess, keinen absoluten Zustand. Autonomie bedeutet weder Autarkie noch Abschottung oder die Absage an Allianzen. Sie ist kein Selbstzweck, sondern Mittel, um die eige­nen Werte und Interessen zu schützen und zu för­dern.

Die Autorinnen und Autoren dieser Gemeinschaftsstudie bieten nicht nur eine Begriffsklärung. Sie erörtern auch, was Deutschland selbst und in Zusammenarbeit mit seinen europäischen Partnern tun muss, um ein Mehr an strategischer Autonomie zu erreichen. Mit welchen Schwie­rigkeiten und Zielkonflikten ist zu rechnen? Was ist notwendig, vordringlich und überhaupt mach­bar? Welche Res­sourcen werden Deutschland und Europa auf­wenden müssen? Welchen roten Linien wird Deutschland im eigenen politischen Umfeld und bei seinen Part­nern begegnen? Und bei welchen Fragen bleibt poli­tischer Diskussionsbedarf?

Strategische Autonomie: Was es heißt und was zu besprechen ist

Zweifel an der Verlässlichkeit der USA haben der Debatte darüber, wie und in welchem Maße Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen (Bundeskanzlerin Merkel) soll und kann, neue Dringlichkeit gegeben. Die deutsche und europäische Diskussion über die Verantwortung Europas für sein eigenes Wohlergehen und seine Sicherheit sowie über seine internationale Gestaltungsfähigkeit dreht sich um Begriffe wie den der strategischen Autonomie oder, vor allem in Frankreich, der europäischen Souveränität. Selten werden diese Begriffe definiert und wird erläutert, was politisch und praktisch verlangt ist. Eine eingehendere Debatte ist jedoch notwendig, nicht nur mit Blick auf die USA, sondern angesichts der multiplen Bedrohungen für eine regelbasierte multilaterale Ordnung. Deren Aufrechterhaltung und Entwicklung stellt gerade für Deutschland und Europa ein vitales Interesse dar.

Begriffsklärungen

Wir wollen deshalb in dieser Studie nicht nur eine operationalisierte Begriffsklärung anbieten, sondern auch fragen, was Deutschland selbst und in Zusammenarbeit mit seinen europäischen Partnern tun muss, um ein Mehr an strategischer Autonomie zu erreichen, und mit welchen Hindernissen, Schwie­rigkeiten und Zielkonflikten zu rechnen sein wird. Was ist notwendig, vordringlich und überhaupt mach­bar? Welche materiellen und politischen Res­sourcen werden Deutschland und Europa auf­wenden müssen? Welchen roten Linien wird besonders Deutschland im eigenen politischen Umfeld und bei seinen Part­nern begegnen? Und bei welchen Fragen wird poli­tischer Diskussionsbedarf bleiben?

Grundsätzlich verstehen wir unter strategischer Autonomie die Fähigkeit, selbst außen- und sicher­heitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionellen, politi­schen und materiellen Voraussetzungen, um diese in Kooperation mit Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen. Ein hoher Grad an strategischer Auto­nomie befähigt dazu, Regelwerke in der internatio­nalen Politik aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln oder zu schaffen und sich nicht unwillentlich fremden Regelwerken unterwerfen zu müssen. Das Gegenteil strategischer Autonomie wäre ein Sta­tus als Emp­fänger von Regeln und strategischen Entscheidungen, die Dritte – die USA, China oder Russ­land – mit un­mittelbarer Wirkung für Europa tref­fen. Für Deutsch­land wird strategische Autonomie nur gemeinsam mit seinen europäischen Partnern zu erreichen sein.

Unser Verständnis von strategischer Autonomie umfasst damit das gesamte Spektrum außen- und sicherheitspolitischen Handelns, nicht nur die ver­teidigungspolitische Dimension. Autonomie ist – ähnlich wie der inhaltlich benachbarte Begriff der Macht – relational, sie realisiert sich im Verhältnis zu anderen. Sie kann Zielmarke sein, ist aber gleich­wohl kein Selbstzweck, sondern Mittel, um die eige­nen Werte und Interessen zu schützen und zu för­dern. Politisch geht es um ein Mehr an Autonomie, einen Prozess der graduellen Autonomisierung, nicht um einen absoluten Zustand. Autonomie bedeutet weder Autarkie noch Abschottung oder die Absage an Allianzen. Ein autonomer Akteur kann selbst, also gemäß den eigenen Prioritäten entscheiden, mit welchen Akteuren er Partnerschaften oder Allianzen sucht. Autarkie in einer interdependenten Welt ist weder möglich noch erstrebenswert. Um Werte und Interessen zu schützen und zu fördern, sind Partner

Zum Hintergrund: Strategische Autonomie und europäische Integration

In jüngerer Zeit trifft man in EU-Dokumenten wie der Glo­balen Strategie von 2016 häufiger auf den Begriff der stra­tegischen Autonomie. Er steht meist im Zusammenhang mit der Stärkung und Reform der GSVP im Rahmen der GASP. In einem weiter gefassten Verständnis von strategischer Autonomie, wie es dieser Studie zugrunde liegt, schließt der Begriff an Grundfragen zur außenpolitischen Rolle und zum außenpolitischen Gewicht der Europäer an. Diese Fragen reichen bis in die Anfänge der Europäischen Gemeinschaften zurück.

Das Streben nach Selbstbehauptung und Selbstbestimmung der (West-)Europäer unter den Strukturbedingungen der Bipolarität war eine wichtige Triebkraft der Gemeinschaftsgründungen. Dafür steht nicht zuletzt das Vorhaben, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im Ver­bund mit einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zu schaffen. Deren Scheitern 1954 hatte unmittelbar zur Folge, dass die EWG-Staaten im Wesentlichen ihre Sicher­heits- und Verteidigungspolitik an die schon 1949 gegründe­te Nato auslagerten und damit die atlantische Unterordnung der EG/EU auf viele Jahrzehnte festschrieben.

Unter diesem militärischen Schutzschirm entwickelte und bündelte die EG/EU jedoch eigene außen- und sicher­heitspolitische Fähigkeiten und Ressourcen, die vor allem von Frankreich als Ansätze für größere Eigenständigkeit gegenüber den USA ins Spiel gebracht wurden. Das gilt für den schrittweise erfolgenden Ausbau von Kooperation und Integration auf drei zentralen Handlungsfeldern: der gemeinsamen Handelspolitik (ab den 1960er Jahren), der EPZ/GASP/GSVP (seit den 1970er Jahren) und der gemein­samen Währung Euro als Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion (seit den 1980er Jahren).

Durch diese ungleichzeitige (sektorale) Mehrgleisigkeit beim Ausbau der EU zu einem eigenständigen internatio­nalen Akteur hat sich der Grundgedanke der EVG/EPG ver­flüchtigt, dass für diesen hohen Grad der Zusammenführung oder gar Übertragung von Souveränität eine politische Gemeinschaft bzw. Union (ob föderal oder intergouvernemental ausgestaltet) geschaffen werden muss. In diese Richtung weist die Autonomisierungsdebatte in Frankreich, in der von der Souveränität Europas die Rede ist. Für die deutsche Diskussion hat sich jedoch bereits die Sorbonne-Rede Macrons als unverdaulich und schwer übersetzbar

erwiesen, weil Souveränität in Deutschland vor allem durch die juristische Brille der Staatstheorien gelesen wird.

Die aktuelle Frage nach strategischer Autonomisierung hat durch das Agieren der Trump-Administration und den Brexit neuen Auftrieb erhalten. Was Deutschland betrifft, rüttelt sie an der Statik seiner Europapolitik und ihren tragenden Pfeilern, dem Verhältnis zu Frankreich und den USA. Deutschland hat vor allem bei den verteidigungs­politischen Fragen eine Sowohl-als-auch-Politik bevorzugt, die die europäischen Ansätze (nur) als Ergänzung, aber nicht als Konkurrenz zum transatlantischen Rahmen ansah. Des­halb geht es aus deutscher Sicht bis heute darum, dass die Fragen der Autonomisierung und der darauf gerichteten Bestrebungen nicht im Zusammenhang eines »Für oder gegen die USA« aufgefasst werden. Das war ein wichtiges Anliegen bei der transatlantisch inspirierten Präambel zum deutsch-französischen Elysée-Vertrag von 1963.

Die unterschiedlichen Akzentuierungen und gegebenenfalls auch Zielsetzungen innerhalb der deutsch-französischen Kernkoalition haben das Konzept der Autonomisierung über Jahrzehnte im Uneindeutigen gelassen und seine politische Dynamik abgebremst. Ohnehin hatte der EU-Beitritt Groß­britan­niens 1973 und der Ostmitteleuropäer 2004/07 die Position des »in dubio pro USA« noch stärker gemacht und Ambitio­nen zu einem »Europe puissance« (1998) gedämpft. Die Sprengkraft der transatlantischen Frage für die europäi­sche Integration bezeugte der Konflikt zwischen dem alten und neuen Europa angesichts des von den USA an­ge­führten Irak-Kriegs 2003. Deutschland war in dieser Ent­schei­dung aus­nahmsweise nicht auf einer Seite mit den USA, sondern suchte den Schulterschluss mit Frankreich. Die danach ent­standene Europäische Sicherheitsstrategie (2003) weist aber ebenso wie die Globale Strategie kaum verändert in Rich­tung des mehrgleisigen und austarierten Vorgehens. So halten beide Dokumente an der Konzeption des »Westens« fest, in dem die EU aber nicht zu reiner Gefolgschaft gegen­über den USA gezwungen ist, sondern als eine Art zweite Stimme des Westens eine eigene Rolle in der internationalen Politik spielen kann. Zu diesem Rollenverständnis gehört, dass sich die EU als sowohl eigenständiger als auch koope­rationsbereiter Machtfaktor behauptet.

unerlässlich. Für Deutschland sind dies in erster Linie die Europäische Union (EU) und ihre Mitglieder, mit denen es das Projekt der europäischen Integration teilt, und andere europäische Nato-Staaten.

Relevanz und Zweck strategischer Autonomie

Nicht zum ersten Mal wird in der europäischen poli­tischen Öffentlichkeit darüber nachgedacht, wie Europa mehr Verantwortung für seine eigenen Inter­essen und seine Sicherheit übernehmen soll (siehe Kasten). Die gegenwärtige europäische Debatte wurde vor allem durch die Abkehr der USA unter Präsident Trump von zentralen Elementen der liberalen inter­nationalen Ordnung ausgelöst. Allerdings stellen auch andere internationale Schlüsselakteure wie Russ­land wesentliche Bestandteile der internationalen Ordnung in Frage. Die Herausforderungen, auf die das Streben nach mehr strategischer Autonomie Ant­worten geben soll, beschränken sich deshalb nicht auf die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses, und sie sind deut­lich komplexer. Wir können von einer normativen, einer territorialen und einer insti­tutionellen Dimen­sion sprechen: So werden Normen und Prinzipien der internationalen Politik wie das Gewaltverbot, das Folterverbot oder das Verbot des Einsatzes von Chemie­waffen explizit oder implizit in Frage gestellt. Einzelne Akteure nehmen sich das Recht heraus, die territori­ale Ordnung, die seit 1945 weitgehend gegolten hat, gewaltsam zu verändern. Und nicht nur die USA, sondern auch andere Staaten, die sich ansonsten selbst als Träger der internationalen Ordnung präsentieren, schwächen internationale Organisationen, politikfeldspezifische Regime oder internationale Abmachungen, indem sie sie ignorieren, verlassen, unterminieren oder sogar zu zerschlagen versuchen.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind von innen und außen unter Druck gesetzt: von innen, weil das normative, politische und institutionelle Gefüge der EU angesichts externer Krisen und populistischer und nationalistischer Bewegungen zu zerbrechen droht; von außen, weil konkurrierende Akteure mit abwei­chenden normativen Vorstellungen und Interessen (USA, Russland, China) mitunter versuchen, auf das innere Gefüge der EU Einfluss zu nehmen und die Mitgliedstaaten im Sinne ihrer Politik auseinanderzudividieren. Gleichzeitig fällt es der EU und ihren Mitgliedstaaten zunehmend schwer, die globale Ordnung wirkungsvoll mitzugestalten, wenn andere Großmächte internationale Regelwerke verwerfen oder sich allenfalls selektiv zu eigen machen.

Der Bedarf an und die Fähigkeit zu strategischer Autonomie variiert je nach Politikfeld und Regelwerk. Im Bereich der Handelspolitik und in der Welthandels­organisation (WTO) gelingt es der EU auf der Basis ihrer ausschließlichen Zuständigkeit noch am ehes­ten, ihren Prioritäten und Präferenzen Geltung zu verschaffen. Auch bei der Digitalisierung und beim Datenschutz hat die EU sowohl die Mittel als auch den Willen, international Einfluss zu nehmen. Schon der Streit mit der Trump-Administration über das Nuklearabkommen mit Iran allerdings macht deut­lich, wie schwer es für die EU ist, eigene sicherheits- und ordnungspolitische Vorstellungen gegen poli­tischen und wirtschaftlichen Druck zu verteidigen. Hier, und nicht nur bei der notwendigen Stärkung der eigenen verteidigungspolitischen Fähigkeiten, offenbart sich, welch große Schritte Europa auf dem Weg strategischer Autonomisierung noch vor sich hat. Gleichzeitig hat sich aber auch erwiesen, wie not­wendig es ist, diesen Weg zu gehen, um die eigenen Werte und Interessen besser schützen zu können.

Eine kritische Analyse wird zeigen, dass das Streben nach strategischer Autonomie Widersprüche und Zielkonflikte mit sich bringt, denen die Politik auf Dauer nicht ausweichen kann. Schließlich wird die Abkehr von der Verbindlichkeit internationaler Regel­werke, welche die aktuelle Politik der USA und weiterer Großmächte kennzeichnet, auch als Bemühen dargestellt, jeweils selbst (mehr) Kontrolle oder Sou­veränität zu erlangen oder zurückzugewinnen. Hier­von müssen sich Deutschland und seine euro­päischen Partner in ihrem Streben nach größerer strategischer Auto­nomie deutlich absetzen – sowohl diskursiv als auch praktisch. Wenn nicht, könnte Europa schlimm­stenfalls sogar einer weiteren Erosion oder einer Kompartmentalisierung der internatio­nalen Ordnung Vorschub leisten, anstatt diese zu stärken. Das wider­spräche deutschem und europä­ischem Interesse fundamental. Gerade deshalb ist es so wichtig, strate­gische Autonomie nicht als Selbstzweck zu beschreiben und zu verstehen, sondern als Mittel, eigene Werte und Interessen zu wahren. Das heißt auch, eine nach Möglichkeit liberale, in jedem Fall aber regelgebundene, offene und inklusive inter­n­ationale Ord­nung aufrechtzuerhalten und fortzuentwickeln.

Worüber wir sprechen (müssen)

Unsere Analysen und Empfehlungen beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland als Akteur. In den folgenden Kapiteln werden wir wesentliche Aspekte ansprechen, die auf die Tagesordnung ge­hören, wenn ein Mehr an strategischer Autonomie Europas angestrebt wird. Jeder einzelne dieser Aspekte betrifft (auch) deutsche Politik, verlangt Dis­kussionen und Entscheidungen in Berlin. Deutschland ist kein Hegemon in der EU, wohl aber für viele Mitgliedstaaten die oder eine zentrale Führungs­nation. Ohne einen maßgeblichen Beitrag Deutschlands wird es deshalb keine strategische Autonomie oder Autonomisierung Europas geben. Gleichzeitig kann Deutschland seine strategische Autonomie nur im europäischen Kontext, mit seinen europäischen Partnern, vergrößern. Dazu gehört auch eine sym­metrische oder zumindest ausgeglichenere Partnerschaft Europas mit den USA.

Wir behandeln keineswegs alle für die Politik Deutschlands und Europas wichtigen Regionen und Politikfelder. Stattdessen konzentrieren wir uns auf Themen und internationale Beziehungen, die mit Blick auf die not­wendigen Diskussionen zum Konzept der stra­tegi­schen Autonomie von besonderer Bedeu­tung sind. Entsprechend unserem umfassenden Verständnis dieses Konzepts haben 29 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der SWP an dieser Studie mitge­wirkt und ihre jeweiligen Perspektiven mitgebracht. Kritische Fragen haben wir durchaus kontrovers diskutiert, und nicht jede Empfehlung wird von allen Autorinnen und Autoren geteilt.

Der erste Themenblock behandelt die EU als den aus deutscher Sicht wichtigsten Rahmen für die stra­tegische Autonomisierung Europas: die institutionelle Entwicklung der EU und ihrer außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit, die Rolle Frank­reichs und Großbritanniens und die Legi­timität eines autonomer handelnden Europas. Im zweiten Themen­block geht es um die Instrumente, Fähigkeiten und Ressourcen, die eine strategische Autonomisierung in verschiedenen Handlungsfeldern verlangt. Aber der Blick richtet sich auch auf die Verwundbarkeiten Europas und seine Konfliktfähigkeit – nicht zuletzt bei der Verteidigung der für die EU und ihre Mit­glieder so vitalen regelbasierten inter­nationalen Ordnung. Dazu gehören Verteidigungs- und Einsatzfähigkeiten, die dazu notwendige indus­trielle Basis, die Frage der Abschreckung und der Zusammenarbeit europäischer Streitkräfte, aber auch Wirtschaft und Währung, Diplomatie, Sanktionen und die Resilienz gegen Sanktionen anderer, Aufklärung und Fähig­keiten der zivilen Konfliktbearbei­tung. Schließlich geht es um jene internationalen Akteure, die ihrerseits das zunehmend multipolare internationale System mit­gestalten oder zu gestalten beanspruchen: um das Verhältnis zu den USA, zu China, Russland und zu anderen mittleren und auf­strebenden Mächten. Unsere wichtigsten Empfehlungen für die deutsche Politik fassen wir im Schluss­kapitel zusammen. Dabei nehmen wir auch die Führungs- und Mitführungs­rolle Deutschlands in den Blick.

Die EU als Rahmen für strategische Autonomie

Was Deutschland betrifft, bildet die EU den wichtig­sten Handlungsrahmen für eine umfassend verstandene strategische Autonomie. Das liegt daran, dass die Mit­gliedstaaten und einige andere europäische Part­ner (wie Norwegen) die EU nutzen, um ihr wirt­schaftliches Gewicht und ihre Regulierungsmacht inter­national zur Geltung zu bringen, in der Diplo­matie einheitlich, kohärent und wirksam aufzutreten und dies zunehmend und wenn nötig auch militärisch zu unterfüttern. Die EU tritt für eine verstärkte multi­laterale Zusammenarbeit ein und ist selbst als ko­operativer Akteur konzipiert und profi­liert. Zwar mögen Ad-hoc-Koalitionen in Einzelfragen handlungsfähiger sein, doch nur die EU bietet einen dauer­haften, stabilen Handlungsrahmen, eine un­abding­bare Vor­aussetzung langfristiger strategischer Auto­nomie. In der Sicherheits- und Verteidigungs­politik sind die EU-Mitgliedstaaten in besonders hohem Maße auf die Nato und mit dem Ausbau von GASP und GSVP auf die Kooperation mit der Nato angewiesen. Im Hinblick auf Menschenrechte, Fragen von Krieg und Frieden und die Herausforderungen globa­len Regie­rens sind die Vereinten Nationen der zen­trale Legitimations- und Verhandlungsrahmen für die EU. Dabei sollte die Union sich nicht auf »Brüssel« reduzieren lassen. Vielmehr steht sie immer für das Zusammenwirken der Mitgliedstaaten im EU-System, also den Unions­organen samt den spezifischen Ent­scheidungsverfahren. Gerade in der Europäischen Außen- und Sicher­heitspolitik kommt die starke Rolle zum Aus­druck, welche die Mitgliedstaaten in Politik­formulierung und Entscheidungsfindung innerhalb der EU spielen. Besonders relevant für Deutschland sind die Positio­nierungen der beiden wichtigsten euro­päi­schen Partnerländer Frankreich und Groß­britan­nien, auch und gerade wenn es um die Ent­wicklung strategischer Auto­nomie Europas geht.

EU-interne Voraussetzungen für strategische Autonomisierung:
Führung – Effizienz – Handlungsfähigkeit

Eine stärkere strategische Autonomie Europas ist untrennbar verbunden mit der weiteren konstitu­tionellen Entwicklung der EU zwischen Integrations­vertiefung, differenzierter Integration und Integra­tionsabbau. Gegenwärtig erschweren komplexe inne­re Rahmenbedingungen, dass die EU einen wirkungs­vollen Beitrag zur strategischen Autonomisierung Europas leisten kann: Das Regelwerk der GASP inklu­sive der GSVP ist intergouvernemental ausgerichtet, konsensorientiert und deshalb tendenziell langsam und unentschlos­sen in der Entscheidungsfindung sowie anfällig für Blockaden und Vetos einzelner Staaten. Zugleich werden Zentrifugalkräfte gestärkt, die sich in natio­nalen Alleingängen und Idiosynkra­sien einzelner Länder niederschlagen. In der Praxis gelingt es nur bruchstückhaft, das aus­wärtige Han­deln der Union unter Leitung der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheits­politik zusammenzuführen. Das gilt für das Spektrum von der Außenwirtschaftspolitik über Sanktionen, Institutionen­aufbau und humanitäre Hilfe bis hin zu zivilen und militä­rischen Missionen. Von einem kollektiven Auftreten und Wirken auf den inter­nationalen Bühnen ist die EU oft weit entfernt. Vor allem den größeren EU-Mitgliedstaaten stehen alternative Foren zur Verfügung. Unterschiedliche Loyalitäten und gegenläufige Interessen sorgen zudem dafür, dass nahezu alle politischen Konflikte mit Großmächten wie den USA, China oder Russland fast zwangs­läufig auch zu Frik­tionen innerhalb der EU führen. Allein diese langsam mah­lende Konsensmaschinerie in Gang zu halten ver­schlingt jedoch in den natio­nalen Hauptstädten und Brüssel sehr viel politische Energie, was durch das Ziel des Zusammenhalts gerechtfertigt wird. Dennoch ist der Trade-off zwischen Inklusivität und Legitimität auf der einen, Effizienz und Handlungsfähigkeit auf der anderen Seite zunehmend unbefriedigend, weil die EU so ihre Interessen und Werte nicht wirkungsvoll vertreten kann.

