Europa muss in zunehmendem Maße selbst Verantwortung für sein Wohlergehen und seine Sicherheit übernehmen. Die Debatte über die Stärkung der europäischen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit dreht sich um Begriffe wie den der strategischen Autonomie oder, vor allem in Frankreich, der europäischen Souveränität. Selten allerdings werden diese Begriffe definiert und wird erläutert, was politisch und praktisch verlangt ist.
Strategische Autonomie wird hier als die Fähigkeit definiert, eigene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionellen, politischen und materiellen Voraussetzungen, um diese in Kooperation mit Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen. Dieses Verständnis umfasst das gesamte Spektrum außen- und sicherheitspolitischen Handelns, nicht nur die verteidigungspolitische Dimension. Autonomie ist immer relativ. Politisch geht es um einen Zuwachs an Handlungsfähigkeit, also um einen Prozess, keinen absoluten Zustand. Autonomie bedeutet weder Autarkie noch Abschottung oder die Absage an Allianzen. Sie ist kein Selbstzweck, sondern Mittel, um die eigenen Werte und Interessen zu schützen und zu fördern.
Die Autorinnen und Autoren dieser Gemeinschaftsstudie bieten nicht nur eine Begriffsklärung. Sie erörtern auch, was Deutschland selbst und in Zusammenarbeit mit seinen europäischen Partnern tun muss, um ein Mehr an strategischer Autonomie zu erreichen. Mit welchen Schwierigkeiten und Zielkonflikten ist zu rechnen? Was ist notwendig, vordringlich und überhaupt machbar? Welche Ressourcen werden Deutschland und Europa aufwenden müssen? Welchen roten Linien wird Deutschland im eigenen politischen Umfeld und bei seinen Partnern begegnen? Und bei welchen Fragen bleibt politischer Diskussionsbedarf?
Inhaltsverzeichnis
Strategische Autonomie Europas
1 Strategische Autonomie: Was es heißt und was zu besprechen ist
1.2 Relevanz und Zweck strategischer Autonomie
1.3 Worüber wir sprechen (müssen)
2 Die EU als Rahmen für strategische Autonomie
2.2 Frankreich, der bedeutendste Partner Deutschlands
2.3 Großbritanniens Status und Sonderrolle
3 Handlungsfelder: Instrumente, Fähigkeiten, Ressourcen
3.2.1 Europa und die kollektive Verteidigung
3.2.2 Verteidigungspolitische Grauzonen
3.2.3 Die EU als Anbieter von Krisenmanagement
3.2.6 Diplomatie und Aufklärung
3.2.9 Internationale Organisationen
3.3 Wirtschaft, Handel, Wettbewerbsfähigkeit
4 Strategische Autonomie Europas in einer multipolaren Weltordnung
4.4 Mittlere und aufstrebende Mächte
Strategische Autonomie: Was es heißt und was zu besprechen ist
Zweifel an der Verlässlichkeit der USA haben der Debatte darüber, wie und in welchem Maße Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen (Bundeskanzlerin Merkel) soll und kann, neue Dringlichkeit gegeben. Die deutsche und europäische Diskussion über die Verantwortung Europas für sein eigenes Wohlergehen und seine Sicherheit sowie über seine internationale Gestaltungsfähigkeit dreht sich um Begriffe wie den der strategischen Autonomie oder, vor allem in Frankreich, der europäischen Souveränität. Selten werden diese Begriffe definiert und wird erläutert, was politisch und praktisch verlangt ist. Eine eingehendere Debatte ist jedoch notwendig, nicht nur mit Blick auf die USA, sondern angesichts der multiplen Bedrohungen für eine regelbasierte multilaterale Ordnung. Deren Aufrechterhaltung und Entwicklung stellt gerade für Deutschland und Europa ein vitales Interesse dar.
Begriffsklärungen
Wir wollen deshalb in dieser Studie nicht nur eine operationalisierte Begriffsklärung anbieten, sondern auch fragen, was Deutschland selbst und in Zusammenarbeit mit seinen europäischen Partnern tun muss, um ein Mehr an strategischer Autonomie zu erreichen, und mit welchen Hindernissen, Schwierigkeiten und Zielkonflikten zu rechnen sein wird. Was ist notwendig, vordringlich und überhaupt machbar? Welche materiellen und politischen Ressourcen werden Deutschland und Europa aufwenden müssen? Welchen roten Linien wird besonders Deutschland im eigenen politischen Umfeld und bei seinen Partnern begegnen? Und bei welchen Fragen wird politischer Diskussionsbedarf bleiben?
Grundsätzlich verstehen wir unter strategischer Autonomie die Fähigkeit, selbst außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, sowie die institutionellen, politischen und materiellen Voraussetzungen, um diese in Kooperation mit Dritten oder, falls nötig, eigenständig umzusetzen. Ein hoher Grad an strategischer Autonomie befähigt dazu, Regelwerke in der internationalen Politik aufrechtzuerhalten, weiterzuentwickeln oder zu schaffen und sich nicht unwillentlich fremden Regelwerken unterwerfen zu müssen. Das Gegenteil strategischer Autonomie wäre ein Status als Empfänger von Regeln und strategischen Entscheidungen, die Dritte – die USA, China oder Russland – mit unmittelbarer Wirkung für Europa treffen. Für Deutschland wird strategische Autonomie nur gemeinsam mit seinen europäischen Partnern zu erreichen sein.