Mit dem geplanten Ausscheiden des außen- und sicherheitspolitischen Schwergewichts Großbritan­nien und einem denkbaren künftigen Beitritt kleiner Balkanstaaten mit geringem Potential, aber gleichem Stimmengewicht werden die Aussichten kurz- und mittelfristig nicht besser. Der Brexit be­deutet das Ende der informellen triangulären Füh­rung der EU und lässt die beiden relativ größten Mittelmächte Frankreich und Deutschland im poli­tischen Zentrum einer 27er Union zurück. Beide Länder liegen an geopolitisch relevanten Räumen der Instabilität in der südlichen und östlichen Nachbarschaft und könnten so daraus erwachsende unterschiedliche Perzeptionen aufnehmen und Interessen austarieren. Von Deutsch­land und Frankreich werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen. Im Kern geht es darum, dass diese beiden Länder für ein integratives Gleichgewicht innerhalb der EU auch auf dem Feld der externen Politiken, besonders der GASP/GSVP, sorgen müssen. Bei diesem Gleichgewicht durch In­te­gration werden die Machtunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten durch die EU-spezifischen Ver­tretungs- und Entscheidungsrechte im EU-Institutio­nensystem ausbalanciert. Bislang war dieses Gleichgewicht vor allem in den internen Politiken und der konsti­tutionellen Weiterentwicklung der EU rele­vant und basierte auf französisch-deutschen Kompromisslinien. Eine entsprechende Ausdehnung auf die GASP/GSVP würde von Deutschland teils schmerz­hafte Entscheidungen verlangen.

Zwei Optionen liegen auf dem Tisch: ein inkrementelles Vorgehen und ein echter System­umbau der EU.

Zwei grundlegende Optionen liegen auf dem Tisch: ein inkrementelles Vorgehen und ein echter Systemumbau der EU mit einem Direktorium für Außen- und Sicher­heitspolitik an der Spitze. Diese Vorschläge werfen die Frage auf, wie und in welchem Maße der Zusam­menhalt in der EU zu bewahren sein würde. Beide Optionen könnten so ausgestaltet werden, dass sie selbst mit einer heute eher unwahrscheinlichen Ent­wicklung zu einer föderalen EU zu verbinden wären.

Inkrementelles Vorgehen (Reformoption): Auf der Linie graduell-inkrementellen Vorgehens läge es, von der Einstimmigkeit zu selektiven (themenspezi­fischen) Mehrheitsentscheidungen in der GASP über­zugehen. Eine qualifizierte Mehrheit könnte zum Beispiel für Beschlüsse, Aktionen und Stand­punkte, Deklarationen und Demarchen gelten. Ebenso lie­ßen sich die vertraglichen Möglichkeiten verstärkter Zusammenarbeit und Ständiger Strukturierter Zusam­menarbeit (PESCO) beherzter nutzen. Letzteres führt zu varia­bler Geometrie, angesichts der (deutschen) Präferenz für Inklusivität allerdings oft nur nach langen Sondie­rungen und als letztes Mittel. Weitere Möglichkeiten sind, Länder oder Ländergruppen damit zu beauftragen, GASP-Beschlüsse durchzuführen, oder Kontaktgruppen und Spezialformate zu initiieren, die erst ex post in EU‑Strukturen eingebunden oder mit diesen rückgekoppelt werden können, wie die E‑3. Gruppen thematisch oder regional besonders enga­gierter Staaten könnten sich auch verfestigen.

Alle diese Wege und Instrumente ließen sich häufiger und konsequenter nutzen und nicht zuletzt als Reaktion auf Krisen und Herausforderungen fort­entwickeln. Die Nachteile sind die oft langsamen Ad-hoc-Lösungen, die unklaren Lastenteilungen sowie die geringe Berechenbarkeit und Leistungsfähigkeit. Die Vorteile liegen in der Flexibilität, also darin, entweder den EU-Rahmen zu nutzen oder au­ßer­halb des EU-Rahmens zu agieren bzw. die EU als Stand­bein für das bewegliche Spielbein ein­zusetzen. Ein Beispiel für Letzteres wären die von Deutschland und Frank­reich geführten Gespräche mit Russ­land und der Ukraine im Normandie-Format. Auch das Ein­klinken von Dritt­staaten wie Großbritannien, Nor­we­gen, Türkei, Kanada und anderen würde erleichtert.

Mehr Effizienz durch Mehrheitsentscheidungen in der GASP ist aus deutscher Sicht ein notwendiger Schritt, der jedoch in Frankreich verhaltener auf­genommen wird, weil Paris die Risiken des eigenen Einfluss- und Gestaltungsverlusts sieht. Möglicherweise sind Mehrheitsentscheidungen für Frankreich akzeptabler, wenn sie mit weiteren Schritten kom­bi­niert werden, wie etwa einer struk­turellen Gewichts­verlagerung auf große Staaten der EU. Kleine und mittelgroße Staaten befürchten, dass mit einem Über­gang zu Mehrheitsentscheidungen und deren Aus­weitung eine Dynamik entsteht, die zur regel­mäßigen und formal abgestützten Majori­sierung durch die großen und einflussreicheren Mitglied­staaten führt. Die Attraktivität der Mitgliedschaft in der EU liegt für viele dieser Länder jedoch in ihrer nichthegemonialen Grundstruktur. Um den Anfän­gen zu wehren, sperren sie sich gegen eine Anwendung der Passerelle-Klausel (Artikel 48 (7) EUV), die für Be­schlüsse außerhalb des militärischen und ver­teidigungspolitischen Bereichs die Option der Mehr­heitsentscheidungen erschließt. Auch die verstärkte Zusammenarbeit und andere Möglichkeiten zur Aus­schöpfung der vertraglichen Optionen, mit Mehr­heit zu entscheiden, werden bislang kaum genutzt. Tat­sächlich sieht die EU eine ihrer auch außen­politi­schen Stärken in der Geschlossenheit und Fähig­keit zum Interessenausgleich zwischen sehr unterschiedlichen Staaten.

Systemumbau (Direktoriumsoption): Ein radikaler Schritt wäre ein Bruch mit dem Gleichheitsgrundsatz zugunsten dauerhaft differenzierter Beteiligungs- und Entscheidungsrechte der Mitgliedstaaten in der GASP/GSVP. Dazu wären neue Strukturen nötig und alte müssten erheblich angepasst werden, was auf einen echten Systemumbau hinausliefe: Dem Euro­päischen Rat als Zentrum der GASP würde ein Direk­torium übergeordnet, zum Beispiel ein Europäischer Sicher­heitsrat (EU-SR). In einer solchen Super-Forma­tion wären die fünf größten EU-Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen sowie der Präsident des Europäischen Rats als ständige Mit­glie­der vertreten. Sie würden von sechs weiteren EU-Ländern nach dem Rotationsprinzip ergänzt, wobei das Vorsitzland im Rat immer einen der »rotierenden« Sitze hielte. Das könnte weitgehend nach dem Vor­bild des VN-Sicherheitsrats (VN-SR) organisiert wer­den. Die ständigen EU-SR-Mitglieder qualifizieren sich nicht nur wegen ihrer Lage und Größe, sondern müss­ten auch bereit sein, in common goods sowie gemeinsame Fähigkeiten und Politik zu investieren. Sie müssten gemeinsame Entscheidungen als bindend akzeptieren und die Außenvertretung sehr viel stär­ker als bisher in gemeinsame Hände legen. Das ist nicht selbstverständlich, wird aber für die interne Akzeptanz eines solchen Direktoriums unabdingbar sein. Der Europäische Rat wäre dann in Vollbesetzung so etwas wie das Beratungsplenum, das den Entscheidungen im zwölfköpfigen EU-SR vorangehen kann, büßte aber die Rolle des zentralen außenpoliti­schen Lenkungsgremiums ein. Der gesamte Unterbau der EU-Außenpolitik müsste angepasst werden, vor allem das Politische und Sicherheitspolitische Komi­tee (PSK) und der Euro­päische Auswärtige Dienst (EAD) sowie das Amt der Hohen Vertreterin.

Die Vorteile einer solchen Hierarchisierung liegen im möglichen Effizienzgewinn, der allerdings weiter­hin die üblichen Kompromiss- und Paketlösungen voraussetzt. Diese wären auch unter den neuen Be­din­gungen im und vom gesamten EU-Verhandlungs­system zu erbringen. Im EU-SR dürften Gegensätze und Rivalitäten deutlich weniger scharf und lähmend sein als zum Beispiel im VN-SR.

Kleineren Staaten mit begrenzter eigener außen­politischer Agenda und kleinen diplomatischen und internationalen Diensten bringt das umgebaute System zumindest Kostenersparnisse. Zwar dürften sie nicht automatisch an Mitsprache und Gestal­tung verlieren, würden das aber befürchten. Deutschland könnte an seiner für sich selbst reklamierten Rolle festhalten, die Interessen dieser Länder beson­ders zu berück­sichtigen, was diese allerdings ohnehin miss­trauisch beäugen. Bei einem festen deutsch-fran­zö­sischen Schulterschluss wird es Deutsch­land aber objek­tiv immer schwerer fallen, diesem An­spruch gerecht zu werden. Dennoch, innerhalb des EU‑SR könnten sich auf mittlere Sicht die politisch-strate­gischen Konvergenzprozesse unter den Betei­ligten beschleunigen und verbessern. Wenn die EU durch einen solchen Umbau tatsächlich wirkungs­voller, energischer und geschlossener aufträte, dann würde sie von Akteuren wie den USA oder China eher als relevanter strategischer Akteur wahrgenommen.

Die Kehrseite einer solchen Direktoriumslösung wären das Fallenlassen des Gleichheitsprinzips unter den Mitgliedstaaten sowie die Gefahr verschärfter Frik­tionen untereinander, wenn sich Länder abge­hängt fühlen und ihre Interessen nicht ausreichend ver­treten sehen. Deswegen wäre dafür Sorge zu tragen, dass alle Mit­gliedstaaten, sowohl die Regierung als auch die Bevöl­kerung, und sämtliche EU-Organe Entscheidungen, die auf der EU-SR-Ebene getroffen werden, als legitim betrachten. Dafür müssten Betei­ligungs- und Entscheidungsverfahren sowie Kommunikationsformen gefunden werden, die in formaler und politischer Hinsicht überzeugen.

Ein Europäischer Sicherheitsrat ohne Zugriff auf die EU und Verknüpfung mit ihr wäre kraft- und machtlos.

Darüber hinaus stellt sich bei der Direkto­riums­lösung die Problematik der vertikalen Verzahnung mit dem Regelbetrieb der EU, also den Entscheidungen und Politikinhalten, etwa bei der Han­delspolitik, der Wettbewerbspolitik oder der Wäh­rungspolitik. Deshalb ist es relevant, wo und wie der SR installiert würde und wie sein Aufgabenzuschnitt wäre. Die staatsähnliche Agenda der EU brächte auch in der Außen- und Sicherheitspolitik im Prinzip deut­liche Vorteile, die die Union zum geeignetsten Handlungsrahmen für Deutschlands außenpolitische Ziele

machen, nämlich den Schutz des EU-Raums im weite­s­ten Sinne, Mitsprache in der Weltpolitik und die Ge­staltung der internationalen Ordnung. Das gesamte Portfolio der EU, die politischen, wirtschaftlichen, mili­tärischen und kultu­rellen Ressourcen können und müssen dafür mobi­lisiert werden. Ein Europäischer Sicherheitsrat ohne Zugriff auf die und Verknüpfung mit der EU wäre kraft- und machtlos. Da die wirtschaftlich-techno­logische und währungspolitische Macht zu den wich­tigsten Komponenten in der inter­nationalen Politik zählt, ist sie auch bei jeglichem internen Umbau zentral. Der größte Nach­holbedarf der Europäer besteht jedoch beim mili­tärischen Teil der Sicherheitspolitik und seiner Verschränkung mit zivilen Komponenten des Krisen­managements und der Konfliktbearbeitung. Un­erlässlich bleibt deshalb die stetige Verbindung und Arbeitsteilung mit ande­ren Akteuren wie Nato, VN, OSZE und G‑Gruppen.

Frankreich, der bedeutendste Partner Deutschlands

Frankreich ist der wichtigste Partner für das deutsche Anliegen, die EU zu strategischer Autonomie zu befähigen. Das gilt unabhängig davon, ob die GASP/ GSVP schrittweise ausgebaut oder aber ein Direkto­rium innerhalb der EU geschaffen wird. Frankreich selbst dürfte sogar in Richtung Direktorium vor­preschen wollen, denn wie kein zweites Land unter­stützt die Regierung von Staatspräsident Macron das Bestreben, Europa »souveräner« zu machen. Macrons weitreichende Vorschläge zur »Neugründung« Euro­pas erstrecken sich auf zentrale Handlungsfelder, Fähigkeiten und Ressourcen, die die EU aufbauen und entwickeln muss, um strategischer und außenpolitisch autonomer zu werden. Neben der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betrifft dies die Reform der Eurozone inklusive einer funktionierenden Bankenunion und eines Transfermechanismus, private und öffentliche Investitionen in Forschung, neue Technologien und die Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie die europäische Führungsrolle in der internationalen Klimapolitik. Meint es Deutschland ernst mit seinem Streben nach strategischer Autonomie, muss es sich mit den fran­zösischen Vorschlägen auseinandersetzen, und zwar mit dem Ziel, sich mit Paris auf eine gemeinsame Linie zu verständigen und diese konsequent zu ver­folgen. Andernfalls dürfte das Vorhaben, das eigene Schicksal entschlossener in die Hand zu nehmen, schnell in einer Sackgasse enden. Der Umgang mit Frankreich wird so zum Test, wie gut drei von Deutschland und Frankreich unterschiedlich gewich­tete Ziele unter dem Dach der strategischen Auto­nomie in Einklang zu bringen sein werden: Abstufungen unter den EU-Mitgliedstaaten (zum Beispiel Direktorium oder Kerngruppen), die französisch-deutsche Rolle als Motor der Union und der Zusammenhalt der gesamten EU. Paris nötigt Berlin schwierige Richtungsentscheidungen ab. Das gilt unmittelbar für den derzeit dynamischsten Bereich der bilateralen Kooperation, nämlich die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Die beiden Regierungen haben unter anderem gemeinsame Rüstungsvorhaben beschlossen sowie unter den Vorzeichen strategischer Autonomie Kriterien für die Ständige Strukturierte Zusammen­arbeit (PESCO) im Rahmen der Gemeinsamen Sicher­heits- und Verteidigungspolitik (GSVP) abgestimmt. Beide Seiten sind sich darüber hinaus in ihrer Ana­lyse über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen sowie des Multilateralismus weitgehend einig. Seit die US-Administration das Iran-Nuklear­abkommen auf­kündigte, haben sich Berlin und Paris einander in den wesentlichen außen- und sicherheitspolitischen Fragen angenähert. So betonen beide Seiten, dass ein Streben nach strate­gischer Autonomie für die EU in keiner Weise Konkurrenz zur Nato bedeutet und dass keine Doppelstrukturen aufgebaut werden. Vielmehr würden die transatlantischen Beziehungen mittel­fristig sogar belastbarer, je stärker die EU-Staaten in finanzieller wie operativer Sicht Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernähmen.

In Paris wird sehr konkret über die sicherheits- und verteidigungs­politische Dimension strategischer Autonomie der EU diskutiert.

In Paris wird sehr konkret über die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension strategischer Auto­nomie der EU diskutiert, so über die Reform der »Beistandsklausel« gemäß Artikel 42 (7) des EU-Vertrags von Lissabon. Sie sieht vor: »Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schul­den die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Ver­einten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.« Die französische Regie­rung hat Artikel 42 (7) zu ihrem Reformprojekt aus­erkoren, weil strategische Autonomie für sie mit der Fähigkeit der EU zu eigenständigem Handeln ein­her­geht. Paris rückt die kollektive Verteidigung ins Zentrum seiner Überlegungen und diskutiert vier Szena­rien, in denen die EU ohne Hilfe aus den USA handlungsfähig sein muss: einen Terroranschlag gegen einen EU-Mitgliedstaat, einen Hybrid-Angriff, einen Angriff gegen einen EU-Staat, der nicht Mitglied der Nato ist (vor allem Schweden und Finnland), sowie einen bewaffneten Angriff auf einen Nato-Alliierten, ohne dass sich die USA bereit erklären, im Sinne von Artikel 5 des Nato-Vertrages vergeltend tätig zu werden. Außerdem wird in Paris derzeit dar­über gestritten, ob Frankreich künftig einen Angriff auf einen EU-Partner oder ein Nato-Mitglied als An­griff auf Frankreich werten soll – den es dann auch mit dem Einsatz von Nuklearwaffen vergelten könnte. Mit dem Fokus auf kollektiver Verteidigung will Paris dem Eindruck entgegenwirken, dass sich Frankreich nur eng an seinen eigenen strategischen Bedürfnissen ausrichtet. Viele EU-Länder argwöhnten, dass die »Europäische Interventionsinitiative« vor allem Frank­reich zugutekäme, weil es durch ein größeres mili­tärisches Engagement der EU-Europäer in Afrika ent­lastet würde. Zugleich bringt Paris mit dem Fokus auf der kollektiven Verteidigung Berlin in eine schwierige Situation, denn Deutschland hat eine solche Art der Verteidigung bislang ausschließlich im Rahmen der Nato verortet.

Paris drängt darauf, in der EU und besonders der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in kleineren Gruppen voranzuschreiten. Auch Berlin sieht diese Not­wendigkeit. Aber wie die Lancierung von PESCO zeigte, bleibt es dabei, dass Frankreich auf Exklu­­si­vität und optimale Handlungsfähigkeit setzt, Deutsch­land hin­gegen stärker auf Inklusivität und Legitimität. Frank­reich geht weiter offensiv auf Deutschland zu und bietet Berlin eine exklusive Zusammenarbeit an, denn in Frankreich gilt eine deutsch-französische Entente weiter als Vorstufe einer möglichen »Euro­pä­isierung« in der Sicherheits- und Verteidigungs­politik. Dafür gibt es mindestens zwei Projekte:

Erstens würde es Paris bevorzugen, die im Rahmen einer Neufassung von Artikel 42 (7) wichtigsten Sze­narien für eigenständiges Handeln zunächst mit Deutschland einzuleiten. Dies würde beiden Seiten auch die Möglichkeit eröffnen, dem im bilateralen Abstimmungsprozess befindlichen »Elysée-Vertrag 2.0« eine Handschrift zu verleihen, die deutlich über das Dokument aus dem Jahr 1963 hinausreicht und nicht bloß formelhaft von strategischer Autonomie spräche. Zweitens strebt Paris seit langem danach, die europäische Abhängigkeit von den USA in rüstungstechnischen Fragen zu verringern. So schwebt Frank­reich vor, einen weiter­reichenden EU-Verteidigungs­fonds zu schaffen. Dieser wäre auf die Bedürfnisse jener EU-Staaten ausgerichtet, die über eine internatio­nal konkurrenzfähige rüstungstechnische Industrie verfügen. Deutschland und Frankreich, so die Auf­fassung in Paris, sollten hier ebenso als Pioniere agie­ren wie bei der Festlegung gemeinsamer Rüstungs­exportrichtlinien. Eine Diskussion dieser Fragen und Prozesse im Kreis aller 27 EU-Mitglieder hält die fran­zösische Regierung für wenig aussichtsreich. Schließ­lich stellt sie auch die Frage, in welchem Umfang Berlin künftig bereit sein wird, (sicherheits- und ver­teidigungspolitische) Verantwortung für seine EU-Partner zu übernehmen und dabei einen Großteil der finanziellen Lasten zu tragen.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass Deutschland seine integrationspolitischen Präferenzen überdenken oder gar revidieren müsste. Das dürfte selbst bei der oben beschriebenen inkrementellen Reformoption nötig sein, denn auch diese müsste substantielle Fort­schritte zur Autonomisierung liefern. Die Neigung deutscher Europapolitik, zuerst den Ordnungsrahmen festzulegen und darüber die inhaltliche Ausfüllung und Zweckbestimmung zu vernachlässigen, sieht Frankreich (wie seit jeher Großbritannien) sehr kritisch.

Großbritanniens Status und Sonderrolle

In der Vergangenheit hat allein die Tatsache, dass Großbritannien Mitglied der EU ist, die Vermutung genährt, dass die EU über strategische Qualitäten in der Außen- und Sicherheitspolitik verfügen könnte. Mit Großbritanniens nahendem Austritt büßt die EU in dieser Hinsicht an Prestige ein und verliert einen potenten Akteur in der GASP und bei der inneren Sicherheit, vor allem der nachrichtendienstlichen Kooperation. Allerdings wollte Groß­britannien in seiner Zeit als EU-Mitglied eine fak­tische Stärkung der GASP allenfalls auf dem Wege des Pooling von Souve­ränität und Fähigkeiten herbeiführen, aber nicht durch weitergehende rechtlich bindende Integration, wie sie für die skizzierte Direk­toriums- und selbst die Reformoption nötig wäre. Für beide Wege wäre Groß­britannien ein schwieriger Partner, wenn nicht ein Blockierer. Unter dem Leit­motiv »Global Britain« will Großbritannien nach dem Brexit ohnehin einen dezi­diert natio­nalen Weg einschlagen, der seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit betonen soll.

Ungeachtet seiner special relationship mit den USA steht Großbritannien in großen außenpolitischen Fragen an der Seite der anderen EU-Europäer.

Gewiss wird Großbritannien auch nach dem Brexit zumindest in Europa eine strategische Rolle spielen und deshalb für die EU ein wichtiger Partner außer­halb der EU sein. Außenpolitisch verfügt das Land über eine bedeutsame strategische Reichweite, mit seinem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat, einem der größten diplomatischen Netzwerke der Welt, sowie engen historischen Beziehungen etwa zu den USA, Kanada, Australien oder Indien. Großbritannien gehört als einziges europäisches Land zum exklusiven Club der Five Eyes, der nachrichtendienstlichen Zu­sammenarbeit mit den USA, Kanada, Austra­lien und Neuseeland. Sicherheits- und verteidigungs­politisch kommen eine eigene nukleare Abschreckung, eine – im europäischen Maßstab – hohe Einsatz­fähigkeit der Streitkräfte, enge militärische Integra­tion mit einzelnen EU-Staaten sowie eine große eigen­ständige Verteidigungsindustrie hinzu. Als weltweit fünft­größte Volkswirtschaft, die etwa 16 Prozent der Wirt­schaftskraft der EU-28 stellt und mit der City of London über das größte Finanz­zentrum Europas ver­fügt, ist Großbritannien zudem ein relevanter Faktor, zum Beispiel in Fragen von Handelskonflikten und Wirtschaftssanktionen. Das sind jene Bereiche, in denen die EU gefordert und gewillt ist, ihre Handlungsfähigkeit und Durchschlagskraft zu beweisen. Un­geachtet seiner special relation­ship mit den USA steht Großbritannien in großen außenpolitischen Fragen an der Seite der anderen EU-Europäer, beispielsweise was den Iran, das Pariser Klimaabkommen oder den Umgang mit dem Nahostkonflikt be­trifft. Großbritan­nien selbst will in der Außen- und Sicherheitspolitik ebenfalls ein sehr enges Verhältnis mit der EU ver­einbaren, was regelmäßige Konsulta­tionen bis hin zur Einbindung in militärische Opera­tionen und Pro­gramme der EU ermöglicht. Nach aktuellem Stand sind die EU-27 zwar zu einer ambi­tionierten Partner­schaft bereit, solange für Groß­britannien die bishe­rigen Grenzen für Drittstaaten gelten. Das bedeutet vor allem keine Mitspracherechte und nur begrenzte Beteiligungsrechte bei großen Projekten, wie dem fürstra­tegische Autonomie wichtigen Satelliten­navi­gationssystem Galileo.

Grundsätzlich hat die EU zwei Möglich­keiten, Großbritannien in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Brexit ein­zubinden.

In der ersten Option ist die Stärkung der EU vorrangig. Demnach würde Großbritannien auf der Basis bestehender Regeln für Drittstaaten eingebunden, das hieße ohne Mitspracherechte oder Sitz in den Orga­nen und Gremien der EU. Das Land könnte sich bei­spielsweise am EU-Verteidigungsfonds beteiligen (und müsste entsprechend seiner Wirtschaftskraft erheb­lich einzahlen), kann aber nicht mitentscheiden, wie das Geld verteilt wird. Diese Zwei-Klassen-Behandlung durch die EU könnte die Briten in Rich­tung anderer Foren treiben, wie die Nato, die fran­zö­sische Inter­ventionsinitiative oder weitere bi- und multilaterale Kooperationen, die es auch selbst initi­ieren könnte. Wenn aber im Ernstfall euro­päisches Handeln gefor­dert und eine Beteiligung der Briten dafür wesentlich ist, dann könnte statt der EU eine Ad-hoc-Koalition von Staaten, die fähig und wil­lens sind, die Sache an sich ziehen.

In der zweiten Option genießt die Einbeziehung Großbritanniens in die Außen- und Sicherheitspolitik der EU Priorität. Dem Land wird eine Sonderrolle in der euro­päischen Außen- und Sicherheitspolitik zugebil­ligt, weil es in eine andere Kategorie fällt als Norwegen oder die Türkei. Die EU würde demnach Großbritannien auch in seiner Eigenschaft als Dritt­staat besondere Rechte ein­räumen. So könnte das Land partielle oder auch gene­relle Beteiligungsrechten in außen- und sicherheitspolitischen EU-Gremien erhalten (etwa wenn es an einer EU-Operation mit­wirkt), ebenso in Programmen wie Galileo oder dem EU-Verteidigungsfonds. Großbritan­nien wäre mit seinen Ressourcen dann auf flexi­bler Basis an der EU-Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt. Dem Zu­gewinn an europäischer strategischer Autonomie durch britische Beiträge stände ent­gegen, dass Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft aufgeweicht oder entwertet wür­den und durch die Hintertür Möglichkeiten für Vetos und faktische Mit­entscheidung eröffnet würden, ohne Verantwortung und Lasten­teilung klar zuzuschreiben.

Mit den beiden Optionen für die grundsätzliche Ausgestaltung der GASP – Reform oder Direktori­um – ließe sich am besten die Option der Stärkung des EU-Systems verbinden. Die Option Sonderlösung für Großbritannien würde jedoch, ähnlich wie bereits die britische EU-Mitgliedschaft, jegliches institutionell abgesicherte Vorankommen schwieriger machen.

Legitimität

Strategische Autonomie, also die Fähigkeit, eigene außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, erfordert ein hohes Maß an politischer Legitimität nach innen und außen.

Für die Legitimität nach innen ist maßgeblich, dass die Bürgerinnen und Bürger sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten die EU als politisches System für an­erkennungswürdig halten und unterstützen. Da die EU kein Staat ist, können für sie nicht dieselben Maßstäbe für Demo­kratie und legitimes Regieren gelten. Seit langem wird in Politik und Wissenschaft über prinzipielle und spezifische Demo­kratiedefizite der EU diskutiert.

Mit Blick auf die strategische Autonomie der EU sind vor allem zwei Fragen relevant: Unter welchen Bedingungen und in welchen Fällen ist es legitim, in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu quali­fizierten Mehrheitsentscheidungen über­zugehen? In welchen Fällen ist aus Gründen der Legitimität eine Beteiligung des Europäischen Par­laments (EP) ratsam?

Vorauszuschicken ist, dass über den Einsatz mili­tärischer Gewalt, ob im Rahmen der Nato, der EU, der VN oder von Koali­tionen der Wil­ligen, allein die Mit­gliedstaaten gemäß ihren nationalen Bestimmungen entscheiden. Daran wird auch unter den Vor­zeichen der strategischen Autonomie nicht gerüttelt, zumin­dest solange es keine europäischen Streitkräfte gibt. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in sei­nem Urteil zum Ver­trag von Lissabon unter­strichen, dass nur der Bundestag die Entsendung be­waffneter deutscher Streitkräfte legitimieren kann. Das gilt auch für die deutsche Beteiligung an gemeinsamen Streit­kräftestrukturen.

Kein Staat kann gegen seinen Willen zu außenpolitischen Positionen oder Aktionen verpflichtet werden.

Das intergouvernementale Prinzip sichert jedem Mitgliedstaat in der GASP ein Vetorecht zu. Kein Staat kann gegen seinen Willen zu außenpolitischen Posi­tionen oder Aktionen verpflichtet werden. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten die GASP aktiv unter­stützen und sich im Geiste der Loyalität und gegen­seitigen Solidarität verhalten. Das soll die Berechenbarkeit, aber auch die Konvergenz von Positionen sichern. In anderen Politikbereichen jedoch, die für die Entwicklung strategischer Autonomie wichtig sind, können Mitgliedstaaten auch über­stimmt wer­den. Das trifft vor allem auf die gemeinsame Handels­politik, den Binnenmarkt und die Eurozone zu. Der mitgliedstaatliche Strang der Legitimität führt über die (gewichteten) Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat, der supranationale Strang hingegen über die Mit­wirkung des Europäischen Parlaments. Zudem unter­liegen alle Entscheidungen und Rechts­akte (außerhalb der GASP) der Supervision des Euro­päischen Gerichtshofs. Werden Entscheidungen in der GASP, um die Handlungs­fähigkeit der EU zu stärken, aus der Einstimmigkeit in die (qualifizierte) Mehrheitsentscheidung überführt oder gar einem Euro­päi­schen Sicherheitsrat übertragen, sieht sich die EU mit den bekannten Legitimitätsfragen konfrontiert:

Bis dato garantiert das Einstimmigkeitsprinzip in der GASP/GSVP die formale Gleichheit zwischen Staaten von unterschiedlichem (macht-)politischem Gewicht im Rat und im Europäischen Rat. Malta, Irland und Zypern verfügen genauso über ein Veto­recht wie Deutschland, Frankreich und Spanien. Jede Form des Abweichens von der Einstimmigkeit wirft gerade aus Sicht der kleineren und mittelgroßen Staaten die Frage auf, wie ihre Interessen gewahrt werden und wie sie ihren Einfluss geltend machen können. Kommt kein Konsens zustande, heißt das, dass eine Minderheit nicht zu überzeugen war, trotz der ernsthaften Suche nach Kompromissen. Es stellt sich also die Frage, ob GASP-Entscheidungen außer­halb des Militäreinsatzes anderer Natur sind als bei­spielsweise jene in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Wenn das so ist und bleibt, wären zu­mindest Lehren für die Zukunft zu ziehen. Länder mit sehr speziellen oder vitalen Interessen, die nicht von allen EU-Staaten mitgetragen oder wenigstens akzeptiert wer­den kön­nen, sollten nicht Mitglied der EU werden, zum Beispiel die Türkei. Eine Mitgliedschaft solcher Länder eröffnet keine Aussicht auf konvergente außenpolitische Positionen und einen gemeinsamen acquis politique. Zu­dem sollte eine Mit­wirkung des Europäischen Parlaments ge­prüft wer­den, wenn es darum geht, Mehrheitsentscheidungen in der GASP einzuführen oder die internationale Rolle des Euro zu stärken.

Was die Außendimension anbelangt, ist das Bestreben, strate­gische Autonomie zu stärken, mit der Legitimität der EU als inter­nationaler Akteur ver­knüpft. Die Union bindet ihr auswärtiges Handeln an die Prinzi­pien der Demokratie, die Menschenrechte und die Grundsätze der Charta der VN. Sie setzt sich zum Ziel, ihre Werte (Artikel 2 EUV) und Interessen sowie ihre Sicherheit, Unabhängig­keit (!) und Unver­sehrtheit zu wahren (Artikel 21 (2) EUV). Diesen Zielen und Werten muss folglich auch die strategische Autonomisierung verpflichtet sein. Sie muss dazu beitragen, jene zu verwirklichen, und ist in­sofern Mittel zum Zweck. Den Maßstab für Richtungs- wie Einzelentscheidungen bilden die oben genannten Ziele. Politi­sche Debatten über dieses Thema auf nationaler und EU-Ebene müssen weitaus transparenter und »öffent­licher« geführt werden. Das ist die Aufgabe der Parla­mente. Umfragen zufolge ist EU-weit die Zustimmung zu mehr Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Außen- und Sicherheitspolitik traditionell besonders hoch. Gemeinsame europäische Politik verursacht jedoch oft un­gleiche politische, wirtschaftliche oder finanzielle Kosten für ein­zelne Mitgliedstaaten oder Personengruppen. Das ist dann der Fall, wenn sich die euro­päischen Staaten solidarisch für die Interessen eines einzelnen Staates einsetzen, wenn ein EU-Han­dels­konflikt oder Sank­tionen nur Teile der EU-Wirt­schaft betreffen oder wenn militä­ri­sche Operationen nur die Inter­essen eines Bruchteils der Mitgliedstaaten berühren. Dann müssen die Akteure der Union, vor allem ihre Mit­gliedstaaten, bereit und in der Lage sein, diese Ent­scheidungen gegenüber der Bevölkerung in einen größeren Be­gründungszusammenhang zu stel­len. Das kann die Solidarität mit EU-Staaten und ande­ren sein, die Treue zu den eigenen Werten und damit die poli­ti­sche Glaubwürdigkeit nach innen und außen oder die Abwägung zwischen unterschied­lichen Gütern.

Die Legitimität der EU speist sich immer aus beiden Quellen: mittelbar durch die Mitgliedstaaten und unmittelbar durch das Zusammenwirken der Gemeinschaftsorgane. Deshalb bleibt die Bindung aller Entscheidungen an das Recht fundamental. Dieses muss allerdings in den Staaten der Union eben­falls gewährleistet sein. Verfahrenslegitimität und Output-Legitimität (Leistung) sind auch in der Außen- und Sicherheitspolitik Voraussetzungen für Akzeptanz.

Handlungsfelder: Instrumente, Fähigkeiten, Ressourcen

Die Frage nach einem Mehr an strategischer Autonomie und einer wirksamen, europäischen Werten und Interessen entsprechenden Mitgestaltung der inter­nationalen Umwelt ist unmittelbar mit den Fähig­keiten und Machtressourcen verbunden, die Deutschland und Europa ins Spiel bringen können und wollen. Gleichzeitig müssen Fähigkeitslücken und Verwundbarkeiten thematisiert werden. Die Lücke zwischen Anspruch, also dem Wunsch nach strate­gischer Autonomie, und Wirklichkeit tritt bei den militärischen Fähigkeiten am deutlichsten zutage.

Strategische Autonomie lässt sich, wie mehrmals betont, nicht auf die militärische Dimension ver­kürzen, schließt diese aber zentral ein. Was im mili­tärischen Bereich fehlt – mit Blick etwa auf ein aus­geglicheneres Verhältnis zu den USA –, wird eben nicht durch die diplomatischen, zivilen und wirtschaft­lichen Potentiale Europas aufgewogen. Um­gekehrt gilt aber auch, dass mehr militärische Fähig­keiten ohne diese Potentiale wenig Sinn ergäben.

Deutsche Politik muss deshalb über Verteidigungs-, Abschreckungs- und Interventionsfähigkeiten sowie die technologische und rüstungsindustrielle Basis genau­so sprechen wie über wirksames multilaterales Han­deln, die Mitarbeit in internationalen Organisationen und die Stärkung ziviler Konfliktbearbeitungskapazitäten. Die stärksten Machtressourcen, die Euro­pa auf die internationale Waagschale bringt, sind allerdings sein wirtschaftliches und technologisches Gewicht und der Binnenmarkt. Mehr strategische Autonomie verlangt nicht nur, diese Ressourcen zu erhalten, sondern auch, sich mit der Frage ausein­anderzusetzen, wie Europa handlungs- und konfliktfähiger werden kann, nicht zuletzt im währungs- und finanz­politischen Bereich.

Sicherheit und Diplomatie

Vollständige strategische Autonomie im Sicherheits- und Verteidigungsbereich wäre für Europa allenfalls mittel- bis langfristig, bestenfalls in zehn bis zwanzig Jahren, vorstellbar. Dazu bedürfte es neben hin­reichender Finanzierung auch der politischen Unter­stützung und Bereitschaft aller Staaten, gegebenenfalls auf nationale Souveränitätsrechte zu verzichten, um mehr europäische Eigenständigkeit auch im mili­tärischen Bereich zu erreichen. Größere strategische Autonomie dagegen verlangt vor allem, ein angemessenes Am­bitionsniveau nach eigenen Prioritäten zu definieren und die sich daraus ergebenden Selbst­verpflichtungen auch zu erfüllen. Entscheidend hierfür bleibt das Zusammenspiel – und nicht das Gegeneinander­ausspielen – von EU und Nato.

Militärische Fähigkeiten lassen sich nur gemäß dem angestrebten strategischen Ziel bewerten. Was für den einen Zweck angemessen und ausreichend erscheint, ist für andere Aufgaben unpassend oder unzureichend. In diesem Zusammenhang lassen sich drei ver­schiedene Ambitionsniveaus in den Blick nehmen: a) eine zu­nächst jedenfalls anhaltende Ab­hängigkeit von den USA im Bereich der kollektiven Verteidigung bei gleichzeitiger Stärkung des euro­päischen Nato-Pfei­lers, b) wachsende Autonomie in einer verteidigungspolitischen Grauzone, die nicht notwendig das Bünd­nis als Ganzes involviert, sowie c) eine begrenzte, aber notwendig zunehmende Auto­nomie beim Krisen­management.

Europa und die kollektive Verteidigung

Zwar ermöglicht es der Vertrag von Lissabon, schritt­weise eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Union festzulegen, die in eine ge­meinsame Verteidigung münden könnte. Dennoch wird auf absehbare Zeit die Nato die zentrale Rolle bei der Ver­tei­digung des euro-atlantischen Raums behalten. Glaubhafte strategi­sche Autonomisierung in einer Verteidigungs­politik, die über Krisenmanagement hinaus kollektive Ver­tei­digung auf dem Niveau der nordatlantischen Allianz umfasst, können die Europäer bis auf Weite­res nur in und mit der Nato und daher nur mit den USA gewährleisten. Sie sind mili­tärisch, sowohl kon­ven­tionell als auch nuklear, von den USA abhängig und können auch die Nato-Strukturen und Verfahren nicht einfach ersetzen. Ob die Nato langfristig über die politische Geschlossenheit und die militärischen Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung und darüber hinausgehende Auslandseinsätze ver­fügen wird, ist die erste Frage, die sich die Europäer stellen müssen. Die zweite lautet, was sie dazu beitragen können und welche Rolle die GSVP und mithin die EU dabei spie­len können.

Aufmerksamkeit verdient eine jüngst wieder­belebte Konzeption: die Entwicklung bzw. Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato.

Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang eine jüngst wiederbelebte Konzeption, die aus den 1990er Jahren stammt, nämlich die Ent­wicklung bzw. Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato. Es wäre an den EU-Mit­glied­staaten, dies in Gang zu bringen, wobei die Ausgangslage schwie­rig ist. Vor allem ostmitteleuropäische Nato-Staaten haben grö­ßeres Vertrauen in bilaterale Schutzversprechen der USA als in die Solidarität und heutige wie künftige Leistungsfähigkeit der EU. Sie befürchten, dass eine Fokussierung auf die EU die Allianz schwächt und die USA provoziert. Einige von ihnen stehen deshalb sogar einer Stärkung des euro­päischen Nato-Pfeilers skeptisch gegenüber. Deutschlands politische Rolle läge darin, die Logik »Nato oder EU« zu durchbrechen. Berlin müsste das Eigeninteresse der Europäer heraus­stellen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und über die europäische Sicherheitspolitik wirkungsvoller mit­zuentscheiden.

Der Nutzen einer solchen Stärkung wäre doppelt. Erstens würde die generelle Handlungsfähigkeit der Europäer auch über die Nato hinaus für andere Engagements davon profitieren. Zweitens könnte das Interesse der USA an den Europäern als Partner stei­gen, denn ein größerer Beitrag zur transatlan­tischen Lastenteilung könnte das schwindende Interesse der USA beleben, in der Allianz und Europa engagiert zu bleiben. Das wäre nicht der ge­ringste Beitrag zu einer symmetrischeren Beziehung zwischen EU/Europa und den USA. Insofern könnten auch Nato-Mitglieder, die nicht der EU angehören und über beachtliche Fähig­keiten verfügen (Großbritannien nach dem Brexit, Norwegen und die Türkei), für eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato gewonnen werden.

Politisch lässt sich die Rolle der USA als zentrale und anerkannte Führungsmacht, die politische Eini­gungen forciert und Entwicklungen vorantreibt, nicht ersetzen, aber doch stärker als bislang ausbalancieren. Dabei wird dieser europäische Pfeiler gleichermaßen militärisch (über größere und effektivere mili­tärische Fähigkeiten) als auch politisch zu denken sein, nämlich als Format, in dem die europäischen Nato-Mitglieder Fragen euro-atlantischer Sicherheit disku­tieren und Nato-Beschlüsse vorbereiten.

Stattdessen hat die EU seit 1999 mit dem Aufbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungs­politik eigenständige politische Entscheidungs- und rudi­mentäre militärische Handlungsstrukturen geschaffen. Dieser europäische sicherheitspolitische Pfeiler außerhalb der Nato hat sich aber nicht zu einem wirklich autonomen sicherheitspolitischen Instrument entwickeln können. Angesichts der wenig inte­grationsfreundlichen Grundstimmung in vielen euro­päischen Ländern ist dies auch kurzfristig nicht zu erwarten.

Stärke und Stabilität des europäischen Pfeilers innerhalb der Allianz dürften wesentlich von der Fähigkeit und Bereitschaft Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens abhängen, hier gemeinsam Führungsverantwortung zu übernehmen. Die drei müssten nicht nur eine gemeinsame Position defi­nieren, sondern dafür auch die Gefolgschaft der übrigen Europäer gewinnen, also die Kohärenz mit der EU sicherstellen. Ein Zusammengehen der Euro­päer kann nur gelin­gen, wenn sie interessenbasiert und ohne antiameri­kanische Spitze auftreten. Frank­reichs Haltung gegen­über der Nato wird von Ländern wie Polen und den baltischen Staaten zumindest als zweideutig wahr­genommen. Das europäische Füh­rungstrio müsste unter Beweis stellen, welchen sicher­heits- und verteidigungspolitischen Nutzen die Stär­kung des europäischen Pfeilers in der Nato bringt.

Risiken auf dem Weg zu einem Mehr an strate­gischer Autonomie Europas sind eine Fragmentierung der Sicherheitsbeziehungen in Europa selbst und unbeabsichtigte Friktionen mit den USA. So könnten einige tendenziell EU-skeptische Regierungen sich darum bemühen, die bilateralen Beziehungen zu den USA als Lebensversicherung zu stärken (siehe etwa die polnischen Bemühungen um bilaterale US-Trup­penstationierung) und Beiträge zu EU und Nato zu vernachlässigen. Eine solche Fragmentierung würde Europas Handlungsfähigkeit schwächen. Schon jetzt betrachten einige ostmitteleuropäische Staaten die Orientierung auf strategische Autonomie als Vor­haben, das aufgrund fehlender Kapazitäten ihre Sicherheit aufs Spiel setzt. Wenn vor allem Deutschland und Frankreich nicht zeigen können, dass sich diese Lücken zumindest perspektivisch schließen lassen, dürften diese Staaten das Projekt einer größe­ren strategischen Autonomie im Rahmen der EU nicht nur nicht unterstützen, sondern blockieren.

Gleichzeitig sehen wir, dass die Debatte über ent­sprechende Ambitionen der EU, militärisch, poli­tisch und indus­triell eigenständig oder eigenständiger zu handeln, in Washington nicht unbedingt als Beitrag zur Lastenteilung und zur oft verlangten größeren Eigen­verant­wortung Europas betrachtet wird. Für Präsident Trump reduziert sich die Forderung an Euro­pa ohne­hin darauf, »mehr für die Nato« zu zah­len. Es ist nicht auszuschließen, dass seine Regie­rung die europäische Autonomiedebatte zum Anlass nimmt, sich weiter von gemeinsamen Sicherheitsthemen abzuwenden und ihre militärischen Investi­tionen in Europa zu redu­zieren oder auf einige, etwa ostmitteleuropäische Länder zu konzentrieren. Das könnte schnel­ler ge­schehen, als Europa seine politi­schen, mili­tärischen und indus­triellen Fähigkeiten ausbaut. Will Europa in diesen Bereichen stärker auftreten, muss es das gegenüber den USA, ausdrücklich nicht nur der Trump-Administration, sowie anderen Part­nern wie der Türkei unmissverständlich kommunizieren. Es gilt deutlich zu machen, dass größere euro­päische Fähigkeiten das Bündnis ins­gesamt stärken, weil und indem Europa tatsächlich mehr für seine eigene Sicherheit zu leisten bereit ist.

Verteidigungspolitische Grauzonen

Während die kollektive Verteidigung im strategischen Sinne Aufgabe der Nato bleiben wird, ist in den vergangenen Jahren aufgrund neuer sicherheits­politischer Bedrohungen eine verteidigungspolitische Grauzone entstanden, in der die Allianz nicht zwangs­läufig agieren wird. Hier könnten zunehmend Auf­gaben für die EU oder europäische Koalitionen der Willigen entstehen. Zu denken wäre an die Verteidigung von EU-Mitgliedern, die nicht von den Nato-Garantien profitieren, sowie an entschlossene Gegen­maßnahmen bei einem Angriff auf ein euro­päisches Nato-Mitglied, der keine Aktion der Allianz auslöst, bei Terroranschlägen in einem EU-Mit­gliedstaat oder bei einem hybriden Angriff.