Unser Verständnis von strategischer Autonomie umfasst damit das gesamte Spektrum außen- und sicherheitspolitischen Handelns, nicht nur die verteidigungspolitische Dimension. Autonomie ist – ähnlich wie der inhaltlich benachbarte Begriff der Macht – relational, sie realisiert sich im Verhältnis zu anderen. Sie kann Zielmarke sein, ist aber gleichwohl kein Selbstzweck, sondern Mittel, um die eigenen Werte und Interessen zu schützen und zu fördern. Politisch geht es um ein Mehr an Autonomie, einen Prozess der graduellen Autonomisierung, nicht um einen absoluten Zustand. Autonomie bedeutet weder Autarkie noch Abschottung oder die Absage an Allianzen. Ein autonomer Akteur kann selbst, also gemäß den eigenen Prioritäten entscheiden, mit welchen Akteuren er Partnerschaften oder Allianzen sucht. Autarkie in einer interdependenten Welt ist weder möglich noch erstrebenswert. Um Werte und Interessen zu schützen und zu fördern, sind Partner
Zum Hintergrund: Strategische Autonomie und europäische Integration |
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In jüngerer Zeit trifft man in EU-Dokumenten wie der Globalen Strategie von 2016 häufiger auf den Begriff der strategischen Autonomie. Er steht meist im Zusammenhang mit der Stärkung und Reform der GSVP im Rahmen der GASP. In einem weiter gefassten Verständnis von strategischer Autonomie, wie es dieser Studie zugrunde liegt, schließt der Begriff an Grundfragen zur außenpolitischen Rolle und zum außenpolitischen Gewicht der Europäer an. Diese Fragen reichen bis in die Anfänge der Europäischen Gemeinschaften zurück. Das Streben nach Selbstbehauptung und Selbstbestimmung der (West-)Europäer unter den Strukturbedingungen der Bipolarität war eine wichtige Triebkraft der Gemeinschaftsgründungen. Dafür steht nicht zuletzt das Vorhaben, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) im Verbund mit einer Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zu schaffen. Deren Scheitern 1954 hatte unmittelbar zur Folge, dass die EWG-Staaten im Wesentlichen ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik an die schon 1949 gegründete Nato auslagerten und damit die atlantische Unterordnung der EG/EU auf viele Jahrzehnte festschrieben. Unter diesem militärischen Schutzschirm entwickelte und bündelte die EG/EU jedoch eigene außen- und sicherheitspolitische Fähigkeiten und Ressourcen, die vor allem von Frankreich als Ansätze für größere Eigenständigkeit gegenüber den USA ins Spiel gebracht wurden. Das gilt für den schrittweise erfolgenden Ausbau von Kooperation und Integration auf drei zentralen Handlungsfeldern: der gemeinsamen Handelspolitik (ab den 1960er Jahren), der EPZ/GASP/GSVP (seit den 1970er Jahren) und der gemeinsamen Währung Euro als Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion (seit den 1980er Jahren). Durch diese ungleichzeitige (sektorale) Mehrgleisigkeit beim Ausbau der EU zu einem eigenständigen internationalen Akteur hat sich der Grundgedanke der EVG/EPG verflüchtigt, dass für diesen hohen Grad der Zusammenführung oder gar Übertragung von Souveränität eine politische Gemeinschaft bzw. Union (ob föderal oder intergouvernemental ausgestaltet) geschaffen werden muss. In diese Richtung weist die Autonomisierungsdebatte in Frankreich, in der von der Souveränität Europas die Rede ist. Für die deutsche Diskussion hat sich jedoch bereits die Sorbonne-Rede Macrons als unverdaulich und schwer übersetzbar |
erwiesen, weil Souveränität in Deutschland vor allem durch die juristische Brille der Staatstheorien gelesen wird. Die aktuelle Frage nach strategischer Autonomisierung hat durch das Agieren der Trump-Administration und den Brexit neuen Auftrieb erhalten. Was Deutschland betrifft, rüttelt sie an der Statik seiner Europapolitik und ihren tragenden Pfeilern, dem Verhältnis zu Frankreich und den USA. Deutschland hat vor allem bei den verteidigungspolitischen Fragen eine Sowohl-als-auch-Politik bevorzugt, die die europäischen Ansätze (nur) als Ergänzung, aber nicht als Konkurrenz zum transatlantischen Rahmen ansah. Deshalb geht es aus deutscher Sicht bis heute darum, dass die Fragen der Autonomisierung und der darauf gerichteten Bestrebungen nicht im Zusammenhang eines »Für oder gegen die USA« aufgefasst werden. Das war ein wichtiges Anliegen bei der transatlantisch inspirierten Präambel zum deutsch-französischen Elysée-Vertrag von 1963. Die unterschiedlichen Akzentuierungen und gegebenenfalls auch Zielsetzungen innerhalb der deutsch-französischen Kernkoalition haben das Konzept der Autonomisierung über Jahrzehnte im Uneindeutigen gelassen und seine politische Dynamik abgebremst. Ohnehin hatte der EU-Beitritt Großbritanniens 1973 und der Ostmitteleuropäer 2004/07 die Position des »in dubio pro USA« noch stärker gemacht und Ambitionen zu einem »Europe puissance« (1998) gedämpft. Die Sprengkraft der transatlantischen Frage für die europäische Integration bezeugte der Konflikt zwischen dem alten und neuen Europa angesichts des von den USA angeführten Irak-Kriegs 2003. Deutschland war in dieser Entscheidung ausnahmsweise nicht auf einer Seite mit den USA, sondern suchte den Schulterschluss mit Frankreich. Die danach entstandene Europäische Sicherheitsstrategie (2003) weist aber ebenso wie die Globale Strategie kaum verändert in Richtung des mehrgleisigen und austarierten Vorgehens. So halten beide Dokumente an der Konzeption des »Westens« fest, in dem die EU aber nicht zu reiner Gefolgschaft gegenüber den USA gezwungen ist, sondern als eine Art zweite Stimme des Westens eine eigene Rolle in der internationalen Politik spielen kann. Zu diesem Rollenverständnis gehört, dass sich die EU als sowohl eigenständiger als auch kooperationsbereiter Machtfaktor behauptet. |
unerlässlich. Für Deutschland sind dies in erster Linie die Europäische Union (EU) und ihre Mitglieder, mit denen es das Projekt der europäischen Integration teilt, und andere europäische Nato-Staaten.
Relevanz und Zweck strategischer Autonomie
Nicht zum ersten Mal wird in der europäischen politischen Öffentlichkeit darüber nachgedacht, wie Europa mehr Verantwortung für seine eigenen Interessen und seine Sicherheit übernehmen soll (siehe Kasten). Die gegenwärtige europäische Debatte wurde vor allem durch die Abkehr der USA unter Präsident Trump von zentralen Elementen der liberalen internationalen Ordnung ausgelöst. Allerdings stellen auch andere internationale Schlüsselakteure wie Russland wesentliche Bestandteile der internationalen Ordnung in Frage. Die Herausforderungen, auf die das Streben nach mehr strategischer Autonomie Antworten geben soll, beschränken sich deshalb nicht auf die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses, und sie sind deutlich komplexer. Wir können von einer normativen, einer territorialen und einer institutionellen Dimension sprechen: So werden Normen und Prinzipien der internationalen Politik wie das Gewaltverbot, das Folterverbot oder das Verbot des Einsatzes von Chemiewaffen explizit oder implizit in Frage gestellt. Einzelne Akteure nehmen sich das Recht heraus, die territoriale Ordnung, die seit 1945 weitgehend gegolten hat, gewaltsam zu verändern. Und nicht nur die USA, sondern auch andere Staaten, die sich ansonsten selbst als Träger der internationalen Ordnung präsentieren, schwächen internationale Organisationen, politikfeldspezifische Regime oder internationale Abmachungen, indem sie sie ignorieren, verlassen, unterminieren oder sogar zu zerschlagen versuchen.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind von innen und außen unter Druck gesetzt: von innen, weil das normative, politische und institutionelle Gefüge der EU angesichts externer Krisen und populistischer und nationalistischer Bewegungen zu zerbrechen droht; von außen, weil konkurrierende Akteure mit abweichenden normativen Vorstellungen und Interessen (USA, Russland, China) mitunter versuchen, auf das innere Gefüge der EU Einfluss zu nehmen und die Mitgliedstaaten im Sinne ihrer Politik auseinanderzudividieren. Gleichzeitig fällt es der EU und ihren Mitgliedstaaten zunehmend schwer, die globale Ordnung wirkungsvoll mitzugestalten, wenn andere Großmächte internationale Regelwerke verwerfen oder sich allenfalls selektiv zu eigen machen.
Der Bedarf an und die Fähigkeit zu strategischer Autonomie variiert je nach Politikfeld und Regelwerk. Im Bereich der Handelspolitik und in der Welthandelsorganisation (WTO) gelingt es der EU auf der Basis ihrer ausschließlichen Zuständigkeit noch am ehesten, ihren Prioritäten und Präferenzen Geltung zu verschaffen. Auch bei der Digitalisierung und beim Datenschutz hat die EU sowohl die Mittel als auch den Willen, international Einfluss zu nehmen. Schon der Streit mit der Trump-Administration über das Nuklearabkommen mit Iran allerdings macht deutlich, wie schwer es für die EU ist, eigene sicherheits- und ordnungspolitische Vorstellungen gegen politischen und wirtschaftlichen Druck zu verteidigen. Hier, und nicht nur bei der notwendigen Stärkung der eigenen verteidigungspolitischen Fähigkeiten, offenbart sich, welch große Schritte Europa auf dem Weg strategischer Autonomisierung noch vor sich hat. Gleichzeitig hat sich aber auch erwiesen, wie notwendig es ist, diesen Weg zu gehen, um die eigenen Werte und Interessen besser schützen zu können.
Eine kritische Analyse wird zeigen, dass das Streben nach strategischer Autonomie Widersprüche und Zielkonflikte mit sich bringt, denen die Politik auf Dauer nicht ausweichen kann. Schließlich wird die Abkehr von der Verbindlichkeit internationaler Regelwerke, welche die aktuelle Politik der USA und weiterer Großmächte kennzeichnet, auch als Bemühen dargestellt, jeweils selbst (mehr) Kontrolle oder Souveränität zu erlangen oder zurückzugewinnen. Hiervon müssen sich Deutschland und seine europäischen Partner in ihrem Streben nach größerer strategischer Autonomie deutlich absetzen – sowohl diskursiv als auch praktisch. Wenn nicht, könnte Europa schlimmstenfalls sogar einer weiteren Erosion oder einer Kompartmentalisierung der internationalen Ordnung Vorschub leisten, anstatt diese zu stärken. Das widerspräche deutschem und europäischem Interesse fundamental. Gerade deshalb ist es so wichtig, strategische Autonomie nicht als Selbstzweck zu beschreiben und zu verstehen, sondern als Mittel, eigene Werte und Interessen zu wahren. Das heißt auch, eine nach Möglichkeit liberale, in jedem Fall aber regelgebundene, offene und inklusive internationale Ordnung aufrechtzuerhalten und fortzuentwickeln.
Worüber wir sprechen (müssen)
Unsere Analysen und Empfehlungen beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland als Akteur. In den folgenden Kapiteln werden wir wesentliche Aspekte ansprechen, die auf die Tagesordnung gehören, wenn ein Mehr an strategischer Autonomie Europas angestrebt wird. Jeder einzelne dieser Aspekte betrifft (auch) deutsche Politik, verlangt Diskussionen und Entscheidungen in Berlin. Deutschland ist kein Hegemon in der EU, wohl aber für viele Mitgliedstaaten die oder eine zentrale Führungsnation. Ohne einen maßgeblichen Beitrag Deutschlands wird es deshalb keine strategische Autonomie oder Autonomisierung Europas geben. Gleichzeitig kann Deutschland seine strategische Autonomie nur im europäischen Kontext, mit seinen europäischen Partnern, vergrößern. Dazu gehört auch eine symmetrische oder zumindest ausgeglichenere Partnerschaft Europas mit den USA.
Wir behandeln keineswegs alle für die Politik Deutschlands und Europas wichtigen Regionen und Politikfelder. Stattdessen konzentrieren wir uns auf Themen und internationale Beziehungen, die mit Blick auf die notwendigen Diskussionen zum Konzept der strategischen Autonomie von besonderer Bedeutung sind. Entsprechend unserem umfassenden Verständnis dieses Konzepts haben 29 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der SWP an dieser Studie mitgewirkt und ihre jeweiligen Perspektiven mitgebracht. Kritische Fragen haben wir durchaus kontrovers diskutiert, und nicht jede Empfehlung wird von allen Autorinnen und Autoren geteilt.
Der erste Themenblock behandelt die EU als den aus deutscher Sicht wichtigsten Rahmen für die strategische Autonomisierung Europas: die institutionelle Entwicklung der EU und ihrer außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit, die Rolle Frankreichs und Großbritanniens und die Legitimität eines autonomer handelnden Europas. Im zweiten Themenblock geht es um die Instrumente, Fähigkeiten und Ressourcen, die eine strategische Autonomisierung in verschiedenen Handlungsfeldern verlangt. Aber der Blick richtet sich auch auf die Verwundbarkeiten Europas und seine Konfliktfähigkeit – nicht zuletzt bei der Verteidigung der für die EU und ihre Mitglieder so vitalen regelbasierten internationalen Ordnung. Dazu gehören Verteidigungs- und Einsatzfähigkeiten, die dazu notwendige industrielle Basis, die Frage der Abschreckung und der Zusammenarbeit europäischer Streitkräfte, aber auch Wirtschaft und Währung, Diplomatie, Sanktionen und die Resilienz gegen Sanktionen anderer, Aufklärung und Fähigkeiten der zivilen Konfliktbearbeitung. Schließlich geht es um jene internationalen Akteure, die ihrerseits das zunehmend multipolare internationale System mitgestalten oder zu gestalten beanspruchen: um das Verhältnis zu den USA, zu China, Russland und zu anderen mittleren und aufstrebenden Mächten. Unsere wichtigsten Empfehlungen für die deutsche Politik fassen wir im Schlusskapitel zusammen. Dabei nehmen wir auch die Führungs- und Mitführungsrolle Deutschlands in den Blick.
Die EU als Rahmen für strategische Autonomie
Was Deutschland betrifft, bildet die EU den wichtigsten Handlungsrahmen für eine umfassend verstandene strategische Autonomie. Das liegt daran, dass die Mitgliedstaaten und einige andere europäische Partner (wie Norwegen) die EU nutzen, um ihr wirtschaftliches Gewicht und ihre Regulierungsmacht international zur Geltung zu bringen, in der Diplomatie einheitlich, kohärent und wirksam aufzutreten und dies zunehmend und wenn nötig auch militärisch zu unterfüttern. Die EU tritt für eine verstärkte multilaterale Zusammenarbeit ein und ist selbst als kooperativer Akteur konzipiert und profiliert. Zwar mögen Ad-hoc-Koalitionen in Einzelfragen handlungsfähiger sein, doch nur die EU bietet einen dauerhaften, stabilen Handlungsrahmen, eine unabdingbare Voraussetzung langfristiger strategischer Autonomie. In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind die EU-Mitgliedstaaten in besonders hohem Maße auf die Nato und mit dem Ausbau von GASP und GSVP auf die Kooperation mit der Nato angewiesen. Im Hinblick auf Menschenrechte, Fragen von Krieg und Frieden und die Herausforderungen globalen Regierens sind die Vereinten Nationen der zentrale Legitimations- und Verhandlungsrahmen für die EU. Dabei sollte die Union sich nicht auf »Brüssel« reduzieren lassen. Vielmehr steht sie immer für das Zusammenwirken der Mitgliedstaaten im EU-System, also den Unionsorganen samt den spezifischen Entscheidungsverfahren. Gerade in der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik kommt die starke Rolle zum Ausdruck, welche die Mitgliedstaaten in Politikformulierung und Entscheidungsfindung innerhalb der EU spielen. Besonders relevant für Deutschland sind die Positionierungen der beiden wichtigsten europäischen Partnerländer Frankreich und Großbritannien, auch und gerade wenn es um die Entwicklung strategischer Autonomie Europas geht.