Vorstellbar wäre für diese Fälle ein stärker autonomes Handeln auf Grundlage von Artikel 42 (7) des Lissabonner Vertrages, der sogenannten Solidaritätsklausel. Sie wurde schon einmal angewandt, nämlich bei der Autorisierung des Anti-IS-Einsatzes nach den Pariser Terroranschlägen im November 2015. Aber selbst wenn die EU mittelfristig als poli­tischer Rahmen für derartige Entscheidungen eta­bliert werden sollte, bedeutet das nicht, dass die Ein­sätze an sich vornehmlich in diesem Rahmen statt­finden werden. Eher dürfte sich eine Entwicklung des letzten Jahrzehnts fortsetzen: Mit Ausnahme der kollektiven Verteidigung, die klar in der Nato verankert bleibt, fanden Einsätze mehrheitlich in Ad‑hoc-Koalitionen statt. Nato und EU unterstützen und ermöglichen solche Koalitionen, indem sie Inter­operabilität trainieren, Beschaffung koordinieren sowie Kommunikations- und Informationsinfrastruktur bereitstellen.

In diesem Sinne sollte Deutschland bei der Fortentwicklung der PESCO darauf achten, dass die EU-eigenen Aufgaben der Krisenprävention und des Kri­senmanagements nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Gerade Frankreich fordert, diesen Aufgaben wieder größeres Gewicht einzuräumen. Paris sieht in der strategischen Autonomie Europas eine operative Dimension, die sich auch auf eine rüstungsindustrielle Unabhängigkeit gründet. Dieser Vision müsste sich Deutschland stärker als bisher verschreiben, wenn es strategische Autonomie streng auslegt. Ihr zu folgen wäre zunächst unbequem: Beide Bestandteile dieser Autonomie – die operative und die rüstungsindu­strielle – sind im EU-Rahmen gegenwärtig nicht zu erreichen. Sie aus diesem Grund gleichwohl nicht konsequent zu verfolgen birgt die Gefahr, der EU auch in Zukunft keine eigene sicherheitspolitische Kon­tur zu verleihen.

Die EU als Anbieter von Krisenmanagement

Die Kernaufgabe der Nato ist die Bündnisverteidigung und Abschreckung. Federführend ist die Allianz auch bei Kampf­einsätzen. Dagegen konzentriert sich die EU auf das Krisenmanagement in der Nachbarschaft Euro­pas, bei dem sie weitgehende Autonomie erreicht hat. Im engeren Sinne umfasst diese sicherheits­politische Aufgabe gemäß Artikel 28b des Lissabonner Ver­trages »gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, hu­manitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Auf­gaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Auf­gaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisen­bewältigung einschließlich Frieden schaffender Maß­nahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten«.

In den vergangenen Jahren hat die EU sich vor allem auf den Aufbau sicherheitspolitischer Struk­turen und Fähigkeiten (Capacity Building) in einigen Ländern Afrikas konzentriert. Allerdings fasst sie darüber hinaus auch ins Auge, »höherwertige« Auf­gaben aus diesem Spektrum bis hin zu Kampfeinsätzen zu übernehmen, und hat in den vergangenen Jahren ihre Fähigkeiten dazu ausgebaut. Es käme also vor allem darauf an, den notwendigen politischen Willen für derartige Einsätze zu generieren oder zu erhalten. Genauso wichtig wäre es, den noch sehr eng auf tech­nische Fragen bezogenen Kooperationsrahmen zwi­schen Nato und EU inhaltlich auszugestalten, Das empfiehlt sich gerade dort, wo es überlappende Aktivitäten gibt, also bei hybriden Bedrohungen, Terrorismus­bekämpfung und der Mobilität von Truppen und Gerät.

Gegenwärtig sind die Mitgliedstaaten der EU aller­dings weit davon entfernt, ihre selbstdefinierten militärischen Ambitionsniveaus zu erreichen. Im EU-Rahmen wollten sie bereits im Jahre 2010 in der Lage sein, zwei umfangreiche Operationen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau durchzuführen, bei denen mindestens zwei Jahre lang bis zu 10 000 Mann im Einsatz gehalten werden könnten. Darüber hinaus sollte es zu dem Zeitpunkt gewährleistet sein, gleich­zeitig zwei befristete Operationen unter Einsatz der EU-Battlegroups, eine Operation zur Evakuierung euro­päischer Staatsbürger, eine Mission zur Über­wachung und Abriegelung eines Seegebiets oder Luft­raums sowie eine bis zu 90 Tage dauernde zivil-mili­tärische Operation zur Leistung humanitärer Hilfe durch­führen zu können. Wie oben angedeutet, stellt sich perspektivisch die Frage, ob und wie britische Kapazitäten künftig für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nutzbar gemacht werden kön­nen. Im Rahmen der Nato mit ihren Kernauf­gaben Bündnisverteidigung, Krisenmanagement und koope­rative Sicherheit wollen die europäischen Staaten sich in die Lage versetzen, zwei große und sechs kleine Operationen oder eine sehr große Operation mit bis zu 100 000 Soldaten und Soldatinnen durch­zuführen.

Hier geht es noch gar nicht um das Ziel einer »euro­päischen Armee«, das in großen politischen Reden ungeachtet der Souveränitätsvorbehalte aller Staaten gern als Zukunftsvision beschworen wird. Um sich dem Ziel strategischer Autonomie weiter zu nähern, müssen die Europäer vielmehr ihre seit Jah­ren bestehenden Fähigkeitslücken schließen, die vor allem im strategischen Transport und den Berei­chen Aufklärung und Führungsfähigkeit bestehen. Neben der strategischen Abschreckung existiert hier die größte Abhängigkeit von den USA.

Auch bei der rüstungsindustriellen Basis Europas wird man in näherer Zukunft kaum von strategischer Autonomie sprechen können. Zwar sind vor allem die größeren EU-Staaten in der Lage, militä­risches Groß­gerät zu entwickeln und zu produzieren. Dagegen lässt die europäische Bedarfs­steuerung und -harmo­nisierung zu wünschen übrig. Größter Hemmschuh dabei ist nach wie vor die national ausgerichtete Rüstungsplanung und ‑beschaffung. Wenn die EU-Mitgliedstaaten weiterhin über 80 Prozent ihrer militärischen Ausrüstung national beschaffen, wird dies auch künftig viel zu hohe Ausstattungskosten verursachen. Außerdem lässt sich auf diese Weise die im Einsatz not­wendige Interoperabilität der Fähig­keiten nicht herstellen.

Bei konstanter Finanzierung würden die euro­päischen Staaten zehn bis 20 Jahre brauchen, um mit Waffensystemen aus eigener Produktion auf heutigem tech­nischem Ni­veau operieren zu können. Größere Pro­jekte, wie ein neues Kampfflugzeug, würden noch länger dauern. Das dürfte erst recht gelten, wenn es den Mitgliedstaaten nicht gelingt, sich auf gemein­same Rüstungsexportkriterien zu einigen. Gegen­wärtig befinden sich Deutschland und Frankreich hier in einer Blockade­situation. Paris macht den Ex­port eines Kampfflugzeuges, welches beide Länder gemeinsam entwickeln und beschaffen wollten, zur Vorbedingung für das bilaterale Projekt. Weil Rüstungsfirmen in Europa ihre Kapazitäten mit den nationalen Bedarfen nicht auslasten können, sind sie auf den Export ihrer Pro­dukte angewiesen und machen sich von der Nach­frage aus Drittländern etwa im Nahen und Mittleren Osten oder Asien abhängig. Gelingt es den Mitgliedstaaten aber weiterhin nicht, die industriellen Kapa­zitäten auf einem sinnvollen Niveau zu kon­solidieren und sich auf gemeinsame Exportkriterien zu verstän­digen, dürfte strategische Autonomie in der Rüstungs­politik kaum zu erreichen sein.

Zwar können Deutschland und andere europäische Staaten amerikanische Rüstungsprodukte kaufen. Das erzeugt allerdings technologische oder gar politische Abhängigkeiten. So wird vor allem aus Frankreich zu Recht darauf hin­gewiesen, dass EU-Staaten vor jedem Einsatz der von ihnen in den USA erworbenen Droh­nen vom Typ Reaper um eine Genehmigung in Wash­ington ersuchen müssen. Im Falle des Kampfjets F‑35 laufen alle Informationen zum Betrieb und zur War­tung des Flugzeugs über Server in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig ver­deutlicht gerade dieses Bei­spiel die Besonderheit von Rüstungskäufen: Staaten kaufen nicht bloß ein Flugzeug, sondern unterstreichen durch den Erwerb eines amerikanischen Jets die Bedeutung der trans­atlantischen Beziehungen und amerikanischer Sicher­heitsgarantien. So hat sich Belgien gegen eine euro­päische Lösung und für die F‑35 entschieden. Auch andere EU-Staaten streben aus diesen Gründen bewusst die Abhängigkeit von den USA an.

Anders ausgedrückt: Um größere strategische Auto­nomie zu erlangen, müssten die Europäer deutlich umfassender bei militärischen Fähigkeiten kooperieren. Mit weiteren Anstrengungen zur Entwicklung eines europäischen Rüstungs­marktes, gemeinsamen Entwicklungs- und Beschaffungs­vorhaben und ein­heitlichen Standards kann hier auch die EU substantiell zu höherer Interopera­bilität und gemeinsamer Einsatzfähigkeit beitragen.

Die nukleare Frage

In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion ist umstritten, ob strategische Autonomie auch die Fähigkeit zu nuklearer Abschreckung beinhalten muss. Hier gilt es drei verschiedene Dimensionen zu unterscheiden.

Erstens geht es um die Abschreckung existentieller Angriffe auf europäisches Territorium. Hier greift weiterhin die in Artikel 5 des Nord­atlantik­vertrags festgelegte Verpflichtung zur kollek­tiven Verteidigung. Neben den USA werden auch die euro­päischen Atommächte Großbritannien und Frankreich nach wie vor nukleare Fähigkeiten in die Nato einbringen und so die Abschreckungsfähigkeit im Falle eines An­griffs auf existentielle Inter­essen der Europäer sicher­stellen. Vor allem die Abschreckung nuklearer An­griffe durch andere Staaten dürfte damit auch künftig gewährleistet sein: Ein An­greifer muss in einem sol­chen Fall mit nuklearer Vergeltung rechnen.

Zweitens geht es darum, atomare Erpressungs­versuche abwehren zu können. »Nuclear blackmail« war in der Vergangenheit wenig erfolgreich, bleibt aber als Risiko für die Handlungsfähigkeit denkbar. Strate­gische Autonomie hieße hier, die eigenen Ver­teidigungsanstrengungen so zu organisieren, dass Europa nicht aus Furcht vor einer nuklearen Eskala­tion zu­rückweichen muss, die ein Gegner betreibt. Dies er­fordert eine Abstimmung im europäischen Rahmen über gemeinsame Prinzipien und Regeln im Hinblick auf glaubwürdige Abschreckung. Eine Ver­ständigung darüber gibt es bisher nur in der Nato. Frank­reich hat bisher keine Bereitschaft gezeigt, über diese strategischen und auch operativen Fragen im euro­päischen Rahmen zu beraten.

Drittens geht es darum, die eigene, europäische Handlungsfähigkeit im Kontext regionaler Krisen wahren zu können, in denen auch andere, konkurrierende Atomwaffenstaaten agieren. Besonders im Nahen Osten, aber auch in Asien sind derartige Inter­ventio­nen denkbar, die schnell eine nukleare Dimen­sion bekommen können. Solche Szenarien stellen höch­ste Anforderungen an die strategische Handlungsfähigkeit.

Nicht nur die oben angesprochenen Probleme der Abstimmung unter Verbündeten müssen gelöst werden. Es muss auch eine tiefe und belast­bare Einig­keit über Ziele einer Intervention und die Mittel zur Erreichung dieser Ziele hergestellt werden. Bislang gab es kaum eine Intervention europäischer Staaten, in der die Übereinstimmung so groß war, dass hier mit dem höchsten, nämlich nuklearen Ein­satz hätte »gespielt« werden können. Die Diskussion über die Rolle von Atomwaffen, die sich etwa auch in der Ab­rüstungsdebatte spiegelt, ist in der EU mittler­weile so toxisch, dass der Versuch einer Konsens­findung oft gar nicht mehr unternommen wird. Eine ungleich anspruchsvollere vergemeinschaftete Abschreckungspolitik erscheint vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar.

Eine »europäisierte« nukleare Abschreckung auf Grundlage des bestehenden französischen Arsenals ist zwar grundsätzlich denkbar. Um einen Angriff mit Kernwaffen auf einen EU-Staat zu verhindern, bedarf es keiner massiven Nukleararsenale. Es würde ausreichen, dass Frankreich und mit ihm die EU glaub­würdig drohen kann, einen Angriff auf einen EU-Mitgliedstaat nuklear zu vergelten. Einige Äuße­rungen französischer Präsidenten in den 1990er Jahren und auch jüngst die von Emmanuel Macron deuten darauf hin, dass Frankreich bereit sein könn­te, seine Nukleargarantie entsprechend auszuweiten.

Bis heute bleibt Frankreich der nuklearen Planungsgruppe und anderen einschlägigen Gremien der Nato fern, um die uneingeschränkte natio­nale Entscheidungsfähigkeit über die force de frappe zu behalten. Daraus wird deutlich, wie unwahrscheinlich es ist, dass sich die französische Kern­waffen­politik in eine gemeinsame euro­päische Sicher­heits- und Ver­teidi­gungspolitik integrieren ließe. Eine weitere Un­sicher­heit ist, dass künftige französische Präsidenten oder Präsidentinnen sich an Verpflichtungen ihrer Vor­gänger nicht mehr gebunden fühlen könnten. Der populistische Nationalismus ist schließlich nicht nur ein US-ameri­kanisches Phänomen.

Die Diskussion über eine deutsche Nuklearoption ist eine Geisterdebatte.

Die Diskussion über eine deutsche Nuklearoption ist erst recht eine Geisterdebatte. Eine solche Option wäre mit enormen Kosten und Risiken verbunden, ohne dass ein sicherheitspolitischer Mehrwert er­kennbar ist. Deutschland müsste unter anderem den Atom­ausstieg rückgängig machen und einen nukle­aren Brennstoffkreislauf etablieren sowie mit eigenen außen­politischen Prinzipien radikal brechen, um aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag aus­treten zu können. Dies würde das nukleare Nicht­verbreitungsregime weiter schwächen, Rüstungswettläufe in Europa befeuern und die deutsche Gesellschaft derart polarisieren, dass die eigene Handlungs­fähigkeit deutlich eingeschränkt wäre.

Zivile Fähigkeiten

Um im eigenen strategischen Umfeld Ordnung proji­zieren und gestalten sowie Risiken abwehren zu können, sind militärische Fähigkeiten unabdingbar, aber nicht ausreichend. Noch fehlt eine gemeinsame euro­päische Strategie, die militärische mit diploma­tischen und anderen zivilen oder nichtmilitärischen Instru­menten (wie Konfliktprävention, Vermittlung, humani­täre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Kon­fliktnachsorge oder Sanktionen) kombiniert und zivile Konfliktbearbeitung nicht automatisch der militärischen unterordnet. Eine solche Strategie wäre aber notwendig, wenn strategische Autonomie um­fassend und nicht ausschließlich militärisch durch­dekliniert werden soll. Nicht zuletzt mit Blick auf den europäischen Wertekanon – die Orientierung an Frieden, Men­schenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sollten zivile Instrumente der Kon­fliktbearbeitung und mehr oder weniger robuste diplomatische Inter­ventionen nicht nur als Vorspiel, untere Stufe oder Nachsorge zum »eigentlichen« Ein­greifen verstanden werden. Das schließt allerdings eine Arbeitsteilung aus, bei der Deutschland sich vornehmlich auf zivile Interventionsinstrumente, andere Partner dagegen auf militärische konzentrieren. Europa träte damit eben nicht als gemeinsamer Akteur auf.

Es geht darum, parallel zur Stärkung militärischer Fähigkeiten und Abstimmungsprozesse auch die zivi­len Fähigkeiten weiter auszubauen, vor allem durch eine gemeinsame strategische Planung Prioritäten zu setzen und mit Ziel- und Interessenkonflikten um­zu­gehen. Die Ziel- und Interessenkonflikte beruhen auf unterschiedlichen Bin­dungen und Interessen einzelner Mitglied­staaten sowie Konflikten zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Erwägungen, aber auch auf dem Interesse an guter Regierungs­führung, Wahrung der Men­schenrechte oder Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Diplomatie und Aufklärung

Jede Außen- und Sicherheitspolitik der EU steht und fällt mit der Fähigkeit ihrer Diplomatie, die Ziele der Union ko­härent und gemeinsam anzustreben und nach außen widerspruchsfreie Positionen zu vertre­ten. Je größer die Orientierung auf eine strategische Autonomisierung Europas, desto mehr hängt der Erfolg davon ab, dass die Diplomatien der Mitgliedstaaten und der EU in ausreichendem Einklang agie­ren. Gegenwärtig fehlt es hier an den notwendigen Voraussetzungen: Dem Erfolg im Wege stehen natio­nale Interessen einzelner Mitgliedstaaten, schwer miteinander vereinbare diplomatische Arbeits­formen und Traditionen sowie die noch unzurei­chend ent­wickelte diplomatische Kohärenz im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Politischen Vor­gaben, auch aus dem Rat selbst, wird oft un­zulänglich gefolgt; der internationale Einfluss, den die EU haben könnte, bleibt ungenutzt. Europäische strategische Autonomie würde die Bereit­schaft der Mitgliedstaaten ver­langen, außenpolitische Orientierungen und deren diplomatische Umsetzung im EU-Rahmen so abzu­stimmen, dass Alleingänge einzelner, vor allem größerer Staaten unter­bleiben. Um dies auch für die alltägliche diploma­tische Tätigkeit wirk­sam werden zu lassen, müsste der EAD ein eigen­ständiger aus­wärtiger Dienst wer­den. Gefragt wäre ein einheit­licher Apparat mit eigenen Lauf­bahnen, ge­führt von einer Hohen Vertreterin, die poli­tisch stark genug ist, Außenpolitik im Rahmen ihrer Zu­ständigkeit selbständig zu kon­zipieren und umzu­setzen. Überdies müsste sie von den Mitgliedstaaten Mandat und Ver­trauen bekommen, im Namen der Union mit Dritten zu ver­handeln. Gerade der Brexit-Prozess hat gezeigt, wie stark die EU mit einer kollek­tiven Verhandlungsführung ihre Inter­essen durch­setzen kann. Eine solche doppelte Stär­kung der außen­poli­tischen Hand­lungsfähigkeit der Union läuft zwar aktuellen Re­nationa­lisierungs­tendenzen in Europa zuwider. Dennoch müsste die deutsche Regierung sie zur Prio­rität er­klären, wenn sie das Ziel strategischer Auto­nomie ernsthaft verfolgen will.

Autonomes sicherheitspolitisches Handeln hängt oftmals von vertraulichen Informationen ab. Auch wenn die Vorstellung eines supranationalen EU-Geheimdienstes derzeit politisch wie vertragsrechtlich abwegig ist, bestehen wichtige Ansatzpunkte für die notwendige nachrichtendienstliche Unterstützung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Zur­zeit verfügt die EU über zwei miteinander verbundene Analyseeinheiten im EAD und im EU-Militärstab, die in erster Linie auf der Grundlage von Berichten nationaler Dienste gemeinsame Lageanalysen und Handlungsoptionen erarbeiten. Diese bisher grundsätzlich freiwillige Zusammenarbeit könnte in vier Bereichen ausgebaut und flankiert werden: Erstens bedarf es einer verlässlichen Koordinierung, welche inhaltlichen und geographischen Prioritäten durch welche nationalen Dienste im gesamteuropäischen Interesse bearbeitet werden. Eine derartige Arbeits­teilung könnte analog zur PESCO zunächst zwischen einigen Mitgliedstaaten vereinbart werden, um die hohen Hürden für eine verbindliche EU-Koope­ration zu umgehen. Zweitens werden eigene euro­päische Forschungs- und Beschaffungsprogramme für die Auswertung großer Datenmengen notwendig werden. Drittens müsste die EU über Initiativen zur Eindämmung von Desinformation hinaus deutlich mehr technische, organisatorische wie menschliche Res­sour­cen für die eigene Informationssicherheit und die Spionageabwehr mobilisieren. Viertens sollten die Befugnisse der nationalen Aufsichtsgremien für Nachrichtendienste und deren grenzüberschreitende Vernetzung gestärkt werden, um Rechtsstaatlichkeit, demokratische Kontrolle und Legitimität in diesem besonders sensiblen Bereich der europäischen Sicher­heitspolitik zu bewahren.

Sanktionen

Europa hat sehr wohl gezeigt, dass es seine Ressourcen gezielt einsetzen kann, um international politisch Einfluss zu nehmen. Zu den robustesten Mitteln euro­päischer Diplomatie gehört das Sanktionsinstrumentarium der Europäischen Union. Es ist in den beiden letzten Jahrzehnten immer häufiger auch ohne Auto­risierung durch den VN-Sicherheitsrat angewandt worden. Das gilt naturgemäß vor allem im Falle von Sanktionen, die ständige Mit­glieder des Sicherheits­rates oder deren engste Ver­bündete betreffen. Uni­laterale EU‑Sank­tionen ließen sich wirkungsvoller gestalten, indem dafür gesorgt wird, dass gezielte Finanzsanktionen wie das Einfrieren von Vermögen unter EU-Jurisdiktion sich nicht mehr so leicht um­gehen lassen. Zu diesem Zweck müssten die Infor­mationen zwischen den Mitgliedstaaten, die für die Umsetzung ver­antwortlich sind, und der Europäischen Kommission besser fließen, und zwar darüber, bei welchen Finanzinstituten sich wie viel Vermögen gelisteter Einzelpersonen, Einrichtungen und Orga­nisationen befindet, das eingefroren werden könnte. Weiterhin sollten mehr Ressourcen investiert werden, um ver­lässliche empirische Daten über die erzeugten direk­ten und indirekten wirtschaft­lichen Wirkungen zu erheben. Eine aussagekräftigere Datengrundlage könnte helfen, die politische Debatte über die Vor- und Nachteile von Sanktionen zu ver­sachlichen und dessen gesamt­gesellschaftliche Akzep­tanz zu stär­ken, zumal mit Sanktionen unweigerlich auch Kosten für bestimmte Sektoren der eigenen Volkswirtschaften einhergehen. Schließlich müsste schon bei der Aus­gestaltung von Sanktionen syste­matischer darauf geachtet wer­den, wie weit die damit verknüpften politischen Forderungen jeweils gehen sollten. Im Einzelfall sollten zusätzlich zu den Ober­zielen auch konkrete Wegmarken abgesteckt werden, die bereits zu einer (beschränkten) Erleichterung von Sanktionen führen könn­ten. Damit ließen sich zu­sätzliche An­reize für Ver­handlungen mit den betroffenen Staaten schaffen. Auch könnte die Gefahr zu­mindest redu­ziert werden, dass bestimmte Sanktionen sich zum Dauer­zustand ent­wickeln, statt als autonomes, idealerweise aber international abgestimmt ein­setzbares Einflussmittel zu wirken.