EU-interne Voraussetzungen für strategische Autonomisierung:
Führung – Effizienz – Handlungsfähigkeit
Eine stärkere strategische Autonomie Europas ist untrennbar verbunden mit der weiteren konstitutionellen Entwicklung der EU zwischen Integrationsvertiefung, differenzierter Integration und Integrationsabbau. Gegenwärtig erschweren komplexe innere Rahmenbedingungen, dass die EU einen wirkungsvollen Beitrag zur strategischen Autonomisierung Europas leisten kann: Das Regelwerk der GASP inklusive der GSVP ist intergouvernemental ausgerichtet, konsensorientiert und deshalb tendenziell langsam und unentschlossen in der Entscheidungsfindung sowie anfällig für Blockaden und Vetos einzelner Staaten. Zugleich werden Zentrifugalkräfte gestärkt, die sich in nationalen Alleingängen und Idiosynkrasien einzelner Länder niederschlagen. In der Praxis gelingt es nur bruchstückhaft, das auswärtige Handeln der Union unter Leitung der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzuführen. Das gilt für das Spektrum von der Außenwirtschaftspolitik über Sanktionen, Institutionenaufbau und humanitäre Hilfe bis hin zu zivilen und militärischen Missionen. Von einem kollektiven Auftreten und Wirken auf den internationalen Bühnen ist die EU oft weit entfernt. Vor allem den größeren EU-Mitgliedstaaten stehen alternative Foren zur Verfügung. Unterschiedliche Loyalitäten und gegenläufige Interessen sorgen zudem dafür, dass nahezu alle politischen Konflikte mit Großmächten wie den USA, China oder Russland fast zwangsläufig auch zu Friktionen innerhalb der EU führen. Allein diese langsam mahlende Konsensmaschinerie in Gang zu halten verschlingt jedoch in den nationalen Hauptstädten und Brüssel sehr viel politische Energie, was durch das Ziel des Zusammenhalts gerechtfertigt wird. Dennoch ist der Trade-off zwischen Inklusivität und Legitimität auf der einen, Effizienz und Handlungsfähigkeit auf der anderen Seite zunehmend unbefriedigend, weil die EU so ihre Interessen und Werte nicht wirkungsvoll vertreten kann.
Mit dem geplanten Ausscheiden des außen- und sicherheitspolitischen Schwergewichts Großbritannien und einem denkbaren künftigen Beitritt kleiner Balkanstaaten mit geringem Potential, aber gleichem Stimmengewicht werden die Aussichten kurz- und mittelfristig nicht besser. Der Brexit bedeutet das Ende der informellen triangulären Führung der EU und lässt die beiden relativ größten Mittelmächte Frankreich und Deutschland im politischen Zentrum einer 27er Union zurück. Beide Länder liegen an geopolitisch relevanten Räumen der Instabilität in der südlichen und östlichen Nachbarschaft und könnten so daraus erwachsende unterschiedliche Perzeptionen aufnehmen und Interessen austarieren. Von Deutschland und Frankreich werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen. Im Kern geht es darum, dass diese beiden Länder für ein integratives Gleichgewicht innerhalb der EU auch auf dem Feld der externen Politiken, besonders der GASP/GSVP, sorgen müssen. Bei diesem Gleichgewicht durch Integration werden die Machtunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten durch die EU-spezifischen Vertretungs- und Entscheidungsrechte im EU-Institutionensystem ausbalanciert. Bislang war dieses Gleichgewicht vor allem in den internen Politiken und der konstitutionellen Weiterentwicklung der EU relevant und basierte auf französisch-deutschen Kompromisslinien. Eine entsprechende Ausdehnung auf die GASP/GSVP würde von Deutschland teils schmerzhafte Entscheidungen verlangen.
Zwei Optionen liegen auf dem Tisch: ein inkrementelles Vorgehen und ein echter Systemumbau der EU.
Zwei grundlegende Optionen liegen auf dem Tisch: ein inkrementelles Vorgehen und ein echter Systemumbau der EU mit einem Direktorium für Außen- und Sicherheitspolitik an der Spitze. Diese Vorschläge werfen die Frage auf, wie und in welchem Maße der Zusammenhalt in der EU zu bewahren sein würde. Beide Optionen könnten so ausgestaltet werden, dass sie selbst mit einer heute eher unwahrscheinlichen Entwicklung zu einer föderalen EU zu verbinden wären.
Inkrementelles Vorgehen (Reformoption): Auf der Linie graduell-inkrementellen Vorgehens läge es, von der Einstimmigkeit zu selektiven (themenspezifischen) Mehrheitsentscheidungen in der GASP überzugehen. Eine qualifizierte Mehrheit könnte zum Beispiel für Beschlüsse, Aktionen und Standpunkte, Deklarationen und Demarchen gelten. Ebenso ließen sich die vertraglichen Möglichkeiten verstärkter Zusammenarbeit und Ständiger Strukturierter Zusammenarbeit (PESCO) beherzter nutzen. Letzteres führt zu variabler Geometrie, angesichts der (deutschen) Präferenz für Inklusivität allerdings oft nur nach langen Sondierungen und als letztes Mittel. Weitere Möglichkeiten sind, Länder oder Ländergruppen damit zu beauftragen, GASP-Beschlüsse durchzuführen, oder Kontaktgruppen und Spezialformate zu initiieren, die erst ex post in EU‑Strukturen eingebunden oder mit diesen rückgekoppelt werden können, wie die E‑3. Gruppen thematisch oder regional besonders engagierter Staaten könnten sich auch verfestigen.
Alle diese Wege und Instrumente ließen sich häufiger und konsequenter nutzen und nicht zuletzt als Reaktion auf Krisen und Herausforderungen fortentwickeln. Die Nachteile sind die oft langsamen Ad-hoc-Lösungen, die unklaren Lastenteilungen sowie die geringe Berechenbarkeit und Leistungsfähigkeit. Die Vorteile liegen in der Flexibilität, also darin, entweder den EU-Rahmen zu nutzen oder außerhalb des EU-Rahmens zu agieren bzw. die EU als Standbein für das bewegliche Spielbein einzusetzen. Ein Beispiel für Letzteres wären die von Deutschland und Frankreich geführten Gespräche mit Russland und der Ukraine im Normandie-Format. Auch das Einklinken von Drittstaaten wie Großbritannien, Norwegen, Türkei, Kanada und anderen würde erleichtert.
Mehr Effizienz durch Mehrheitsentscheidungen in der GASP ist aus deutscher Sicht ein notwendiger Schritt, der jedoch in Frankreich verhaltener aufgenommen wird, weil Paris die Risiken des eigenen Einfluss- und Gestaltungsverlusts sieht. Möglicherweise sind Mehrheitsentscheidungen für Frankreich akzeptabler, wenn sie mit weiteren Schritten kombiniert werden, wie etwa einer strukturellen Gewichtsverlagerung auf große Staaten der EU. Kleine und mittelgroße Staaten befürchten, dass mit einem Übergang zu Mehrheitsentscheidungen und deren Ausweitung eine Dynamik entsteht, die zur regelmäßigen und formal abgestützten Majorisierung durch die großen und einflussreicheren Mitgliedstaaten führt. Die Attraktivität der Mitgliedschaft in der EU liegt für viele dieser Länder jedoch in ihrer nichthegemonialen Grundstruktur. Um den Anfängen zu wehren, sperren sie sich gegen eine Anwendung der Passerelle-Klausel (Artikel 48 (7) EUV), die für Beschlüsse außerhalb des militärischen und verteidigungspolitischen Bereichs die Option der Mehrheitsentscheidungen erschließt. Auch die verstärkte Zusammenarbeit und andere Möglichkeiten zur Ausschöpfung der vertraglichen Optionen, mit Mehrheit zu entscheiden, werden bislang kaum genutzt. Tatsächlich sieht die EU eine ihrer auch außenpolitischen Stärken in der Geschlossenheit und Fähigkeit zum Interessenausgleich zwischen sehr unterschiedlichen Staaten.
Systemumbau (Direktoriumsoption): Ein radikaler Schritt wäre ein Bruch mit dem Gleichheitsgrundsatz zugunsten dauerhaft differenzierter Beteiligungs- und Entscheidungsrechte der Mitgliedstaaten in der GASP/GSVP. Dazu wären neue Strukturen nötig und alte müssten erheblich angepasst werden, was auf einen echten Systemumbau hinausliefe: Dem Europäischen Rat als Zentrum der GASP würde ein Direktorium übergeordnet, zum Beispiel ein Europäischer Sicherheitsrat (EU-SR). In einer solchen Super-Formation wären die fünf größten EU-Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen sowie der Präsident des Europäischen Rats als ständige Mitglieder vertreten. Sie würden von sechs weiteren EU-Ländern nach dem Rotationsprinzip ergänzt, wobei das Vorsitzland im Rat immer einen der »rotierenden« Sitze hielte. Das könnte weitgehend nach dem Vorbild des VN-Sicherheitsrats (VN-SR) organisiert werden. Die ständigen EU-SR-Mitglieder qualifizieren sich nicht nur wegen ihrer Lage und Größe, sondern müssten auch bereit sein, in common goods sowie gemeinsame Fähigkeiten und Politik zu investieren. Sie müssten gemeinsame Entscheidungen als bindend akzeptieren und die Außenvertretung sehr viel stärker als bisher in gemeinsame Hände legen. Das ist nicht selbstverständlich, wird aber für die interne Akzeptanz eines solchen Direktoriums unabdingbar sein. Der Europäische Rat wäre dann in Vollbesetzung so etwas wie das Beratungsplenum, das den Entscheidungen im zwölfköpfigen EU-SR vorangehen kann, büßte aber die Rolle des zentralen außenpolitischen Lenkungsgremiums ein. Der gesamte Unterbau der EU-Außenpolitik müsste angepasst werden, vor allem das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) und der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) sowie das Amt der Hohen Vertreterin.
Die Vorteile einer solchen Hierarchisierung liegen im möglichen Effizienzgewinn, der allerdings weiterhin die üblichen Kompromiss- und Paketlösungen voraussetzt. Diese wären auch unter den neuen Bedingungen im und vom gesamten EU-Verhandlungssystem zu erbringen. Im EU-SR dürften Gegensätze und Rivalitäten deutlich weniger scharf und lähmend sein als zum Beispiel im VN-SR.
Kleineren Staaten mit begrenzter eigener außenpolitischer Agenda und kleinen diplomatischen und internationalen Diensten bringt das umgebaute System zumindest Kostenersparnisse. Zwar dürften sie nicht automatisch an Mitsprache und Gestaltung verlieren, würden das aber befürchten. Deutschland könnte an seiner für sich selbst reklamierten Rolle festhalten, die Interessen dieser Länder besonders zu berücksichtigen, was diese allerdings ohnehin misstrauisch beäugen. Bei einem festen deutsch-französischen Schulterschluss wird es Deutschland aber objektiv immer schwerer fallen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Dennoch, innerhalb des EU‑SR könnten sich auf mittlere Sicht die politisch-strategischen Konvergenzprozesse unter den Beteiligten beschleunigen und verbessern. Wenn die EU durch einen solchen Umbau tatsächlich wirkungsvoller, energischer und geschlossener aufträte, dann würde sie von Akteuren wie den USA oder China eher als relevanter strategischer Akteur wahrgenommen.
Die Kehrseite einer solchen Direktoriumslösung wären das Fallenlassen des Gleichheitsprinzips unter den Mitgliedstaaten sowie die Gefahr verschärfter Friktionen untereinander, wenn sich Länder abgehängt fühlen und ihre Interessen nicht ausreichend vertreten sehen. Deswegen wäre dafür Sorge zu tragen, dass alle Mitgliedstaaten, sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung, und sämtliche EU-Organe Entscheidungen, die auf der EU-SR-Ebene getroffen werden, als legitim betrachten. Dafür müssten Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren sowie Kommunikationsformen gefunden werden, die in formaler und politischer Hinsicht überzeugen.
Ein Europäischer Sicherheitsrat ohne Zugriff auf die EU und Verknüpfung mit ihr wäre kraft- und machtlos.
Darüber hinaus stellt sich bei der Direktoriumslösung die Problematik der vertikalen Verzahnung mit dem Regelbetrieb der EU, also den Entscheidungen und Politikinhalten, etwa bei der Handelspolitik, der Wettbewerbspolitik oder der Währungspolitik. Deshalb ist es relevant, wo und wie der SR installiert würde und wie sein Aufgabenzuschnitt wäre. Die staatsähnliche Agenda der EU brächte auch in der Außen- und Sicherheitspolitik im Prinzip deutliche Vorteile, die die Union zum geeignetsten Handlungsrahmen für Deutschlands außenpolitische Ziele
machen, nämlich den Schutz des EU-Raums im weitesten Sinne, Mitsprache in der Weltpolitik und die Gestaltung der internationalen Ordnung. Das gesamte Portfolio der EU, die politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kulturellen Ressourcen können und müssen dafür mobilisiert werden. Ein Europäischer Sicherheitsrat ohne Zugriff auf die und Verknüpfung mit der EU wäre kraft- und machtlos. Da die wirtschaftlich-technologische und währungspolitische Macht zu den wichtigsten Komponenten in der internationalen Politik zählt, ist sie auch bei jeglichem internen Umbau zentral. Der größte Nachholbedarf der Europäer besteht jedoch beim militärischen Teil der Sicherheitspolitik und seiner Verschränkung mit zivilen Komponenten des Krisenmanagements und der Konfliktbearbeitung. Unerlässlich bleibt deshalb die stetige Verbindung und Arbeitsteilung mit anderen Akteuren wie Nato, VN, OSZE und G‑Gruppen.