Grenzen europäischer Handlungsfreiheit zeigen sich beim Umgang mit US-amerikanischen Sanktionen, die die wirtschaftliche und politische Souverä­nität Europas untergraben. Gegenwärtig zwingt die US-Regierung europäische Unternehmen aus dem gesamtwirtschaftlich eher unbedeutenden Iran-Geschäft, unterminiert aber schon damit die Glaub­würdigkeit der europäischen Außenpolitik. Perspektivisch könnten ähnliche Sanktionen der USA Euro­pas Handlungsspielraum auch gegenüber anderen Ländern einschränken, die die US-Regierung als »Schurkenstaaten« (»rogue states«) oder strategische Konkurrenten unter Druck zu setzen oder zu be­strafen sucht. Dies beträfe dann die für europäische Wirtschaftsinteressen weit­aus wichtigeren Märkte Russland und China.

Eine offensive Vorgehensweise könnte sich auf US-Sekundärsanktionen richten, durch die europäische Einzelpersonen, Einrichtungen und Organisationen vom US-Markt ausgeschlossen werden, sofern sie be­stimmte Transaktionen mit dem iranischen und dem russischen Energie- oder Rüstungssektor vorneh­men. Darauf ließe sich analog mit einem vorüber­gehenden (Teil-)Ausschluss amerikanischer Unter­nehmen vom europäischen Markt reagieren. Das widerspräche aber dem euro­päischen Interesse an einer weiterhin engen, umfas­sen­den transatlantischen Partnerschaft. Die EU hat mit Blick auf die Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen den Iran die eigene Abwehrgesetzgebung (Blocking Statute) erneuert und bemüht sich darum, Zahlungskanäle durch die Einrichtung einer Zweck­gesellschaft (Special Purpose Vehicle) aufrechtzuerhalten. Für die Bedürfnisse internationaler Unter­nehmen, die Zugang zum US-Finanzmarkt benötigen, geht das Engagement der EU allerdings nicht weit genug, solange der lange Arm der amerikanischen Justiz nicht abgewehrt werden kann und der Euro als Zahlungsmittel und Reservewährung dem US-Dollar nachsteht.

Ein ergänzender und eher defensiv angelegter Ein­satz europäischer Wirtschaftsmacht könnte sich in den einzelnen Mitgliedstaaten auf die Neutralisierung amerikanischer Primärsanktionen richten. Mit ihnen wird US-Jurisdiktion direkt auf europäische Einzel­personen, Einrichtungen und Organisationen an­ge­wandt. Bei aufgedeckten Verstößen hat dies empfindliche zivil- und strafrechtliche Folgen. Die Ausdehnung von US-Jurisdiktion über die Grenzen der Ver­einigten Staaten hinaus ist der wichtigste Hebel, mit dem die Regierung in Washington die Risikoabwägung von Unter­nehmen beeinflusst und diese zwingt, sich aus be­stimmten Märkten zurückzuziehen. Die EU könnte eine solch expansive Auslegung von US-Jurisdiktion unter Berufung auf völkerrechtliches Gewohnheitsrecht zurückweisen. Sie könnte betroffe­ne euro­päische Unternehmen ermutigen und dabei unter­stützen, die globale Reichweite von US-Sanktio­nen per Klage vor amerikanischen Gerichten anzu­fechten. Auch wenn solche Prozesse Zeit in An­spruch näh­men, wäre dies ein klares Sig­nal sowohl an die US-Regierung als auch an euro­päische Unternehmen, dass es hier um die Wahrung geltenden Völkerrechts geht.

Rüstungskontrolle

Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind Kernthemen europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Gerade europäische Diplomatien haben hier ein hohes Maß an Kompetenz entwickelt. Die kooperative Begrenzung von Rüstungspotentialen und die wirksame Kontrolle missbrauchsrelevanter Technologien sind notwendige Ergänzungen einer eigenständigeren militärischen Sicherheitspolitik, weil sie effektiv, präventiv und nachhaltig zur Redu­zierung von Bedrohungspotentialen beitragen kön­nen. Je handlungsfähiger Europa mili­tärisch wird, desto mehr sollte es daher auch darüber nachdenken, wo es bereit wäre, zugunsten einer koope­rativen Regelung auf eigene Fähigkeitszuwächse zu verzichten. Das ist vor allem bei noch nicht ver­regel­ten »emerging technologies« wie Cybertechnologien und autonomen Waffensystemen der Fall.

Zweifellos werden Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung in dem Maße schwieriger, wie Schwellen- und Großmächte kooperative Rüstungs­begrenzungen als Einschränkungen nationaler Hand­lungsfähigkeit ablehnen. Gleichzeitig spiegeln sich in der EU selbst viele globale Interessengegensätze wider, etwa zwischen Atomwaffenstaaten und Nicht­atomwaffenstaaten. Immer wenn es den Europäern gelang, diese Konflikte intern zu überbrücken, konnten die erarbei­teten Kompromisse auch globale Wirkung entfalten. Internen Auseinandersetzungen etwa über den Um­gang mit dem Atomwaffenverbotsvertrag sollten die EU-Mitgliedstaaten daher nicht ausweichen, wenn sie auch hier als globale Gestaltungsmacht wirken wollen.

Unabhängige europäische Instrumente zur Kontrolle kritischer Technologien, wie zum Beispiel Aus­fuhrkontrollen, sind notwendige, aber keine hin­reichenden Antworten auf globale Probleme der Pro­liferation. Strategische Autonomie heißt daher vor allem, eigenständige europäische Initiativen für ein effektives multilaterales Vorgehen zu entwickeln sowie Partner für solche Ansätze zu finden, um diese auch gegen politische Widerstände zu verfolgen. Europäische Politik sollte sich dabei auf Felder kon­zentrieren, in denen die EU einen konkreten Beitrag zu Erhalt und Ausbau bi- und multilateraler Regime leis­ten kann. So ist die erfolgreiche Umsetzung des Iran-Abkommens ein Testfall für den Willen und die Fähigkeit der EU, einen wichtigen nichtverbreitungs­politischen Fortschritt auch zu sichern. Scheitert das Iran-Abkommen, sinken die Chancen für eine erfolg­reiche Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nicht­verbreitungsvertrags im Frühjahr 2020.

Die EU sollte ihre 2003 verabschiedete Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungs­waffen erneuern. Dazu könnte eine europäische Initiative für einen Nichtverbreitungsfonds gehören, der politisch motivierte Zahlungsausfälle von Groß­mächten ausgleicht. Als Teil einer auf größere Selb­ständigkeit ausgerichteten Politik kann Europa seine ökonomische Macht zudem dafür einsetzen, nicht­verbreitungspolitische Ziele zu erreichen. So könnte es darauf dringen, auch Handels- und Kooperationsabkommen wieder mit Nonproliferationsklauseln zu versehen. Zielkonflikte zwischen rüstungskontroll­politischen Interessen einerseits, wirt­schaftlichen und geopolitischen andererseits werden dabei allerdings nicht ausbleiben.

Internationale Organisationen

Zur strategischen Autonomie gehört auch, dass die Europäer ihr Potential innerhalb des VN-Systems und anderer internationaler Organisationen wirkungs­voller zur Geltung bringen. Internationale Organi­sationen bilden nicht nur den umfassendsten insti­tutionellen Rahmen multilateraler Kooperation. Sie sind in etlichen Ländern und Regionen auch mit­entscheidende Akteure bei der Friedenssicherung, der Wiederherstellung staatlicher Ordnung oder der Umsetzung politischer und wirtschaftlicher Refor­men. Eine strategische Part­nerschaft der EU mit den VN sowie die trilateralen Treffen beider Organisationen mit der Afrikanischen Union etwa fördern schon heute die Kooperation bei Peacekeeping und Krisen­management. Diese Partnerschaft wird dadurch erleichtert, dass VN und EU mit Blick auf die norma­tiven Ziele und Prinzipien internationaler Friedens­operationen grundsätzlich übereinstimmen. Die internationale Wahrnehmung der EU als strategischer Akteur – wahrscheinlich auch ihr Einfluss auf Mandatsentscheidungen und die Gestaltung von VN-Operationen – ließe sich steigern, wenn die Mit­glied­staaten bereit wären, fallweise europäische Krisen­reaktionskräfte etwa in Gestalt der EU-Battle­groups zur Unterstützung der VN einzusetzen, gegebenenfalls auch unter VN-Kommando.

Ein ständiger EU-Sitz im VN‑Sicherheitsrat bleibt auf absehbare Zeit unrealistisch.

Mit ihren Stimmrechten und ihrem finanziellen Beitrag neh­men Deutschland und seine europäischen Partner schon heute Einfluss auf Ausgestaltung und Arbeit internationaler Organisationen. Sie könn­ten aber noch mehr Gewicht bei Entscheidungen erlangen, wenn nationale Stimmrechte stärker europäisiert oder gebün­delt würden. Ein ständiger EU-Sitz im VN-Sicherheitsrat bleibt auf absehbare Zeit unrealis­tisch. Meist nehmen aber zwei, 2019 mit Belgien, Deutschland und Polen sogar drei Mitgliedstaaten einen nichtständigen Sitz ein. Zusammen mit dem ständi­gen Sicherheitsratsmitglied Frankreich müsste ein Mechanismus gefunden werden, um nicht nur ein kohärenteres Abstimmungsverhalten, sondern auch eine bessere Rückkoppelung mit den anderen EU-Staa­ten sicher­zustellen.

Ähnliches gilt für die Internationalen Finanz­organisationen (IFIs). Pläne der Europäischen Kom­mission, die Stimmrechte der Euro-Länder im Direk­torium des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenzuführen, sollten schnellstmöglich ver­wirklicht werden. Damit hätten die Euro-Länder grö­ße­res Gewicht im IWF als die USA. Programme der IFIs könn­ten stärker genutzt werden, um eigene Inter­essen durch­zusetzen. Die IFIs nehmen in verschie­denen Ländern nicht nur Einfluss auf die wirtschaft­liche Entwicklung, sondern indirekt auch auf andere Politikfelder, vor allem mit Hilfe ihres finanzpolitischen Durchgriffs. Deutschland und seine europäischen Partner sollten daher Reformprogramme des IWF sowie langfristige Entwicklungslinien und Auf­bauprojekte der Weltbank sowie weiterer regio­naler Ent­wicklungsbanken als außenpolitisches Werk­zeug begreifen. Dabei muss nicht unbedingt auf die Pro­gramm­ausgestaltung selbst eingewirkt werden. Vielmehr bietet es sich an, die Gewährung der meist erfor­derlichen zusätzlichen Mittel für solche Pro­gram­me an bilaterale Neben­absprachen mit dem jeweiligen Empfängerland zu knüpfen, mit denen etwa die Regierungsführung oder die Menschenrechtslage verbessert werden sollen.

Außerdem hat die EU als Exportmacht ein besonderes Interesse daran, dass die globale Ordnung im Handel erhalten bleibt. Die Regierung Trump unter­miniert jedoch aktiv die Welthandelsorganisation (WTO) und fördert damit ein opportunistisches Kalkül bei anderen WTO-Mitgliedern, das zur Gefahr für die gesamte globale Wirtschaftsordnung werden könnte. Europa ist hier durchaus konflikt­fähig und kann als mächtiger Binnenmarkt auch bei einem Rückzug der USA aus der WTO sein Gewicht zur Geltung bringen. Zwar mag es damals einer hege­monialen Macht be­durft haben, um eine neue inter­nationale Organisa­tion aus der Taufe zu heben, doch ihr Fortbestand ist daran nicht gebunden. Die EU kann mit gleichgesinnten Wirtschaftsmächten wie Australien, Japan, Kana­da und Korea eine Koali­tion zum Erhalt und zur Er­neue­rung des Regelwerks der WTO bilden. Hier kann sie selek­tiv auch mit Staaten wie China oder Russland Bündnisse eingehen, wenn an dieser Stelle die Inter­essen übereinstimmen.

Wirtschaft, Handel, Wettbewerbsfähigkeit

Wirtschaftliche Größe ist eine wesentliche Quelle außenpolitischer Macht. Insofern ist es nicht un­erheblich, dass auf die EU zur Zeit noch 21,6 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 15,2 Pro­zent des globalen Warenhandels, über 20 Prozent des Dienstleistungsverkehrs und 21,2 Prozent der Aus­landsinvestitionen entfallen.

Allerdings gerät die EU gegenüber den beiden ande­ren großen Weltregionen Nordamerika (USA, Kanada, Mexiko) und Ostasien (Japan, China, Korea, ASEAN) ins Hintertreffen. Das gilt sowohl für die wirt­schaftliche Leistungskraft (Nord­amerika 27,8 Prozent, Ostasien 26,5 Pro­zent) als auch die Auslandsinvesti­tionen (Nordamerika 23,0 Prozent, Ostasien 32,3 Pro­zent). Auch wenn Europa ge­gen­über den Globalisierungsgewinnern in Asien weiter an Boden verlieren wird, bleibt es im Weltmaßstab ein wirtschaftlicher Pol. Die ökonomische Wertschöpfung in Europa, die un­ter­nehmerischen Entscheidungen und die techno­logi­schen Innovationen europäischer Unternehmen besitzen globale Tragweite. Deutschland spielt wegen seiner Wirtschaftskraft, seines breiten indus­triellen Profils und seiner hohen Außen­handelsquote in einer eigenen Liga innerhalb Euro­pas. Aufgrund der engen außenwirtschaftlichen und konjunkturellen Verbun­denheit sind Deutschlands wirtschaftliche Stabilität und Wachstum essen­tiell für Europas Wohl­ergehen und seinen Einfluss nicht nur in der Weltwirtschaft, sondern auch in der inter­nationalen Politik.

Wirtschaftliche Stabilität, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas sind nicht garantiert, sondern externen und internen Risiken und Verwundbarkeiten ausgesetzt. Sosehr der hohe Grad weltwirtschaftlicher Verflechtung und Interdependenz den europäischen Staaten und Gesell­schaften nutzt, geht er auch mit gelegentlich so ge­nannten Konnektivitätsrisiken einher: Die europäische Wirtschaft ist von verlässlichen Lieferquellen etwa für Energie, Rohstoffe und technologische Komponenten abhängig und durch protektionistische Maß­nah­men anderer verwundbar. Das Risiko makroöko­no­mischer Instabilität wurde 2008/09 in der Finanz­krise deut­lich, als zeitweise die Kreditmärkte nicht mehr funk­tionierten, Einkommen, Beschäftigung und Wachstum einbrachen und auch die Bereitschaft ab­nahm, Schäden innerhalb der Eurozone aufzufangen.

Marktpositionen müssen im globalen Wett­bewerb laufend gegen nichteuropäische Konkurrenten be­hauptet werden, was unter­nehme­risches Talent und staatliche Standortpolitik immer wieder neu heraus­fordert. Deutschlands und Europas Wett­bewerbs­fähigkeit wird ohne leistungsfähiges Humankapital, eine anspruchsvolle Marktnachfrage, ein innova­tives Umfeld, eine moderne Infrastruktur und eine zu­kunftsweisende Regulierung kaum ver­teidigt werden können. Wirtschaftliche Leistungskraft und technologische Innovationsfähigkeit sind inso­fern notwendige Voraussetzungen für eine strate­gische Autonomie Europas.

Als weltwirtschaftlicher Gravitationspol ist der Binnen­markt eine veritable Machtressource Europas.

Als weltwirtschaftlicher Gravitationspol ist der Europäische Wirtschaftsraum eine veritable Macht­ressource Europas. Außenwirtschaftliche Interdependenzen sind stets asymmetrisch. Daher haben Euro­pas ökonomische Beziehungen mit seiner Nachbarschaft immer auch eine machtpolitische Kompo­nen­te. Dies trifft selbst dann zu, wenn es nicht intendiert ist, wie sich etwa beim Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU gezeigt hat. Umgekehrt ist die EU aufgrund ihrer außenwirtschaftlichen Verflechtungen verwundbar. Das gilt besonders im Verhältnis Europas zu den Schwergewichten USA und China, die beide willens und fähig sind, ökonomische Abhängig­keiten aktiv zu nutzen, um politische Interessen durchzusetzen.

Es sind vor allem, aber nicht ausschließlich die USA und China, welche für die EU in allen weltwirtschaftlichen Zusammenhängen sowohl Partner als auch Konkurrenten oder gar Gegenspieler sind.

Binnenmarkt und Handel

Der Binnenmarkt bildet den Integrationskern der EU und ist maßgeblich für den Zusammenhalt der EU nach in­nen sowie die wirtschaftspolitische Handlungsfähig­keit nach außen. Bei Regulierung, Handel und Wett­bewerb wird die EU international, gerade auch in den USA und China, schon jetzt als strategischer Akteur wahrgenommen.

In seiner Gesamtheit ist der Binnenmarkt der welt­weit größte Absatzmarkt und beeinflusst damit die Welthandelspreise und -mengen. Durch den Binnen­markt als Inbegriff angleichender Regelsetzung ver­fügt die EU mehr als jeder andere Akteur über Erfah­rung mit handelspolitischen Instrumenten jenseits von Zöllen – und auf diese Weise über tiefgreifende Vorgaben etwa zu Produktionsprozessen und Arbeits­bedingungen. Zurzeit unterhält die EU Handels­abkommen mit mehr als 70 Staaten und führt Ver­handlungen mit weiteren 25 Staaten. Mit dem Gewicht des absatzstarken Binnenmarktes kann die EU in ihren bilateralen Abkommen die Regeln des Handels-, Inves­titions- und Dienstleistungsverkehrs in ihrem Sinne fortentwickeln. Hier verfügt die EU auch über einen Kompetenzvorteil aufgrund ihrer einzigartigen Erfahrungen, die sie im Zuge ihrer Integrations­geschichte hin zum Binnenmarkt durch die Angleichung großer Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sammeln konnte. Ein aktuelles Bei­spiel für eine solche Regelfortbildung ist das neue europäische Modell des Investor-Staat-Streitver­fah­rens, das erstmals im Handelsabkommen mit Kanada (CETA) vereinbart worden ist. Die Rolle der EU als Reform- und Führungsmotor wird gerade von gleich­gesinnten Staaten geschätzt, etwa im Umgang mit Vorschlägen zur Reform der WTO und bei der Auf­rechterhaltung von WTO-Prinzipien auch gegen die beiden anderen großen Handelsmächte USA und China.

Die exklusive europäische Zuständigkeit für den Handel und die Wettbewerbsregeln, die das Funk­tionieren des Binnen­markts gewährleisten sollen, wirkt auch auf die Wahrung der Kohärenz nach innen: Sie er­laubt es der Kommission, die gemeinschaftliche Linie durchzusetzen, etwa gegen nationale Bei­hilfen an bestimmte Branchen und Unternehmen, die der gemeinsamen Handelspolitik zuwiderlaufen und das externe Auftreten der EU als einheitlicher Akteur schwächen. Der Umgang mit den unterschiedlichen handelspolitischen Interessen der EU-Mitglied­staaten wird schwierig bleiben, gerade dann, wenn diese politischem Druck und Einflussnahme von außen ausgesetzt sind.

In der Wettbewerbspolitik verfügt die EU mit der europäischen Fusionskontrolle und Missbrauchs­aufsicht über ein Instrument, das auch jenseits der Außengrenzen Durchschlagskraft gegenüber markt­mächtigen Großunternehmen hat. So musste sich Gazprom in seiner Vertriebspolitik für Mittel- und Osteuropa 2015 den wettbewerbsrechtlichen Auf­lagen Brüssels fügen. Und gegen Alphabet/Google ver­hängte die EU-Wettbewerbskommission die Rekord­strafe von 4,3 Milliarden Euro wegen missbräuch­licher Ausnutzung der marktbeherrschen­den Stellung des Android-Betriebssystems.

Technologie

Europa ist neben den USA und Nordostasien der dritte große Produzent neuen technischen Wissens. Dabei verfügt Europa über ausgewiesene Stärken, etwa in der Grundlagenforschung und den industri­ellen Anwendungstechnologien. Es hat aber auch Defizite gerade in zukunftsträchtigen Feldern wie Quantencomputing und datengetriebenen An­wen­dungen sowie generell im Innovationssystem, näm­lich ungünstige Standortbedingungen für schnelles, inno­vationsgetriebenes Wachstum. So werden Deutschland und Europa auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, den Vorsprung Chinas und Amerikas in der Digitalökonomie aufzuholen. Umso wichtiger bleibt die Fokussierung auf Invention und Innova-tion, denn technologische Fähigkeiten bilden die Grundlage dafür, globales Gestaltungspotential zu schaffen und Ab­hängigkeiten zu reduzieren. So kann Europa etwa in der Informations- und Kryptotechnik nur dann Ein­fluss auf Standardisierungsverfahren und Techno­logienutzung nehmen, wenn es über das nötige Wis­sen und eine relevante Forschungs- und Industrie­kapazität verfügt. Als Beispiele seien hier der neue Mobilfunkstandard 5G, Künstliche Intel­ligenz sowie Robotik/Autonome Systeme genannt. Allerdings ist in vielen Technologiefeldern gerade keine Auto­nomie, sondern Partizipationsfähigkeit und multi­laterale Governance gefragt, um die Poten­tiale auch im Sinne europäisch-außenpolitischer Interessen auszuschöpfen. Der Bereich der Weltraumtechnologie und des freien Zugangs zum All verdeutlicht die Mischung aus eigenständigen Fähigkeiten (wie die Gemeinschaftsprogramme Galileo und Copernicus der Europäischen Weltraumagentur und der Europäi­schen Kommission sowie der Zugang zum Weltraum mit Hilfe der Raketentypen Ariane 5/6) und den daraus entstandenen Kooperations­möglichkeiten wie der Internationalen Raumstation ISS. Gerade weil Europa ein Weltraum­akteur geworden ist, wurde es für die USA, Russland und China zu einem gefrag­ten Kooperationspartner.

Energie

Die EU und alle ihre Mitgliedstaaten sind Nettoimporteure für Energie. Die höchsten Importraten weist die EU bei Erdöl mit 87,7 Prozent und bei Erdgas mit 70,4 Prozent auf. Insgesamt genießen die EU-Staaten ein hohes Maß an Versorgungssicherheit dank ihrer Ver­netzung, der etablierten Krisenmechanismen, einer gut ausgebauten Importinfrastruktur so­wie der At­trak­tivität des Marktplatzes. Märkte aber sind zyklisch und der Schwerpunkt des globalen Handels verschiebt sich nach Asien. Die global wachsenden stra­tegischen Rivalitäten sind durch eine zunehmende Verschränkung zwischen Sicherheit und Wirtschaftspolitik gekennzeichnet. Mehr strategische Autonomie ver­langt deshalb auch energiepolitische Handlungs­freiheit. Dazu gehört eine Debatte über strategisch wich­tige Zukunftstechnologien und Infrastrukturen, die nach transparenten Mechanismen und von der EU gesetzten Regeln funktionieren.

Es liegt auf der Hand, dass eine erfolgreiche Energie­wende den Handlungsspielraum Deutschlands und der EU erweitert und zudem die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Der Konsens über eine Energietransformation in der EU ist allerdings brüchig, was wiederum ihren Einfluss auf die Normen- und Standardsetzung schwächt.

Russland als größter Energielieferant der EU steht im Zentrum der aktuellen Kontroversen innerhalb der Union. Deutschland als Anlandestaat der Nord-Stream-Pipeline wird von denjenigen kritisiert, die außen- und sicherheitspolitische Erwägungen über energiewirtschaftliche Überlegungen stellen. Nord Stream 2 bringt Berlin in die schwierige Situation, zwischen Wirtschaftlichkeit, Sicherstellung der Grund­lastversorgung und Rücksicht auf europäische Partner und Brüssel abwägen zu müssen. Die Inter­essen- und Deutungskonflikte sind manifest und schwer zu lösen. Deutschlands Glaubwürdigkeit in Bezug auf die europäische Einheit wird sich nur mit deutlichen Diversifizierungsschritten und dem Erhalt des Gastransits durch die Ukraine sichern lassen. Man­gelnde Einigkeit der EU kann sich im Verhältnis zu den USA, aber perspektivisch auch zu China als Bumerang erweisen. Gerade im Handelsstreit mit den USA braucht Deutschland die Rückendeckung und Unterstützung der EU.

Euro-Währungsunion

Der Euro ist zum unverzichtbaren Bestandteil des Binnenmarkts geworden. Die gemeinsame Währung erleichtert den Austausch von Waren und Dienst­leistungen, sichert Preisstabilität und treibt weitere Bereiche der Integration voran, wie die Banken­auf­sicht oder die Regulierung von Finanzdienstleistungen. Der Euro hat dazu beigetragen, dass der Binnen­markt die globale Finanzkrise von 2008/09 überstanden hat – dass es anders als in der Krise der 1930er Jahre nicht zu wettbewerbsbedingten Abwertungen, zum völligen Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems und zu einer langen und tiefen Rezes­sion kam. Die Europäische Zentralbank (EZB) als eine der stärksten Zentralbanken der Welt erwies sich während der Krise trotz ihrer primären Ausrichtung auf Preisstabilität als flexibel und konn­te so Wirtschaftswachstum sowie Haushalts- und Finanzstabi­lität in der Eurozone unterstützen.

Eine große Herausforderung für eine stabile gemein­same Währung bleiben jedoch die Vielfalt und die Divergenzen der Länder, die gemeinsam einen der am stärksten integrierten Wirtschaftsräume der Welt bilden. Allein die drei größten Volkswirtschaften des Euroraums sind für 66 Prozent des BIP der EU-19 ver­antwortlich. Die nördlichen Volkswirtschaften gehö­ren zu den offensten und wettbewerbsfähigsten der Welt, während Südeuropa immer noch mit struk­turellen Problemen und den Folgen der Eurokrise zu kämpfen hat. Das unterschiedliche Niveau der wirt­schaftlichen Entwicklung und institutionellen Leistungs­fähigkeit, also das anhaltende wirtschaft­liche Missverhältnis der europäischen Volkswirt­schaften, führt zu sozialen Ungleichheiten. Daraus ist eine Situation ent­standen, in der sich die politischen Inter­essen der Euro-Länder hinsichtlich der Fiskal­politik, der Geld­politik oder weiterer wirtschaftlicher Inte­gration nahezu unvereinbar gegenüberstehen.

Der Euro ist die zweitwichtigste Währung im glo­balen, vom Dollar dominierten Finanzsystem, doch seine inter­nationale Rolle befindet sich seit 1999 auf einem historischen Tiefstand. In den Jahren der Finanz­krise ist bei den Anlegern die Skepsis gegenüber der Integrität der Währungsunion gewachsen. Der wichtigste Grund war die Unsicherheit über die dauerhafte Finanzstabilität einzelner Mitglieder des Euroraums. Ein weiterer Grund waren Zweifel daran, ob die EZB unter erneuten Finanzmarktturbulenzen eigenständig in der Lage wäre, den Euro zu verteidigen. Das europäische Finanzsystem ist bis heute stark von dem der USA und von den Entscheidungen der Zentralbank Federal Reserve (Fed) abhängig. Während der globalen Finanzkrise haben die USA ihre Position als finanzieller Hegemon noch ausgebaut. Die Dollar­liquidität, welche die Fed der EZB während der Finanz­krise zwischen 2007 und 2010 gewährte (Devisen­swap-Vereinbarung Fed-EZB), lässt sich mit einer mili­tärischen Sicherheitsgarantie im Nato-Kontext ver­gleichen. Ohne diese Unterstützung wäre das Finanz­system der EU zusammengebrochen, mit fatalen Konsequenzen für die Unternehmen, die Beschäfti­gung und das wirtschaftliche Wachstum in Europa und in der Welt.

Politische Kompromisse in der EU sind notwendig, um die institutionelle Architektur des Euroraums zu vollenden und krisenfest zu machen. Hier sollte des­halb auch die Priorität für Deutschland und die EU liegen: Vertrauen in die Irreversibilität des Euro würde dessen internationale Rolle bei Zahlungen, Investitionen, als Reservewährung und bei der Ausgabe von Staats- und Unternehmensanleihen in Euro erheblich unterstützen. Deutschland müsste, wenn es die Euro­zone stärken und auf größere Auto­nomie Euro­pas setzen will, spürbare Zugeständnisse auf mehre­ren Gebieten gleichzeitig machen, nämlich bei der Schaf­fung der automatischen Stabilisierung für den Euro­raum (Fiskalkapazität) und bei der Vollendung der Banken­union. Auch eine gemeinsame Emission von Euro-Anleihen gäbe ein deutliches Signal, dass die Wäh­rungs­union in Europa unumkehrbar ist. Außer­dem sollte der Europäische Stabilitätsmechanismus unabhängiger von der nationalen Politik handeln.

Eine Stärkung der globalen Rolle des Euro wird nicht ohne Änderungen des deutschen Wirtschaftsmodells zu haben sein.

Ein weiterer Anstieg des Euro-Anteils bei grenzüberschreitenden Zahlungen könnte Europa unab­hängiger vom amerikanischen Finanzsystem machen und so auch eigene Unternehmen vor dem extraterritorialen Zugriff von US-Sanktionen schützen. Dabei ist zu beachten, dass eine stärkere globale Rolle des Euro oder eine dominierende Rolle bei globalen Zah­lungen und Devisenreserven zu einer kontinuier­lichen Aufwertung des Euro führen dürften. Dies wiederum könnte die exportorientierten Wirtschaften einiger nördlicher Mitglieder der Eurozone zumindest zeit­weise belasten. Das heißt auch, dass eine Stär­kung der globalen Rolle des Euro nicht ohne Ände­run­gen des deutschen Wirtschaftsmodells zu haben sein wird, und zwar weniger Exportabhängigkeit des Produk­tionssektors, stärkere Entwicklung des Finanz­dienst­leistungssektors sowie Förderung digitaler Innovatio­nen und einer Start-up-Kultur. Der Erhalt der Wett­bewerbsfähigkeit Deutschlands verlangt zudem öffent­liche Investitionen, nicht zuletzt in Infrastruktur, Informations- und Kommunikationstechnologie und Bil­dung. Diese Schritte hätten damit erhebliche poli­tische und finanzielle Kosten für Deutschland zur Folge.

Will also die EU den Euro als Leitwährung auf­bauen, muss sie erst noch wichtige Voraussetzungen schaffen, nämlich den Euro stabiler machen, eigene europäische sichere Anleihen ausgeben und Haf­tungs­risiken aufteilen. Zu einer stabilen inter­nationalen Leit­währung gehört außerdem historisch betrachtet im­mer auch eine starke militärische Kapa­zität – der politische Wille und die Fähigkeit, die Interessen des gemeinsamen Währungsraums notfalls mit einer Armee zu verteidigen.

Strategische Autonomie Europas in einer multipolaren Weltordnung

Europa muss seine strategische Autonomie in einer multipolaren Weltordnung entwickeln und behaupten. Deshalb ist es relevant, wie die Europäer ihre Beziehungen zu Schlüsselakteuren – den USA, China und Russland, aber auch mittleren und aufstreben­den Mächten – gestalten und wie diese Akteure sich selbst gegenüber einem strategisch autonomeren Europa positionieren.

Die Beziehungen zwischen den Europäern und diesen Akteuren reichen von Allianz und Partnerschaft bis zu Konkurrenz und Konfrontation; die Bandbreite der Handlungsformen erstreckt sich von Integration und Kooperation bis zu Entflechtung und Gegenmacht­bildung. Die Machtverhältnisse spiegeln sich in einem unterschiedlichen Grad von Symmetrie und Dependenz zwischen den verschiedenen Polen wider. Europa definiert sich mit dem Anspruch der strate­gischen Autonomie selbst als Pol in einer un­gefestigten multipolaren Weltordnung, die immer stär­ker von einer sino-amerikanischen Rivalität be­stimmt wird.

USA

Auch unter Präsident Trump sind die USA der bevor­zugte und wichtigste Partner der Europäer. Für ihre Verteidigung und Sicherheit sind die USA sogar unverzichtbar, solange Europa nicht selbst gewaltige Anstrengungen in diesem Bereich unternimmt. Zu­gleich fordert aber Trumps Leitmotiv »America First« und seine disruptive und erratische Außenpolitik Europa dazu heraus, europäische Interessen stärker selbst zu definieren und zu schützen. Das Streben nach stra­tegischer Autonomie hat jedoch davon ab­gesehen strukturelle, tiefer liegende und langfristige Gründe. Selbst wenn Trump 2020 nicht wieder­gewählt würde, wäre es kurzsichtig von den Europäern, auf ein blo­ßes Wiederanknüpfen an alte Zeiten der transatlan­tischen Zusammenarbeit zu setzen und in alte Ver­hal­tensmuster des Juniorpartners zurückzufallen. Zuletzt unterstrich der US-amerikanische Außen­minister Pompeo im Dezember 2018 bei einer Rede in Brüssel, dass Donald Trumps kritische Sicht auf multilaterale Formate im Allgemeinen und die EU im Besonderen nunmehr in weiten Teilen seiner Administration geteilt wird. Nur in einer ausgewogeneren transatlantischen Partnerschaft kann Europa seine Interessen so wahrnehmen, wie es die USA auf der anderen Seite für sich beanspruchen. Deshalb müssen sich Europa und Deutschland auf vermehrte Kontroversen, offene­re und strittigere Debatten und auch Kon­flikte mit den USA einstellen.

Die USA blicken dabei auch unter der Präsidentschaft Trumps mit einer Mischung aus Skepsis und Ablehnung auf die Idee einer strategischen Auto­nomie Europas im sicherheitspolitischen Bereich. Frühere Debatten über eine mögliche Abkopplung Euro­pas von der Nato sind in Washington zwar weit­gehend verstummt. Die Grundsätze von »America First« würden zudem nahelegen, dass die USA der Idee größerer europäischer Eigenständigkeit im sicherheitspolitischen Bereich eher offener gegenüberstehen. Doch die USA – das Pentagon und die rest­liche Administration sicher mehr als Präsident Trump selbst – wollen ihren Einfluss auf europä­i­sche Sicherheitspolitik, ihren Zugang zu euro­päi­schen Stützpunkten als Sprungbrett erhalten. Ver­stärkt wird die Skepsis gegenüber europäischer Auto­nomie, wenn europäische Initiativen, wie die Stän­dige Strukturierte Zusammenarbeit in der Verteidi­gungs­politik, aus Sicht Washingtons dazu dienen kön­nen, amerikanische Rüstungsfirmen aus dem lukra­tiven europäischen Markt herauszuhalten.

Die Debatte über Strafzölle ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich ein bedrohlicher Konflikt über die Zukunft der WTO.

Im Gegensatz zur Sicherheitspolitik ist das Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa im wirt­schaftlichen Bereich heute nahezu ausgeglichen, wenn man das Gesamtbild von Handel mit Waren und Dienstleistungen und auch die Investitionen betrachtet. Für Spannungen sorgen unter der Regie­rung Trump jedoch die Handelsbilanzüberschüsse der EU gegenüber den USA im Warenbereich. Trump favori­siert Einfuhrzölle auf einzelne Waren, um das aus seiner Sicht ungerechte US-Defizit umzukehren und die Europäer zu höheren Einfuhren amerikanischer Waren zu bringen. Die Debatte über Strafzölle ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich ein bedroh­licher Konflikt über die Zukunft der Welthandels­organisation (WTO), die von der US-Regie­rung aktiv unterminiert wird und deren Regeln ande­re Länder, allen voran China, seit Jahren ignorieren.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Sanktionspolitik. Die USA nutzen hier zunehmend die finanzpolitische Abhängigkeit der Europäer, um mit Sekundär­sanktio­nen sowohl außenpolitische als auch unternehmerische Interessen Europas zu konterkarieren. Wenn die EU den Euro als Reservewährung aufbauen will, etwa um eigene Unternehmen vor dem extraterritorialen Zugriff von US-Sanktionen zu schüt­zen, muss sie erst wichtige Voraussetzungen schaffen. Gewinnt die EU auf diese Weise mehr finanzielle Eigen­ständigkeit, könnte sie den Euro stärker als In­strument einsetzen, um eigene außenwirtschaftliche und außenpolitische Ziele zu erreichen. Zu erwarten ist, dass Washington darauf ablehnend reagiert. Präsi­dent Trump sieht in der EU offensichtlich zunehmende Konkurrenz. Denk­bar ist aber auch, dass US-Regierungen wegen der steigen­den Bedeutung des Renminbi und des weltweit wach­senden chinesischen Einflusses auf Märkte und Regie­rungen künftig daran gelegen sein könnte, die Posi­tion des Euro als Gegengewicht zu stärken.

Im Konflikt zwischen den USA und China zeigt sich besonders deutlich das Interesse Washingtons, weiterhin auf Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der EU Einfluss zu nehmen. Die Trump-Administra­tion verfolgt offenbar das Ziel, den hegemonia­len Rivalen China wirtschaftlich einzudämmen und seinen tech­nologischen Wandel aufzuhalten. Große Teile der US-Administration, besonders der Nationale Handels­rat, der Nationale Sicher­heitsrat und das Pentagon, setzen auf wirtschaftliche Abkopplung der USA von China, um so die wirtschaftlich-technologische und damit auch die sicherheits­politische Verwundbarkeit zu reduzieren, die sich aus der bestehenden Interdependenz ergibt. Washington erhöht weiter den Druck auf seine Verbündeten einschließlich der EU, sich in den wirtschaft­lichen und politischen Auseinandersetzungen klar auf die Seite der USA zu stellen. Sollte Wash­ington von Europa fordern, sich gleichfalls von China abzu­koppeln, wären wirtschaftliche Interessen der EU empfindlich verletzt, da die Volks­republik einen Wachstumsmarkt und eine Quelle wirtschaftlicher Innovationen und künftiger Entwick­lungen bildet. Zudem leisten chinesische Exporte nach Europa und Investitionen in der EU einen wach­senden Beitrag zur europäischen Wirtschaft und zum Binnenmarkt.

In einer Zeit der Ungewissheit über den Kurs der US-Außenpolitik und des Wandels im internationalen System ist es für Deutschland vernünftig, im euro­pä­ischen Verbund eine Politik der strategischen Risiko­absicherung zu entwickeln und die eigenen außen­politischen Handlungsmöglichkeiten zu erwei­tern. Auch wenn strategische Autonomie allenfalls lang­fristig und annäherungsweise zu verwirklichen ist, lassen sich bereits heute aus der Maxime strate­gischer Risikoabsicherung einige Folgerungen für den Um-gang mit den USA ableiten. Strategische Risiko­absiche­rung kann je nach Konflikt- und Interessenkonstellation in eine Politik wirtschaftlicher und diplomatischer Gegenmachtbildung (hard balanc­ing) münden. Ein Beispiel wäre die Nutzung inter­natio­naler Institu­tionen, um einseitige Machtausübung der USA ein­zuhegen. Eine weichere Form der Aus­balancierung (soft balancing) kann heißen, selbst inter­nationale Füh­rungsleistungen in jenen Politikfeldern zu erbrin­gen, in denen die USA eher blockieren als initiieren, etwa der Klimapolitik. Schließlich kann strategische Risiko­absicherung auch den Schulterschluss (bandwagoning) mit den USA bedeu­ten. Dieser ist zwei­fellos sinnvoll, wenn das amerikanische Vorge­hen mit den eigenen Inter­essen über­ein­stimmt bzw. wenn die ame­rika­ni­sche Politik im eige­nen Sinne beeinflusst werden kann.

Deutsche und europäische Politik muss auch die Kosten einer größeren Autonomie gegenüber den USA berücksichtigen.

Unabhängig davon, welchen Kurs deutsche und europäische Politik einschlägt, muss sie jeweils die Kosten einer größeren Autonomie gegenüber den USA benennen und berücksichtigen. Das gilt für die Verteidigungspolitik ebenso wie für die Finanz- und Wirtschaftspolitik und die Beziehungen zu China. Zu diesen Kosten gehört die Gefahr einer europäischen Spaltung. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt, dass transatlantische Konflikte wie über den Irak-Krieg 2003 immer auch innereuro­päische Spal­tungen nach sich gezogen haben. Vor allem ein Balancing gegen­über den USA, selbst wenn es auf Einzelfälle wie das Iran-Abkommen begrenzt bleibt, macht es daher zwingend notwendig, dass sich die Europäer zuvor auf eine unumstößliche gemein­same Position ver­ständigen.

China

Vor dem Hintergrund des heraufziehenden Großmachtkonflikts zwischen Washington und Peking entwickelt sich das Kräfteverhältnis zwischen China und der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten immer asym­metrischer zu Ungunsten Europas. Lediglich in der Handels- und teilweise in der Investitionspolitik kann die EU China ein von Peking respektiertes Eigen­gewicht entgegensetzen.

Europa ist für China in vielerlei Hinsicht von eminenter Bedeutung: wirtschaftlich als wichtigstes Lieferland und zweitwichtigster Exportmarkt, tech­nologisch als Lieferant von Blaupausen und Hochtechnologie, institutionell als Rollenmodell, politisch, um eigene Zwecke gegenüber Drittstaaten und vor allem den USA zu verfolgen, sowie selektiv als Part­ner, etwa bei der globalen Gesundheit und der Sta­bilisierung von Drittregionen. Während China im Gegensatz zu Russland und den USA ein grundsätz­liches Eigeninteresse am Fortbestand und der Ko­härenz der EU als Akteur in einer multipolaren Welt hat, verfolgt es in der Praxis eine Politik des »Teile und herrsche«. China bevorzugt oder bestraft ein­zel­ne EU-Staaten selektiv, und zwar abhängig von ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung und in Reaktion auf das von China erwartete Wohlverhalten in wichtigen Fragen. Dazu zählen zum Beispiel Rüstungsexporte nach Taiwan, Treffen mit dem Dalai Lama oder die Haltung zu den Uiguren, zur Situation der Menschenrechte in China und zum Südchinesischen Meer. Dabei interagiert China mit Europa auf allen Ebenen, sei es politisch, wirtschaftlich, tech­nologisch, kulturell oder akademisch. Es nutzt und initiiert dazu diverse politische Beziehungskanäle, etwa strategische Partnerschaften mit der EU und ein­zelnen EU-Mitgliedstaaten, Dialogformate wie das mit 16 mittel- und osteuropäischen Ländern (16+1) sowie hochrangige bilaterale Regierungskonsultationen mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Chinas Erwartung, dass sich die EU zu einem eigen­ständigen und vollgültigen Akteur in der Welt­politik und als Gegengewicht der USA mausern wird, ist gesunken. Sollte die EU oder Europa tatsächlich Anstrengungen in Richtung strategischer Auto­nomie unternehmen, wäre dies China willkommen, sofern diese sich nicht in einer härteren Haltung gegen­über dem Land manifestiert oder gar darauf konzentriert.

Europa hat keine belastbare außenpolitische Position im geopolitischen Ringen Amerikas und Chinas um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum.

Die europäische Politik ist sich zwar prinzipiell der großen politischen und strategischen Bedeutung Chi­nas bewusst. In bilateralen Kontexten streben die Mit­gliedstaaten aber vor allem danach, China als Quelle für wirtschaftliches Wachstum und als Mög­lich­keit wirtschaftlicher Diversifizierung zu nutzen, sowohl als Exportmarkt wie als Investor. Die poli­tischen Interessen Europas – Frieden und Stabilität in Ostasien, Chinas globale Beiträge für Stabilität, Entwicklung, Umwelt, Klima, Eindämmung der Pro­liferation, Verbesserung der Menschenrechtssituation in China – werden demgegenüber oft als nachrangig behandelt und auch nur von einem Teil der EU-Mit­gliedstaaten überhaupt verfolgt. Europa verfügt über keine belastbare gemeinsame außenpolitische Posi­tion im geopolitischen Ringen Amerikas und Chinas um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum. Auch fehlt es an einer klaren Haltung zu Chinas auto­ri­tären, paternalistischen Ordnungsvorstellungen. Selbst in Handels- und Investitionskonflikten vermag Europa nicht zu einer einheitlichen Linie zu finden. Zu hete­ro­gen sind Status, Profile und Inter­essen der EU-Mit­gliedstaaten im Verhältnis zu China: Was die wirtschaftlichen Beziehungen anbelangt, verläuft ein Graben zwischen denjenigen, die für China als Industrie- und Technologiepartner attraktiv sind, und jenen, die untereinander als Bittsteller in Peking kon­kurrieren. Einige Länder haben ein erklär­tes Interesse an internationaler Ordnungspolitik. Großbritannien und Frankreich unterhalten darüber hinaus eine eige­ne militärische Präsenz in Asien.

Nur ein politischer Konsens über die eigenen stra­tegischen Interessen in Bezug auf China würde ein strategisches Handeln Europas gegenüber China er­möglichen. Dazu bedarf es einer stärkeren Priorisie­rung der europäischen China-Politik jenseits der aktuellen außenpolitischen Problemlagen. Die Initia­tive dazu müsste gemeinsam von Paris, Berlin und London ausgehen. Am wichtigsten ist es, die wirt­schaftspolitische Handlungsfähigkeit Europas gegen­über Chinas Staatswirtschaft unter Beweis zu stellen. Ferner sollte das außenwirtschaftliche Förderinstrumentarium so weit ausgebaut werden, dass europäische Unternehmen in der Lage sind, in Dritt­staaten wettbewerbsfähige Infrastrukturinvestitionen an­zubieten, auch um der chinesischen Belt and Road Initiative etwas entgegensetzen zu können.