Frankreich, der bedeutendste Partner Deutschlands
Frankreich ist der wichtigste Partner für das deutsche Anliegen, die EU zu strategischer Autonomie zu befähigen. Das gilt unabhängig davon, ob die GASP/ GSVP schrittweise ausgebaut oder aber ein Direktorium innerhalb der EU geschaffen wird. Frankreich selbst dürfte sogar in Richtung Direktorium vorpreschen wollen, denn wie kein zweites Land unterstützt die Regierung von Staatspräsident Macron das Bestreben, Europa »souveräner« zu machen. Macrons weitreichende Vorschläge zur »Neugründung« Europas erstrecken sich auf zentrale Handlungsfelder, Fähigkeiten und Ressourcen, die die EU aufbauen und entwickeln muss, um strategischer und außenpolitisch autonomer zu werden. Neben der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik betrifft dies die Reform der Eurozone inklusive einer funktionierenden Bankenunion und eines Transfermechanismus, private und öffentliche Investitionen in Forschung, neue Technologien und die Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sowie die europäische Führungsrolle in der internationalen Klimapolitik. Meint es Deutschland ernst mit seinem Streben nach strategischer Autonomie, muss es sich mit den französischen Vorschlägen auseinandersetzen, und zwar mit dem Ziel, sich mit Paris auf eine gemeinsame Linie zu verständigen und diese konsequent zu verfolgen. Andernfalls dürfte das Vorhaben, das eigene Schicksal entschlossener in die Hand zu nehmen, schnell in einer Sackgasse enden. Der Umgang mit Frankreich wird so zum Test, wie gut drei von Deutschland und Frankreich unterschiedlich gewichtete Ziele unter dem Dach der strategischen Autonomie in Einklang zu bringen sein werden: Abstufungen unter den EU-Mitgliedstaaten (zum Beispiel Direktorium oder Kerngruppen), die französisch-deutsche Rolle als Motor der Union und der Zusammenhalt der gesamten EU. Paris nötigt Berlin schwierige Richtungsentscheidungen ab. Das gilt unmittelbar für den derzeit dynamischsten Bereich der bilateralen Kooperation, nämlich die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Die beiden Regierungen haben unter anderem gemeinsame Rüstungsvorhaben beschlossen sowie unter den Vorzeichen strategischer Autonomie Kriterien für die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) abgestimmt. Beide Seiten sind sich darüber hinaus in ihrer Analyse über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen sowie des Multilateralismus weitgehend einig. Seit die US-Administration das Iran-Nuklearabkommen aufkündigte, haben sich Berlin und Paris einander in den wesentlichen außen- und sicherheitspolitischen Fragen angenähert. So betonen beide Seiten, dass ein Streben nach strategischer Autonomie für die EU in keiner Weise Konkurrenz zur Nato bedeutet und dass keine Doppelstrukturen aufgebaut werden. Vielmehr würden die transatlantischen Beziehungen mittelfristig sogar belastbarer, je stärker die EU-Staaten in finanzieller wie operativer Sicht Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernähmen.
In Paris wird sehr konkret über die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension strategischer Autonomie der EU diskutiert.
In Paris wird sehr konkret über die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension strategischer Autonomie der EU diskutiert, so über die Reform der »Beistandsklausel« gemäß Artikel 42 (7) des EU-Vertrags von Lissabon. Sie sieht vor: »Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.« Die französische Regierung hat Artikel 42 (7) zu ihrem Reformprojekt auserkoren, weil strategische Autonomie für sie mit der Fähigkeit der EU zu eigenständigem Handeln einhergeht. Paris rückt die kollektive Verteidigung ins Zentrum seiner Überlegungen und diskutiert vier Szenarien, in denen die EU ohne Hilfe aus den USA handlungsfähig sein muss: einen Terroranschlag gegen einen EU-Mitgliedstaat, einen Hybrid-Angriff, einen Angriff gegen einen EU-Staat, der nicht Mitglied der Nato ist (vor allem Schweden und Finnland), sowie einen bewaffneten Angriff auf einen Nato-Alliierten, ohne dass sich die USA bereit erklären, im Sinne von Artikel 5 des Nato-Vertrages vergeltend tätig zu werden. Außerdem wird in Paris derzeit darüber gestritten, ob Frankreich künftig einen Angriff auf einen EU-Partner oder ein Nato-Mitglied als Angriff auf Frankreich werten soll – den es dann auch mit dem Einsatz von Nuklearwaffen vergelten könnte. Mit dem Fokus auf kollektiver Verteidigung will Paris dem Eindruck entgegenwirken, dass sich Frankreich nur eng an seinen eigenen strategischen Bedürfnissen ausrichtet. Viele EU-Länder argwöhnten, dass die »Europäische Interventionsinitiative« vor allem Frankreich zugutekäme, weil es durch ein größeres militärisches Engagement der EU-Europäer in Afrika entlastet würde. Zugleich bringt Paris mit dem Fokus auf der kollektiven Verteidigung Berlin in eine schwierige Situation, denn Deutschland hat eine solche Art der Verteidigung bislang ausschließlich im Rahmen der Nato verortet.
Paris drängt darauf, in der EU und besonders der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in kleineren Gruppen voranzuschreiten. Auch Berlin sieht diese Notwendigkeit. Aber wie die Lancierung von PESCO zeigte, bleibt es dabei, dass Frankreich auf Exklusivität und optimale Handlungsfähigkeit setzt, Deutschland hingegen stärker auf Inklusivität und Legitimität. Frankreich geht weiter offensiv auf Deutschland zu und bietet Berlin eine exklusive Zusammenarbeit an, denn in Frankreich gilt eine deutsch-französische Entente weiter als Vorstufe einer möglichen »Europäisierung« in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dafür gibt es mindestens zwei Projekte:
Erstens würde es Paris bevorzugen, die im Rahmen einer Neufassung von Artikel 42 (7) wichtigsten Szenarien für eigenständiges Handeln zunächst mit Deutschland einzuleiten. Dies würde beiden Seiten auch die Möglichkeit eröffnen, dem im bilateralen Abstimmungsprozess befindlichen »Elysée-Vertrag 2.0« eine Handschrift zu verleihen, die deutlich über das Dokument aus dem Jahr 1963 hinausreicht und nicht bloß formelhaft von strategischer Autonomie spräche. Zweitens strebt Paris seit langem danach, die europäische Abhängigkeit von den USA in rüstungstechnischen Fragen zu verringern. So schwebt Frankreich vor, einen weiterreichenden EU-Verteidigungsfonds zu schaffen. Dieser wäre auf die Bedürfnisse jener EU-Staaten ausgerichtet, die über eine international konkurrenzfähige rüstungstechnische Industrie verfügen. Deutschland und Frankreich, so die Auffassung in Paris, sollten hier ebenso als Pioniere agieren wie bei der Festlegung gemeinsamer Rüstungsexportrichtlinien. Eine Diskussion dieser Fragen und Prozesse im Kreis aller 27 EU-Mitglieder hält die französische Regierung für wenig aussichtsreich. Schließlich stellt sie auch die Frage, in welchem Umfang Berlin künftig bereit sein wird, (sicherheits- und verteidigungspolitische) Verantwortung für seine EU-Partner zu übernehmen und dabei einen Großteil der finanziellen Lasten zu tragen.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass Deutschland seine integrationspolitischen Präferenzen überdenken oder gar revidieren müsste. Das dürfte selbst bei der oben beschriebenen inkrementellen Reformoption nötig sein, denn auch diese müsste substantielle Fortschritte zur Autonomisierung liefern. Die Neigung deutscher Europapolitik, zuerst den Ordnungsrahmen festzulegen und darüber die inhaltliche Ausfüllung und Zweckbestimmung zu vernachlässigen, sieht Frankreich (wie seit jeher Großbritannien) sehr kritisch.