Russland

Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump ist die transatlantische Koordination der Russland­politik weitgehend zusammengebrochen. Zwischen der vom Weißen Haus zur Schau gestellten Offenheit für einen umfassenden »Deal« mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Versuchen des Kongresses in Washington, den außenpolitischen Spielraum des US-Präsidenten gegenüber Russland einzuschränken, ist die Abstimmung mit den euro­päischen Verbündeten ins Hintertreffen geraten. Diese Entwicklung wird von der zunehmenden extra­territorialen Anwendung von US-Sanktionen über­lagert, die bereits vor Trumps Präsidentschaft begon­nen hat.

Vor diesem Hintergrund ist mehr strategische Autonomie für Europa im Verhältnis zu Russland besonders wichtig. Gleichzeitig zeigen sich gerade in diesem Verhältnis erhebliche Zielkonflikte. Russland bleibt eine mehrdimensionale Herausforderung, die die EU bzw. die europäischen Staaten auf absehbare Zeit nicht allein bewältigen können. Wird die US-amerika­nische Sicherheitsgarantie abgeschwächt, be­vor Europa seine eigenen Fähigkeiten stärken kann, drohen der EU daher neue Verwundbarkeiten, die Russland nicht nur an den Außengrenzen der Union, im Baltikum etwa, testen könnte. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben heute auch keine aus­reichen­den eigenen Möglichkeiten, Russland von einer aggressiven und risikobereiten Durchsetzung seiner Interessen in der gemeinsamen Nachbarschaft ab­zuhalten.

Zwar überschneiden sich europäische und russische Positionen zu einzelnen Fragen wie dem Iran-Nuklearabkommen und US-amerikanischen Sekundärsanktionen. Allerdings besteht keine darüber hinausgehende, strategische Übereinstimmung mit Russland. Als Partner für ein nach eigenständiger Gestaltungskraft strebendes Europa bietet sich das Land daher nicht an. Mehr eigenen Einfluss auf die Beziehungen zu Russland kann die EU deshalb eher über die Neuausbalancierung der transatlantischen Koordi­nation erreichen, weniger über ihre weitere Lockerung.

Moskau steht dem Streben der EU nach größerer strategischer Autonomie ambivalent gegenüber.

Moskau steht dem Streben nach einer größeren strategischen Autonomie der EU bzw. Europas ambi­valent gegenüber. Einerseits werden die seit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump entstandenen Risse im transatlantischen Bündnis als Beginn der anvisierten »postwestlichen« Weltordnung begrüßt. Darin sieht Moskau die Chance auf Verwirklichung des von ihm vertretenen Ordnungsmodells – eines multipolaren »Konzerts der Großmächte«, in dem internationale Großmächte wie Russland, China, die USA und ein­zelne, bedeutende europäische Staaten ihre globalen Interessenkonflikte ohne Rücksichtnahme auf die übrigen, kleineren Staaten regeln. Für einen an multi­lateralen Regelwerken orientierten Akteur wie die EU wäre in einer solchen Welt­ordnung wenig Platz.

An europäischer Autonomie ist Russland daher nur im Sinne einer Abspaltung von den USA und der Nato interessiert, auch weil es sich zu Washington in einem von strukturellem Antagonismus geprägten Verhältnis sieht. Kein Interesse hat Moskau dagegen an einer größeren europäischen Handlungsfähigkeit. Die derzeitige Erosion der transatlantischen Partnerschaft (in Kombination mit dem Brexit und dem Auf­stieg EU-kritischer Parteien in Europa) interpretiert Mos­kau eher als Symptom einer weiter reichenden Zer­splitterung des Westens, nicht als Beginn neuer europäischer Eigenständigkeit. Der Kreml ist daran interessiert, diesen Prozess zu beschleunigen und diejenigen Länder und politischen Kräfte, bei denen er Potential für Kooperation sieht, weiter aus dem EU-Kontext herauszulösen. Russland könnte einem nach Autonomie strebenden »Kern­europa« auf sicherheitspolitischer Ebene (im Zusammenhang mit einer »europäischen Sicherheitsordnung«) und zum Teil auch auf wirtschaft­licher Ebene (gemäß Putins Offerte eines »Wirtschaftsraums Lissabon-Wladi­wostok«) neue Angebote machen, um das Gewicht amerikanischer »hard power« in Europa zu verringern. Mögliche Vorschläge wären russische Unter­stützung für GSVP-Missionen außerhalb Euro­pas, zum Beispiel in Mali, sowie mehr Kooperation bei der Stabilisierung Libyens oder beim Konfliktmanagement in Syrien.

Beim Aufbau eigener Handlungsfähigkeit und Kapa­zitäten auf EU-Ebene ist hingegen eher mit Wider­stand aus Moskau zu rechnen als mit ernst gemeinten Kooperationsangeboten. Vor allem in den Staaten der Östlichen Partnerschaft bleibt die EU schließlich aus russischer Perspektive ein Kontrahent, der Moskaus hegemonialen Ansprüchen im Wege steht. Wichtige Voraussetzung für mehr europäische Autonomie ist daher auch eine stärkere Immunisierung der EU-Staaten gegen russische Einflussnahme auf medialer, partei- und minderheitenpolitischer sowie geheimdienstlicher Ebene. Dies kann dazu bei­tragen, die Bedenken mittel- und osteuropäischer EU‑Staaten gegen das Projekt strategischer Autonomie zu reduzieren. Des Weiteren müsste ein strategisch autonomes Europa auch eine einheitliche wirtschafts- und energiepolitische Position vertreten, um weniger Angriffsfläche für spaltende Angebote aus Moskau zu bieten. Hierzu gehört besonders die umstrit­tene Ostseepipeline Nord Stream 2.

Der russisch-europäische Handel und die beidseitigen Investitionen sollten, soweit möglich, stärker vor der gegenwärtigen Unberechenbarkeit der US-Sank­tionen abgeschirmt werden. Ein Teil der Lösung ist hier, die Güter- und Kapitalmärkte zwischen Europa und Russland teilweise aus der Dominanz des US-Dollars zu lösen. Russland und andere sanktionierte Staa­ten wie Iran und Venezuela sind sehr daran interessiert, dollarfreie Zahlungssysteme und Roh­stoff­märkte aufzubauen. Aufgrund der deutlich engeren Verflechtung Europas mit der US-amerika­nischen Wirtschaft kann dies allerdings nur punk­tuell, etwa bei der Finanzierung von Investitionen in Russland, und unter hohen Transaktionskosten umgesetzt werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich die Beziehung zu Washington damit ver­schlechtert. Wenn die EU sich für Schutzmechanismen wie eine spezielle Russland-(und Iran-)Bank oder die Anwendung des Blocking Statute entscheidet, sollte dies im Sinne eines »agree to disagree« für die amerikanische Seite stets nachvollziehbar und trans­parent sein.

Deutschland bleibt wegen seiner engen wirtschaft­lichen Beziehungen zu Russland und seines großen innereuropäischen Gewichts auch weiterhin der be­deutendste Ansprechpartner für Moskau innerhalb der EU. Deshalb trägt es bei jedem Schritt, den Europa in Richtung strategische Autonomie geht, eine beson­dere Verantwortung für die sichere Navigation in diesen Zielkonflikten. Auf der einen Seite gilt es, den Dialog mit Russland weiter zu pflegen und sinnvolle Koope­rationsbeziehungen fortzuführen. Auf der anderen Seite ist die Kohärenz der EU einschließlich ihrer öst­lichen Mitgliedstaaten Grundlage der außen­politischen Handlungsfähigkeit. Es ist daher wichtig, in den Dialog mit Russland stets auch die östlichen Nachbarn einzubinden. Gerade wegen der engen Verbindungen nach Russland kann Deutschland hier den größten Beitrag zum Aufbau eines strategisch autonomeren Europas leisten.

Mittlere und aufstrebende Mächte

Das Streben nach mehr strategischer Autonomie teilt Deutschland mit einer Reihe anderer mittlerer und aufstrebender Mächte im internationalen System, die sich ebenfalls herausgefordert sehen, ihren Platz in der sich wandelnden internationalen Ordnung zu definieren, und ihr Gewicht und ihre Interessen wirkungsvoll einbringen wollen. Anders als Deutschland sind sie jedoch nicht Teil eines der EU vergleichbaren Staaten­verbunds, in dessen Rahmen sie das Ziel verfolgen könnten, ihre strategische Autonomie zu verwirk­lichen. Mittelmächte haben per definitionem weder die notwendigen ökonomischen noch die mili­tärischen Machtressourcen, um internationale Politik völlig eigenständig entsprechend ihren Interessen zu gestal­ten. Sie verfügen jedoch über ausreichende Machtressourcen, um regional außen- und sicherheitspolitisch gestalte­risch tätig zu werden. Zudem eint sie meist die Präfe­renz für multilaterale Koope­ration in inter­nationalen Institutionen, ziviles Kon­fliktmanagement und eine regelbasierte internatio­nale Ordnung, die Hegemo­nialmächte wie die USA oder China einhegt.

Staaten wie Australien, Brasilien, Kanada, Indien, Indonesien, Japan, Mexiko oder Südkorea können daher die eigene strategische Autonomie im Wesentlichen über drei Wege vergrößern. Erstens können sie auf internationalem Parkett, zum Beispiel über das G20-Forum, Agenden bestimmen und Normen (weiter-)entwickeln. Dabei können sie nicht nur die eige­nen Interessen vertreten, sondern auch als Vermittler zwischen den divergierenden Interessen von Indus­trie- und Entwicklungsländern fungieren, wie das Beispiel Klimapolitik zeigt. Zweitens können sie ihre Gestaltungsmacht stärken, indem sie eigene Netz-werke und Koalitionen bilden. Somit können sie drittens ihre Außenpolitiken in bestimmten Poli­tik­bereichen enger koordinieren, um im Verbund inter­nationale Gestaltungskraft unabhängig von der Unterstützung durch Großmächte zu demonstrieren.

Einer intensiveren internationalen Kooperation von Mittelmächten sind derzeit (noch) enge Grenzen gesetzt.

Einer intensiveren internationalen Kooperation von Mittelmächten sind derzeit jedoch (noch) enge Grenzen gesetzt. Da wäre zunächst das Verhältnis zu den USA zu nennen. Einige dieser Mittelmächte sind sicherheitspolitisch wie wirtschaftlich eng mit den Vereinigten Staaten verbunden. Das dürfte die Heraus­bildung eigener Positionen und Politiken politisch kost­spielig werden lassen, vor allem wenn die betref­fenden Länder sich damit de facto von den USA ab­grenzen. Auch umfasst die gemeinhin als Mittel­mächte klassifizierte Gruppe von Staaten eine äußerst heterogene Ansammlung. Über sehr allgemeine Bezugs­punkte wie Multilateralismus und eine regel­basierte Ordnung hinaus unterscheiden sich Staaten wie die Türkei oder Indonesien in ihrer normativen Ausrichtung wie in ihren Interessen teilweise sehr stark von Ländern wie Deutschland oder Kanada. Auch lassen sich deutliche Divergenzen bei der Ein­haltung des internationalen Rechts ausmachen. Nicht zuletzt bestehen zwischen den mittleren Mächten genauso unterschiedliche Ansichten darüber fort, welche Teile der liberalen internationalen Ordnung, als reform­bedürftig gelten und welche erhalten werden sollen, zum Beispiel in den VN oder der WTO.

Angesichts dieser Heterogenität mittlerer und aufstrebender Mächte weichen auch ihre Positionen und Beziehungen zur Europäischen Union fundamental voneinander ab. Die EU hat neben den Groß­mächten USA, China und Russland sieben mittlere und auf­strebende Mächte zu strategischen Partnern erklärt. Bis dato ist die EU in diesen Beziehungen aber dem Ziel »strategischer« Partnerschaften kaum gerecht geworden und hat weder das Konzept kon­kretisiert noch die Erwartungen der Partner erfüllt. Eine EU mit dem Ziel größerer stra­tegischer Auto­nomie müsste sich daher auch in die Lage versetzen, diese Beziehungen mit Inhalten zu füllen und trag­fähige Vereinbarungen zu treffen.

Es ist durchaus sinnvoll, auf eine Allianz – oder vielleicht richtiger: ein Netzwerk – multilateral gesinnter Akteure zu setzen, die das vitale Interesse Deutschlands und der EU an einer regelbasierten internationalen Ordnung teilen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass manche der in vielen Fragen gleichgesinnten Wunschpartner wie etwa Indien oder Südafrika nicht einfach für eine Agenda zu vereinnahmen sind, die den Erhalt der inter­natio­nalen Ordnung in den Vordergrund stellt, son­dern selbst eine Reform dieser Ordnung anmahnen. Das bezieht sich nicht zuletzt auf Sitze und Stimmrechte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Viele Part­ner würden mit den Europäern für wirksamen welt­weiten Klimaschutz, starke internationale Organisa­tionen, die Geltung globaler Übereinkommen und Nach­haltigkeitsziele sowie gegen protektionistische Ein­schränkungen der freien Welthandelsordnung ein­treten. Dieselben Partner sind indes sehr viel skep­tischer, wenn es um Elemente der »libe­ralen« Ord­nung wie den Inter­nationalen Strafgerichts­hof geht. Eine Koalition für den Multilateralismus muss sich deshalb von Beginn an als Reformbündnis verstehen, das nicht nur multilaterale Arrangements enthält, sondern Konsens über deren Reform- und Ent­wick­lungsmöglichkeiten sucht.

Schlussfolgerungen

Strategische Autonomie in einem umfassenden Sinne zu verwirklichen ist nach allem, was wir in den vor­hergehenden Kapiteln dargelegt haben, für die Euro­päer ein politisch und praktisch anspruchsvolles Unterfangen. Es ist zudem keineswegs ausgemacht, dass sich Schlüsselländer wie Frankreich und Deutsch­land, aber auch Polen, Italien und Spanien diesem Ziel verschreiben und es konsequent verfolgen wer­den. Überdies manövriert sich Großbritannien mit dem Brexit in eine Randposition. Dabei gibt es in Europa sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was stra­tegische Autonomie sein soll und sein kann. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die deutsche Poli­tik eine reflektierte Haltung entwickelt, in der sie Ziel und Zweck strategischer Autonomie Europas klar formu­lieren und vertreten kann. Dafür können auf der Basis unserer Analyse sechs Leitlinien empfohlen werden:

Erstens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie Europas ist notwendig, um auf der Grundlage eigener Werte und Interessen das internationale Um­feld mitzugestalten und nicht bloß Empfänger stra­tegischer Entscheidungen anderer zu sein. Sie ist somit Voraussetzung für eine wirksame Mitgestaltung der politischen Ordnungsstruktur in der direkten Nachbarschaft wie auf globaler Ebene.

Ein Anti-Trump-Reflex allein greift als Begründung für mehr stra­te­gische Autonomie Europas zu kurz.

Ein Anti-Trump-Reflex allein greift als Begründung für die notwendigen Anstrengungen zur Stärkung der strategischen Autonomie Europas zu kurz. Spätestens seit Ende des Kalten Krieges haben alle US‑Regie­run­gen mehr oder weniger deutlich gefordert, dass Euro­pa sich mehr um seine eigene Sicherheit und um Sta­bilität in seinem eigenen geostrategischen Umfeld küm­mern solle. Dies gilt umso mehr, als die geo­graphischen Prioritäten amerikanischer Sicherheits­politik sich immer mehr auf andere Regionen bezie­hen dürften als auf Europa. Dabei handelt es sich um das Mittelmeer, Afrika und möglicherweise auch den Mittleren Osten, also Europas weitere geographische Nachbarschaft. Hier sollte und muss Europa in der Lage sein, nicht nur politisch und wirtschaftlich eige­ne Prio­ri­täten zu setzen, sondern Krisen und Stabi­lisierungsaufgaben aus eigener Kraft und mit einem um­fassen­den Ansatz anzugehen, der die notwendigen und passenden politischen, wirtschaft­lichen und mili­tärischen Instrumente zusammenbringt.

Die Triebkraft für strategische Autonomie sollte also kein europäisch oder neudeutsch verbrämter Nationalismus sein. Strategische Autonomie für Euro­pa kann und sollte auch nicht mit dem Anspruch ver­bunden werden, im Alleingang internationale Politik zu betreiben oder sich von den USA abzukoppeln. Vielmehr bleiben die liberalen Werte, wie sie im Grund­gesetz und im EU-Vertrag mit Blick auf die demokratische Verfassung im Innern und die Außen­beziehungen festgeschrieben sind, der Maßstab für Deutschland und seine europäischen Part­ner im Streben nach größerer strategischer Autonomie. In ihren Diskursen wie in der Praxis sollten sich die Europäer wahrnehmbar von jenen Kräften unterscheiden, die gemeinsame Regeln missachten und multilaterale Kooperation systematisch gering­schätzen oder unterminieren.

Zweitens: Eine Entwicklung in Richtung auf mehr stra­tegische Autonomie ist dringend, weil sich Europa schon heute in einer neuen multipolaren Konstellation des internationalen Systems behaupten muss. US-Präsi­dent Trump und seine Politik sind eher Symptom als Ursache dieser neuen weltpolitischen Konstellation, in der sich Machtzentren und Machtrelationen zwischen den USA, China, Russland und Europa neu ordnen. Die Europäer können nicht mehr mit höch­ster Zuversicht auf die amerikanische Sicherheits­garantie und den normativen Schulterschluss mit den USA vertrauen.

Welche Rolle die Europäer in dem neuen Koordinatensystem spielen und wie sie die internationale Ordnung zu gestalten vermögen, hängt wesentlich von ihrer eigenen Stärke ab. Washington, Peking und Moskau stehen einem strategisch autonomeren Euro­pa ambivalent oder gar ablehnend gegenüber. Alle nehmen die EU als Handels- und Regulierungsmacht ernst. Sie sehen aber zugleich deren Schwächen im Hinblick auf Handlungs- und Konfliktfähigkeit, nicht nur, aber besonders im militärischen Bereich. Sie nutzen die Interessengegensätze unter den Europäern ebenso aus wie deren Exportabhängigkeit oder sicher­heitspolitische Verwundbarkeit.

Andere Großmächte werden nicht warten, bis sich die Europäer innenpolitisch sortiert haben.

Andere Großmächte werden nicht warten, bis sich die Europäer innenpolitisch sortiert haben. Sie sehen sich mehr oder weniger explizit als strategische Kon­kurrenten und werden dabei versuchen, Europa für eigene Ziele einzuspannen, auseinanderzudividieren und ihm ihre eigenen Regeln aufzuzwingen. Die Überwindung europäischer Schwächen und Fähigkeitslücken erfordert es, so rasch wie möglich die Weiche für mehr strategische Autonomie zu stellen.

Unter allen großen Mächten stehen die USA den Europäern politisch immer noch am nächsten, im Bereich der Sicherheitspolitik sind die USA der un­verzichtbare Partner. Doch hat sich ein Schatten der Ungewissheit und Unberechenbarkeit auf die trans­atlantischen Beziehungen gelegt, und die Konfliktthemen häufen sich. Sosehr Europa daran interessiert ist, die Grundlagen und die Handlungseinheit des politischen Westens auch in der Zukunft zu wahren und zu entwickeln, muss es eine Amerika­politik betreiben, die aktiv auf eine stärkere Symme­trie in den Beziehungen hinwirkt und die eigenen außen­politischen Handlungsmöglichkeiten sukzes­sive vergrößert. Entlang der Maxime der strategischen Risikoabsicherung wäre ein differenziertes Vorgehen angemessen: Wo immer dies auf Grundlage der gemeinsamen Werte und übereinstimmender oder kompatibler Interessen möglich ist, bleibt die enge Abstimmung oder der Schulterschluss mit den USA die bevorzugte Option. Idealerweise wird Europa mit den USA und anderen Partnern haltbare Kompromisse suchen, um Frieden und internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen und nachhaltige Antworten auf globale Herausforderungen zu finden. Je nach Konflikt- und Interessenkonstellation aller­dings werden die EU und ihre Mitgliedstaaten eine Politik »sanfter« oder »robuster« wirtschaftlicher und diplomatischer Gegenmachtbildung (»soft« oder »hard balancing«) betreiben müssen, wo möglich abgestützt durch internationale Institutionen, wie etwa die WTO. Wo die USA funktionierenden multilateralen Regel­werken ihre Unterstützung entziehen oder sogar dagegen arbeiten, wie etwa in der Klimapolitik, wird Europa sich ihnen entgegenstellen und dazu im Zu­sammenwirken mit Gleichgesinnten Führung zeigen müssen.

Im Umgang mit China ist Europas größter Trumpf seine Handels- und Wirtschaftsmacht und potentiell seine Stärke als Währungsblock. Gegenüber Chinas Staatswirtschaft müsste Europa seine wirtschafts­politische Handlungsfähigkeit an strategisch wich­tigen Punkten unter Beweis stellen. Das verlangte zum Beispiel, dass die EU-Mitglieder eine einheitliche Linie bei der kontrollierten Öffnung für chinesische Direktinvestitionen verfolgen. Europäische Unternehmen sollten mit Hilfe von EU-Förderinstrumenten und der Bündelung gemeinsamer Investitionen auch in die Lage kommen, strategischen Investitionen Chinas und sinozentrischen geoökonomischen Groß­projekten wie der Belt and Road Initiative (BRI) etwas ent­gegenzusetzen. Das gilt vor allem innerhalb der EU und in anderen Staaten Europas, in der europäischen Nachbarschaft und in Afrika. Doch die EU sollte China nicht nur durch die wirtschaftliche Brille be­trachten, denn das Land verfolgt global eigene Ordnungsinteressen (siehe BRI), mit denen sich die Euro­päer auseinandersetzen müssen. Gegen die Gefahr, zum Spielball der sich abzeichnenden sino-ameri­kanische Rivalität zu werden, können sich die Euro­päer nur durch eine umfassende und kollek­tive außenpolitische Strategie wappnen.

Mehr strategische Autonomie für Europa ist im Verhältnis zu Russland besonders wichtig, zumal im Falle zunehmender Zweifel an der US-amerikanischen Sicherheitsgarantie für das Nato-Territorium. Moskau wird Europa dann als noch verwundbarer ansehen und könnte die Geschlossenheit des Bündnisses zum Beispiel im Baltikum testen. Gegenüber einem Russ­land, das in der unmittelbaren Nachbarschaft aggres­siv und antagonisierend auftritt, sollte Europa mehr zur Gegenmachtbildung des Westens beitragen kön­nen. Dazu gehört die Stärkung eigener europäischer militärischer Fähigkeiten, aber auch der inneren politischen Resilienz gegen Spaltung der Mitglied­staaten und ihrer Gesellschaften.