Großbritanniens Status und Sonderrolle
In der Vergangenheit hat allein die Tatsache, dass Großbritannien Mitglied der EU ist, die Vermutung genährt, dass die EU über strategische Qualitäten in der Außen- und Sicherheitspolitik verfügen könnte. Mit Großbritanniens nahendem Austritt büßt die EU in dieser Hinsicht an Prestige ein und verliert einen potenten Akteur in der GASP und bei der inneren Sicherheit, vor allem der nachrichtendienstlichen Kooperation. Allerdings wollte Großbritannien in seiner Zeit als EU-Mitglied eine faktische Stärkung der GASP allenfalls auf dem Wege des Pooling von Souveränität und Fähigkeiten herbeiführen, aber nicht durch weitergehende rechtlich bindende Integration, wie sie für die skizzierte Direktoriums- und selbst die Reformoption nötig wäre. Für beide Wege wäre Großbritannien ein schwieriger Partner, wenn nicht ein Blockierer. Unter dem Leitmotiv »Global Britain« will Großbritannien nach dem Brexit ohnehin einen dezidiert nationalen Weg einschlagen, der seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit betonen soll.
Ungeachtet seiner special relationship mit den USA steht Großbritannien in großen außenpolitischen Fragen an der Seite der anderen EU-Europäer.
Gewiss wird Großbritannien auch nach dem Brexit zumindest in Europa eine strategische Rolle spielen und deshalb für die EU ein wichtiger Partner außerhalb der EU sein. Außenpolitisch verfügt das Land über eine bedeutsame strategische Reichweite, mit seinem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat, einem der größten diplomatischen Netzwerke der Welt, sowie engen historischen Beziehungen etwa zu den USA, Kanada, Australien oder Indien. Großbritannien gehört als einziges europäisches Land zum exklusiven Club der Five Eyes, der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit den USA, Kanada, Australien und Neuseeland. Sicherheits- und verteidigungspolitisch kommen eine eigene nukleare Abschreckung, eine – im europäischen Maßstab – hohe Einsatzfähigkeit der Streitkräfte, enge militärische Integration mit einzelnen EU-Staaten sowie eine große eigenständige Verteidigungsindustrie hinzu. Als weltweit fünftgrößte Volkswirtschaft, die etwa 16 Prozent der Wirtschaftskraft der EU-28 stellt und mit der City of London über das größte Finanzzentrum Europas verfügt, ist Großbritannien zudem ein relevanter Faktor, zum Beispiel in Fragen von Handelskonflikten und Wirtschaftssanktionen. Das sind jene Bereiche, in denen die EU gefordert und gewillt ist, ihre Handlungsfähigkeit und Durchschlagskraft zu beweisen. Ungeachtet seiner special relationship mit den USA steht Großbritannien in großen außenpolitischen Fragen an der Seite der anderen EU-Europäer, beispielsweise was den Iran, das Pariser Klimaabkommen oder den Umgang mit dem Nahostkonflikt betrifft. Großbritannien selbst will in der Außen- und Sicherheitspolitik ebenfalls ein sehr enges Verhältnis mit der EU vereinbaren, was regelmäßige Konsultationen bis hin zur Einbindung in militärische Operationen und Programme der EU ermöglicht. Nach aktuellem Stand sind die EU-27 zwar zu einer ambitionierten Partnerschaft bereit, solange für Großbritannien die bisherigen Grenzen für Drittstaaten gelten. Das bedeutet vor allem keine Mitspracherechte und nur begrenzte Beteiligungsrechte bei großen Projekten, wie dem fürstrategische Autonomie wichtigen Satellitennavigationssystem Galileo.
Grundsätzlich hat die EU zwei Möglichkeiten, Großbritannien in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Brexit einzubinden.
In der ersten Option ist die Stärkung der EU vorrangig. Demnach würde Großbritannien auf der Basis bestehender Regeln für Drittstaaten eingebunden, das hieße ohne Mitspracherechte oder Sitz in den Organen und Gremien der EU. Das Land könnte sich beispielsweise am EU-Verteidigungsfonds beteiligen (und müsste entsprechend seiner Wirtschaftskraft erheblich einzahlen), kann aber nicht mitentscheiden, wie das Geld verteilt wird. Diese Zwei-Klassen-Behandlung durch die EU könnte die Briten in Richtung anderer Foren treiben, wie die Nato, die französische Interventionsinitiative oder weitere bi- und multilaterale Kooperationen, die es auch selbst initiieren könnte. Wenn aber im Ernstfall europäisches Handeln gefordert und eine Beteiligung der Briten dafür wesentlich ist, dann könnte statt der EU eine Ad-hoc-Koalition von Staaten, die fähig und willens sind, die Sache an sich ziehen.
In der zweiten Option genießt die Einbeziehung Großbritanniens in die Außen- und Sicherheitspolitik der EU Priorität. Dem Land wird eine Sonderrolle in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik zugebilligt, weil es in eine andere Kategorie fällt als Norwegen oder die Türkei. Die EU würde demnach Großbritannien auch in seiner Eigenschaft als Drittstaat besondere Rechte einräumen. So könnte das Land partielle oder auch generelle Beteiligungsrechten in außen- und sicherheitspolitischen EU-Gremien erhalten (etwa wenn es an einer EU-Operation mitwirkt), ebenso in Programmen wie Galileo oder dem EU-Verteidigungsfonds. Großbritannien wäre mit seinen Ressourcen dann auf flexibler Basis an der EU-Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt. Dem Zugewinn an europäischer strategischer Autonomie durch britische Beiträge stände entgegen, dass Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft aufgeweicht oder entwertet würden und durch die Hintertür Möglichkeiten für Vetos und faktische Mitentscheidung eröffnet würden, ohne Verantwortung und Lastenteilung klar zuzuschreiben.
Mit den beiden Optionen für die grundsätzliche Ausgestaltung der GASP – Reform oder Direktorium – ließe sich am besten die Option der Stärkung des EU-Systems verbinden. Die Option Sonderlösung für Großbritannien würde jedoch, ähnlich wie bereits die britische EU-Mitgliedschaft, jegliches institutionell abgesicherte Vorankommen schwieriger machen.
Legitimität
Strategische Autonomie, also die Fähigkeit, eigene außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, erfordert ein hohes Maß an politischer Legitimität nach innen und außen.
Für die Legitimität nach innen ist maßgeblich, dass die Bürgerinnen und Bürger sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten die EU als politisches System für anerkennungswürdig halten und unterstützen. Da die EU kein Staat ist, können für sie nicht dieselben Maßstäbe für Demokratie und legitimes Regieren gelten. Seit langem wird in Politik und Wissenschaft über prinzipielle und spezifische Demokratiedefizite der EU diskutiert.
Mit Blick auf die strategische Autonomie der EU sind vor allem zwei Fragen relevant: Unter welchen Bedingungen und in welchen Fällen ist es legitim, in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen überzugehen? In welchen Fällen ist aus Gründen der Legitimität eine Beteiligung des Europäischen Parlaments (EP) ratsam?