Bei der Gestaltung der inter­nationalen Ordnung nach liberalen Grundsätzen sind weder China noch Russland Verbündete Europas.

Wenn es um die Gestaltung der internationalen Ordnung nach liberalen Grundsätzen geht, sind weder China noch Russland Verbündete Europas. Das schließt eine gezielte Kooperation in internationalen Organisationen und bei der Lösung spezifischer inter­nationaler Konflikte nicht nur nicht aus, sondern verlangt diese in vielen Fällen. Die wirtschaftliche Verflechtung mit Mächten wie Russland und China bleibt richtig, auch wenn deren politische und geo­politische Ziele mit europäischen konfligieren. Inter­dependenz stellt für Europa schon aus historischer Erfahrung einen Wert und ein Interesse dar, unter­füttert Europas Wohlstand und Einfluss und dient tendenziell dem Erhalt internationaler Stabilität sowie friedlichen internationalen Beziehungen. Weder wirt­schaftliche Macht noch Interdependenzbeziehungen setzen sich allerdings von selbst in Einfluss, Konflikt­fähigkeit und Resilienz um. Sie verlangen vielmehr eine gemeinsame strategische Orientierung. Ein Test für die Autonomie und Konfliktfähigkeit Europas etwa ist, ob die EU-Staaten sich auf ein gemeinsames Vorgehen für den Umgang mit chinesischen strate­gischen Investitionen eini­gen können. Als Beispiel dienen könnte die Beteiligung chinesischer Firmen am Aufbau des europäischen 5G‑Netzes und anderer kritischer Infrastruktur.

Gleichzeitig ist Europa mehr denn je darauf an­gewiesen, Partner unter mittleren und aufstrebenden Mächten zu finden, mit denen es gemeinsam für eine regelgebundene und multilaterale Ordnung eintritt. Außerordentlich wichtig ist deshalb das ständige Engagement der Europäer und ihr kollektives oder zumindest abgestimmtes Auftreten in den VN und ihren Unterorganisationen, den internationalen Finanzinstitutionen und den G20/G7. Die Rolle der EU als Reform- und Führungsmotor wird gerade von gleich­gesinnten Staaten geschätzt, etwa im Umgang mit Vorschlägen zur Reform der WTO und bei der Auf­rechterhaltung von WTO-Prinzipien auch gegen die beiden anderen großen Handelsmächte USA und China.

Drittens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist möglich, weil die Europäer mit der EU im Prinzip schon über den geeignetsten Rahmen ver­fügen. Zum einen gilt das in normativ-politischer und institutionell-operativer Hinsicht, denn die EU basiert auf liberalen Werten und setzt sich für deren inter­nationale Geltung ein. Angegriffen wird die Legitimität des EU-Systems derzeit vor allem dadurch, dass Regierungen und nationalistische oder »souveränistische« poli­tische Kräfte in den Mit­gliedstaaten gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien ver­stoßen. Auf dem Weg zu mehr strate­gischer Auto­nomie ist dies eine Hypothek, denn die EU-Staaten benötigen unter­einander mehr politisches Vertrauen und müssen demokratische und rechtsstaatliche Spielregeln ak­zeptieren, um zu mehr Effi­zienz und Handlungs­stärke zu gelangen. Bei den Inhalten rin­gen die EU-Akteure um eine neue Balance zwischen Öffnung und Deregulierung einerseits, Schutz und Regulierung andererseits. Doch nur die EU bietet einen dauerhaften, institutionell verfassten Rahmen, der als Grundlage für strategische Auto­nomie jenseits von immer instabilen Ad-hoc-Koali­tionen notwendig ist.

Zum anderen verbindet die EU die verschiedenen Politikbereiche, die für eine umfassende strategische Autonomie unverzichtbar sind. Als weltwirtschaft­licher Gravitationspol ist der Europäische Wirtschafts­raum mit dem Binnenmarkt als Integrationskern der EU eine veritable Machtressource Europas. Die EU bildet für die Mitgliedstaaten den Rahmen, um Euro­pas Wett­bewerbsfähigkeit gegenüber den aufstrebenden asiatischen Ländern zu verteidigen und zu erhal­ten. Wichtige Faktoren dafür sind ein leistungsfähiges Human­kapital, eine anspruchsvolle Marktnachfrage, ein innovatives Umfeld, eine moderne Infrastruktur und die Fähig­keit, Regeln nicht nur in der EU, son­dern auf Basis des Binnenmarkts global durchzusetzen.

Da die Grenzen zwischen internen Politiken und Außenbeziehungen schwinden, ist die EU auch des­halb ein geeigneter Rahmen, weil sie als einziger Staatenverbund weit und breit ein Zuständigkeits­profil besitzt, das beinahe dem eines Staates entspricht, allerdings mit den wichtigen Ausnahmen, keine Entscheidungen über Krieg und Frieden und über eigene Steuern treffen zu können. Die größten Defi­zite und die wenigsten durchsetzungsfähigen Instru­mente hat die EU trotz GSVP in der klassischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Entscheidungen über den Ein­satz bewaffneter Streitkräfte werden auch langfristig die Mitgliedstaaten fällen, und die Nato wird eine herausragende Rolle bei der kollek­tiven Verteidigung spielen. Selbst wenn das so bleibt, befindet die EU sich in einer guten Ausgangsposition im Wettbewerb um eine umfassend verstandene stra­tegische Auto­nomie. In einem tendenziell multi­­polaren internatio­nalen System bildet sie schon heute einen Pol mit hoher, anderen vielfach auch über­legener Anziehungskraft.

Auf allen relevanten Feldern außer der Sicherheit wird die Verwirk­lichung strategischer Autonomie von Entscheidun­gen für mehr Integration abhängen.

Auf allen relevanten Feldern mit Ausnahme der Sicherheit wird die Verwirklichung strategischer Autonomie von Entscheidungen für mehr Integration abhängen, und zwar im Sinne von Souveränitäts­übertragung, verstärkter Kooperation innerhalb von Führungsgruppen und nicht zuletzt von Mehrheitsentscheidungen. Durch bewusste Weichenstellungen könnte die EU die Europäische Außenpolitik auch auf dem Reformweg deutlich verbessern. Unterhalb von Vertragsänderungen eröffnet sich dafür eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten Mehrheits­entscheidungen in der EU-Außenpolitik eingeführt werden. Denkbar ist auch, dass die EU-Staaten, mög­lichst zusammen mit Großbritannien, im VN-Sicher­heitsrat geschlossen auftreten und so eine europäische Posi­tion sichtbar werden lassen. Eine weitere Option wäre, dass sich die Chefs im Europäischen Rat regelmäßig und unabhängig von Krisenzeiten mit Außen- und Sicherheitspolitik befassen und der nächsten Hohen Vertreterin mehr Spielräume und mehr Bedeutung geben. Ferner könnten Instrumente zur militärischen Zusammenarbeit wie PESCO und EU-Verteidigungsfonds auf einem wesentlich höheren Ambitionsniveau genutzt werden. Greifen diese Reformen ineinander, dann wäre damit zu rechnen, dass sich Gruppen von Staaten herausbilden, die ein höheres Maß an Einsatzwillen und ‑fähigkeit für Außen- und Sicherheitspolitik zeigen und die sich gegebenenfalls verfestigen. Eine andere Folge werden Abstufungen unter den Mitgliedstaaten sein, sei es weil gegen die großen Mitgliedstaaten in einem System qualifizierter Mehrheit keine Politik gemacht werden kann oder weil die Großen einen festen Sitz in einem noch zu etablierenden EU-Sicherheitsrat haben.

Allein mit Verfahren wie Mehrheitsabstimmungen zur Effizienzsteigerung wird es aber nicht getan sein. Es kommt vor allem darauf an, dass die Interessen und Präferenzen der EU-Mitgliedstaaten in entscheidenden Fragen stärker konvergieren, dass sich das tagtägliche Agieren an lang­fristigen Vorstellungen orientieren kann und dass die Fähigkeiten zu Planung und Aktivitäten sowie das Tempo dabei deutlich gesteigert werden. Die Mitgliedstaaten haben Formate und Strukturen auf EU-Ebene geschaffen, in denen das alles stattfinden könnte, nutzen sie aber nur halbherzig. Insofern kann man erste Überlegungen, oberhalb des Europäischen Rats ein Direktorium oder einen EU-Sicherheitsrat ins Leben zu rufen, entweder als Befreiungsschlag oder als Spaltpilz sehen. Dieser Sicherheitsrat könnte aus ständigen und rotierenden Mitgliedstaaten inklu­sive des Präsidenten des Euro­päischen Rats und der Rats­präsidentschaft bestehen. Ob die EU einen eigenen Sicherheitsrat schafft oder nicht – in jedem Fall müssen die Mitgliedstaaten Wege finden, um die vertikale Verzahnung der GASP mit dem gemeinschaftlichen Regelbetrieb der EU etwa bei Handels-, Wettbewerbs- oder Währungspolitik besser zu be­werkstelligen und damit ihr Potential auszuschöpfen, wie ten­denziell bereits bei der Sank­tionspolitik.

Viertens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist herausfordernd, weil sie gerade auf euro­päischer Ebene den Umgang mit vielen Zielkonflikten notwendig macht.

Die Achillesferse der strategischen Autonomie ist gegenwärtig die Sicher­heits- und Verteidigungspolitik.

Die Achillesferse der strategischen Autonomie ist gegenwärtig die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In diesem Segment geben die Europäer der Nato den Vorrang vor der EU, was durch die Osterweiterung beider Organisationen noch verstärkt worden ist und nahezu uneingeschränkt für die kollektive Verteidigung gilt. Nach dem Brexit verfügen EU und Nato zwar weiterhin über 21 gemeinsame Mitgliedstaaten, aber mehr als 80 Prozent der Nato-Verteidigungs­ausgaben werden dann außerhalb der EU getätigt. Zwar sollte die Debatte über strategische Autonomie nicht auf die militärische Komponente und noch weniger auf die reinen Militärausgaben reduziert werden. Gleichwohl gilt auch: Ohne Verbesserung der militärischen Fähigkeiten und der Interoperabilität europäischer Streitkräfte wird ein substantielles Mehr an strategischer Autonomie nicht zu erreichen sein. Hinzu kommt das Misstrauen mittel- und osteuropäischer Staaten, das Streben nach strategischer Auto­nomie könne das Engagement der USA in Europa gefährden. Je mehr daher auch die Sicherheitspolitik in der EU vom Integrationsimpetus erfasst wird (siehe den neuen Verteidigungsfonds oder PESCO), desto größer ist der Bedarf an Abstimmung mit Nato-Beschlüssen im Hinblick auf Planungsziele, Standards und Verfahren. Eine besondere Herausforderung wird dann sein, wie Großbritannien nach dem Brexit in die Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingebunden werden kann, ohne gleichzeitig den Zusammenhalt in der EU zu gefährden.

Das heißt aber auch, dass die Europäer bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwar eine grö­ßere, aber auch begrenzte Autonomie anpeilen. Sie schließen eine nukleare Option für die EU aus. Der Schwerpunkt der EU liegt bei ausreichenden Fähig­keiten, um eigenständig (ohne die USA) auch an­spruchsvolle Aufgaben des Krisenmanagements und der Beilegung bewaffneter Konflikte zu übernehmen. Mittelfristig wird die EU aber auch ihre Fähigkeiten zur Verteidigung des Territoriums und der Integrität ihrer Mitgliedstaaten ausbauen müssen. Gleiches gilt für Staaten, die keine Nato-Mitglieder sind, oder für Fälle hybrider oder terroristischer Angriffe, die keine unmittelbare Aktion der gesamten Allianz auslösen. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen müsste die EU dazu aber die militärischen Fähigkeiten sehr viel besser mit den zivilen abstimmen, Entscheidungen schneller fassen und Maßnahmen kohärent umset­zen. Auch bei den zivilen Kapazitäten gibt es gravie­rende Lücken, so bei der gemeinsamen strategischen Planung und der Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Das erschwert oder vereitelt Konfliktprävention, Ver­mittlung, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammen-arbeit und Konfliktnachsorge sowie die Umsetzung von Sanktionen. Die EU-Akteure müssen auf Dauer mit Ziel- und Interessenkonflikten umgehen, weshalb das fortwährende Hinwirken auf mehr politisch-stra­tegische Konvergenz und Handlungsfähigkeit so elementar ist.

Die EU ist ein wichtiger und zuverlässiger Akteur in der Rüstungskontrollpolitik. Sie sollte das im gegen­wärtigen Klima neuer Aufrüstungsambitionen und auch angesichts des eigenen Strebens nach militärisch untermauerter Autonomie proaktiv sichtbar machen. Auf dieser Linie läge es, ihre 2003 verabschiedete Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu erneuern. Dazu könnte eine euro­päische Initiative für einen Nichtverbreitungsfonds gehören, der politisch motivierte Zahlungsausfälle von Großmächten ausgleicht. Als Teil einer auf größere Selbständigkeit ausgerichteten Politik kann Europa zudem seine ökonomische Macht einsetzen, um nichtverbreitungspolitische Ziele zu erreichen. Zum Beispiel könnte es darauf dringen, Handels- und Ko­operations­abkommen ebenfalls wieder mit Non­proliferationsklauseln zu versehen. Weitaus kriti­scher ist jedoch, dass über die PESCO organisierte und über den EU-Verteidigungsfonds finanzierte Rüstungsvorhaben gemeinsame Rüstungsexportstandards erfordern. Deren politische Brisanz hat nicht zuletzt der Fall Saudi-Arabien gezeigt. Trotz Koordination haben gerade Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Zusammenhang mit Rüstungsexporten sehr unter­schiedlich auf den Jemen-Krieg und die Ermordung eines saudischen Journalisten reagiert.

Der stärkste Trumpf für die strategische Auto­nomie der EU sind ihre wirtschaftliche Leistungskraft, eine über die EU-Grenzen hinaus durchsetzungsfähige Wettbewerbspolitik und technologische Innovationsfähigkeit. Die Union würde noch deutlich konflikt­fähiger, wenn sie den Euro zu einer Reservewährung ausbaute. Um die Eurozone langfristig zu stabilisieren, ist es unverzichtbar, dass Berlin und Paris für die strittigen Reformvorhaben Kompromisslinien ent­wickeln, die für die gesamte EU akzeptabel sind. Es geht zum Beispiel um die Frage der gemeinsamen Haftung in der Bankenunion, die Einführung auto­matischer Stabilisatoren in der Eurozone und die Anpassung des exportlastigen deutschen Wirtschafts­modells.

Über alle Politikbereiche hinweg fordert das Ziel strategische Autonomie zudem das Integrations­modell der EU heraus. Was eng mit dem Binnen­markt verflochtene Politikbereiche anbelangt, etwa Handels­politik oder digitale Regulierung, kann und sollte die EU nur gemeinsam entscheiden. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei der internationalen Rolle des Euro, aber auch der militärischen Zusammen­arbeit, wird die EU nur in Form von Gruppen williger Staaten ambitioniert voranschreiten können.

Fünftens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist für Deutschland brisant, weil Berlin vor Richtungsentscheidungen gestellt wird, die Änderun­gen seiner traditionellen europapolitischen Positio­nen erfordern werden. Weiterhin den bevorzugten Mittelweg einzuschlagen wird für Berlin immer schwieriger, schon angesichts der französischen Offerten für mehr Integration (in der WWU) und sicherheitspolitische Kooperation im exklusiven Kreis. Strategische Autonomie wirkt also nicht als Zauberwort, mit dem sich die traditionellen Unterschiede und Konflikte zwischen Paris und Berlin überbrücken oder gar lösen ließen. Würde strategische Autonomie als rein deutsch-französisches Projekt vorangetrieben, dürfte es den Zusammenhalt der EU eher gefährden als stärken. Deutschland hat kraft Lage, Geschichte und Interessen in der Mitte der EU seinen Platz und arbeitet darauf hin, die Schnittmengen unter der größtmöglichen Zahl von Mitgliedstaaten zu vergrö­ßern. Dazu müsste sich Deutschland selbst bei Fragen wie der Vertiefung der WWU von der Randlage wie­der stärker auf die Mitte zubewegen. Je besser deut­sche Positionen für andere anschluss­fähig sind, desto stärker kann Deutschland auch bestimmen, wo die Mitte inhaltlich liegt. Unter den Vorzeichen strategischer Autonomie und der Suche nach Gefolg­schaft anderer EU-Staaten in au­ßen- und sicherheitspolitischen Fragen müsste Deutschland zum Beispiel die Reform der WWU, die Handels­bilanzüberschüsse oder Projekte wie Nord Stream 2 (neu) bewer­ten.

Von Paris und Berlin werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungs­fähigkeit der EU sicherzustellen.

Von Paris und Berlin werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen. Die beiden Länder bilden angesichts des britischen Austritts aus der EU und der aktuellen polnischen und italienischen EU-Politik das einzige politische Kraftzentrum der EU-27. Gerade weil strategische Autonomie aus unserer Sicht viel weiter geht als das Militärische, eignet sich das Ziel interne Führungsfähigkeit besonders für einen deutsch-französischen Ausgleich. Dies schließt eine ambitionierte Weiterentwicklung der inter­nationalen Rolle des Euros und des Binnenmarkts ebenso ein wie die Zusammenarbeit bei militärischen Fähigkeiten und dem zivilen Krisenmanagement. Das wird beiden Ländern wie auch den anderen EU‑Staaten viel ab­verlangen.

Sechstens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie kann schon 2019/20 von deutschen und euro­päischen Entscheidungsträgern vorangebracht werden. Im politischen Kalender gibt es dafür einige Ansatzpunkte:

(1) Deutschland könnte seinen nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat explizit europäisch interpretieren. Das heißt zum Beispiel, sich besonders in der Konfliktprävention zu engagieren und euro­päische Ressourcen zu mobilisieren.

(2) Der Brexit sollte, wann immer möglich und nicht integrationsschädlich, unter der Formel »EU plus Gleichgesinnte« ausgestaltet werden, damit die Europäer ihr volles Gewicht geltend machen können.

(3) Beim Treffen des Europäischen Rats in Sibiu im Mai 2019 sollten die 27 Mitgliedstaaten die Perspek­tiven eines strategisch autonomen Europas aufzeigen und die dafür notwendigen Schritte innerhalb des EU‑Rahmens, die Kosten und den erwarteten Nutzen sowie die Alternativen skizzieren. Es sollte auch klar kommuniziert werden, dass strategische Autonomie nicht auf eine militärische Dimension zu reduzieren sein wird.

(4) Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind eine Chance, mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Selbstbehauptung Europas unter den Bedingungen der Interdependenz, der globalen Konnektivität sowie wachsender Verwundbarkeit zu sprechen, ebenso über die Aussichten auf mehr Wohlstand so­wie bessere Umwelt und Lebenschancen. Aus Grün­den der Legitimität ist die Öffnung der nationalen Debatten für diese Fragen besonders wichtig, wenn die Außen- und Sicherheitspolitik immer weniger Veto-Möglichkeiten und nationale Opt-outs gestattet. Die Neubesetzung der Spitzenpositio­nen in der EU 2019 sollte für eine inhaltliche Kurs­bestimmung genutzt werden, welche die hier diskutierten Aspekte der strategischen Autonomie aufgreift.

(5) Strategische Autonomie muss sich auf aus­reichende Mittel stützen können, damit sich die Politikvorhaben auch verwirklichen lassen. Die Ver­handlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen sind eine Möglichkeit, die Ausgabenschwerpunkte und Kriterien für die Mittelvergabe auf die Anforderungen einer strategischen Autonomie hin abzustellen. Bislang gibt es nur kleinste Ansätze, die in diese Richtung gehen, wie den Verteidigungsfonds und einen moderaten Aufwuchs in der Rubrik Außen­beziehungen. Aber im Prinzip bleibt die völlig ana­chronistische Haushaltsstruktur bestehen, wozu auch Deutschland beiträgt.

(6) In Deutschland könnte eine öffentliche Debatte über strategische Autonomie an die parteien- und res­sortübergreifende Diskussion über mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt anschließen.

Anhang

Abkürzungen

ASEAN Association of Southeast Asian Nations

BIP Bruttoinlandsprodukt

BRI Belt and Road Initiative

CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement

EAD Europäischer Auswärtiger Dienst

EG Europäische Gemeinschaft

EP Europäisches Parlament

EPG Europäische Politische Gemeinschaft

EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit

EU Europäische Union

EU-SR Europäischer Sicherheitsrat

EUV EU-Vertrag

EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft

EZB Europäische Zentralbank

Fed Federal Reserve (USA)

G20 Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer

G7 Gruppe der Sieben (die sieben führenden westlichen Industriestaaten)

GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

GSVP Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

IFIs Internationale Finanzorganisationen

IS »Islamischer Staat«

ISS International Space Station

IWF Internationaler Währungsfonds

Nato North Atlantic Treaty Organization

OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

PESCO Permanent Structured Cooperation (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit)

PSK Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee

VN Vereinte Nationen

VN-SR VN-Sicherheitsrat

WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation)

WWU Wirtschafts- und Währungsunion

Die Autorinnen und Autoren*

*Redaktion

Dr. Barbara Lippert

Forschungsdirektorin

Dr. Nicolai von Ondarza

Leiter (a. i.) der Forschungsgruppe EU / Europa

Prof. Dr. Volker Perthes

Direktor

Mitwirkende

Dr. Steffen Angenendt

Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen

Dr. Muriel Asseburg

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika

Dr. Annegret Bendiek

Stellvertretende Leiterin (a. i.) der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Raphael Bossong

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Laura von Daniels

Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Amerika

Dr. Marcel Dickow

Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik

Dr. Susanne Dröge

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen

Dr. Felix Heiduk

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien

Dr. Hanns Günther Hilpert

Leiter der Forschungsgruppe Asien

Dr. Markus Kaim

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheits­politik

Dr. Ronja Kempin

Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Margarete Klein

Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien

Dr. Janis Kluge

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien

Dr. Sascha Lohmann

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika

Botschafter a. D. Dr. Eckhard Lübkemeier

Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Claudia Major

Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik

Dr. Oliver Meier

Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik

Dr. Marco Overhaus

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika

Dr. Stephan Roll

Leiter der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika

Dr. Bettina Rudloff

Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Peter Rudolf

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika

Botschafter a. D. Dr. Volker Stanzel

Senior Distinguished Fellow in der Forschungsgruppe Asien

Dr. Paweł Tokarski

Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa

Dr. Judith Vorrath

Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik

Dr. Gudrun Wacker

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien

Dr. Annette Weber

Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika

Dr. Kirsten Westphal

Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen

Endnoten

*

Die hier genannten Autorinnen und Autoren haben eigene Beiträge zum Text beigesteuert. Naturgemäß wird nicht jede einzelne Aussage von allen gleichermaßen mit­getragen.

Alle Rechte vorbehalten.

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© Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2019

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