Vorauszuschicken ist, dass über den Einsatz militärischer Gewalt, ob im Rahmen der Nato, der EU, der VN oder von Koalitionen der Willigen, allein die Mitgliedstaaten gemäß ihren nationalen Bestimmungen entscheiden. Daran wird auch unter den Vorzeichen der strategischen Autonomie nicht gerüttelt, zumindest solange es keine europäischen Streitkräfte gibt. So hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon unterstrichen, dass nur der Bundestag die Entsendung bewaffneter deutscher Streitkräfte legitimieren kann. Das gilt auch für die deutsche Beteiligung an gemeinsamen Streitkräftestrukturen.
Kein Staat kann gegen seinen Willen zu außenpolitischen Positionen oder Aktionen verpflichtet werden.
Das intergouvernementale Prinzip sichert jedem Mitgliedstaat in der GASP ein Vetorecht zu. Kein Staat kann gegen seinen Willen zu außenpolitischen Positionen oder Aktionen verpflichtet werden. Allerdings müssen die Mitgliedstaaten die GASP aktiv unterstützen und sich im Geiste der Loyalität und gegenseitigen Solidarität verhalten. Das soll die Berechenbarkeit, aber auch die Konvergenz von Positionen sichern. In anderen Politikbereichen jedoch, die für die Entwicklung strategischer Autonomie wichtig sind, können Mitgliedstaaten auch überstimmt werden. Das trifft vor allem auf die gemeinsame Handelspolitik, den Binnenmarkt und die Eurozone zu. Der mitgliedstaatliche Strang der Legitimität führt über die (gewichteten) Stimmen der Mitgliedstaaten im Rat, der supranationale Strang hingegen über die Mitwirkung des Europäischen Parlaments. Zudem unterliegen alle Entscheidungen und Rechtsakte (außerhalb der GASP) der Supervision des Europäischen Gerichtshofs. Werden Entscheidungen in der GASP, um die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken, aus der Einstimmigkeit in die (qualifizierte) Mehrheitsentscheidung überführt oder gar einem Europäischen Sicherheitsrat übertragen, sieht sich die EU mit den bekannten Legitimitätsfragen konfrontiert:
Bis dato garantiert das Einstimmigkeitsprinzip in der GASP/GSVP die formale Gleichheit zwischen Staaten von unterschiedlichem (macht-)politischem Gewicht im Rat und im Europäischen Rat. Malta, Irland und Zypern verfügen genauso über ein Vetorecht wie Deutschland, Frankreich und Spanien. Jede Form des Abweichens von der Einstimmigkeit wirft gerade aus Sicht der kleineren und mittelgroßen Staaten die Frage auf, wie ihre Interessen gewahrt werden und wie sie ihren Einfluss geltend machen können. Kommt kein Konsens zustande, heißt das, dass eine Minderheit nicht zu überzeugen war, trotz der ernsthaften Suche nach Kompromissen. Es stellt sich also die Frage, ob GASP-Entscheidungen außerhalb des Militäreinsatzes anderer Natur sind als beispielsweise jene in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Wenn das so ist und bleibt, wären zumindest Lehren für die Zukunft zu ziehen. Länder mit sehr speziellen oder vitalen Interessen, die nicht von allen EU-Staaten mitgetragen oder wenigstens akzeptiert werden können, sollten nicht Mitglied der EU werden, zum Beispiel die Türkei. Eine Mitgliedschaft solcher Länder eröffnet keine Aussicht auf konvergente außenpolitische Positionen und einen gemeinsamen acquis politique. Zudem sollte eine Mitwirkung des Europäischen Parlaments geprüft werden, wenn es darum geht, Mehrheitsentscheidungen in der GASP einzuführen oder die internationale Rolle des Euro zu stärken.
Was die Außendimension anbelangt, ist das Bestreben, strategische Autonomie zu stärken, mit der Legitimität der EU als internationaler Akteur verknüpft. Die Union bindet ihr auswärtiges Handeln an die Prinzipien der Demokratie, die Menschenrechte und die Grundsätze der Charta der VN. Sie setzt sich zum Ziel, ihre Werte (Artikel 2 EUV) und Interessen sowie ihre Sicherheit, Unabhängigkeit (!) und Unversehrtheit zu wahren (Artikel 21 (2) EUV). Diesen Zielen und Werten muss folglich auch die strategische Autonomisierung verpflichtet sein. Sie muss dazu beitragen, jene zu verwirklichen, und ist insofern Mittel zum Zweck. Den Maßstab für Richtungs- wie Einzelentscheidungen bilden die oben genannten Ziele. Politische Debatten über dieses Thema auf nationaler und EU-Ebene müssen weitaus transparenter und »öffentlicher« geführt werden. Das ist die Aufgabe der Parlamente. Umfragen zufolge ist EU-weit die Zustimmung zu mehr Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Außen- und Sicherheitspolitik traditionell besonders hoch. Gemeinsame europäische Politik verursacht jedoch oft ungleiche politische, wirtschaftliche oder finanzielle Kosten für einzelne Mitgliedstaaten oder Personengruppen. Das ist dann der Fall, wenn sich die europäischen Staaten solidarisch für die Interessen eines einzelnen Staates einsetzen, wenn ein EU-Handelskonflikt oder Sanktionen nur Teile der EU-Wirtschaft betreffen oder wenn militärische Operationen nur die Interessen eines Bruchteils der Mitgliedstaaten berühren. Dann müssen die Akteure der Union, vor allem ihre Mitgliedstaaten, bereit und in der Lage sein, diese Entscheidungen gegenüber der Bevölkerung in einen größeren Begründungszusammenhang zu stellen. Das kann die Solidarität mit EU-Staaten und anderen sein, die Treue zu den eigenen Werten und damit die politische Glaubwürdigkeit nach innen und außen oder die Abwägung zwischen unterschiedlichen Gütern.
Die Legitimität der EU speist sich immer aus beiden Quellen: mittelbar durch die Mitgliedstaaten und unmittelbar durch das Zusammenwirken der Gemeinschaftsorgane. Deshalb bleibt die Bindung aller Entscheidungen an das Recht fundamental. Dieses muss allerdings in den Staaten der Union ebenfalls gewährleistet sein. Verfahrenslegitimität und Output-Legitimität (Leistung) sind auch in der Außen- und Sicherheitspolitik Voraussetzungen für Akzeptanz.
Handlungsfelder: Instrumente, Fähigkeiten, Ressourcen
Die Frage nach einem Mehr an strategischer Autonomie und einer wirksamen, europäischen Werten und Interessen entsprechenden Mitgestaltung der internationalen Umwelt ist unmittelbar mit den Fähigkeiten und Machtressourcen verbunden, die Deutschland und Europa ins Spiel bringen können und wollen. Gleichzeitig müssen Fähigkeitslücken und Verwundbarkeiten thematisiert werden. Die Lücke zwischen Anspruch, also dem Wunsch nach strategischer Autonomie, und Wirklichkeit tritt bei den militärischen Fähigkeiten am deutlichsten zutage.
Strategische Autonomie lässt sich, wie mehrmals betont, nicht auf die militärische Dimension verkürzen, schließt diese aber zentral ein. Was im militärischen Bereich fehlt – mit Blick etwa auf ein ausgeglicheneres Verhältnis zu den USA –, wird eben nicht durch die diplomatischen, zivilen und wirtschaftlichen Potentiale Europas aufgewogen. Umgekehrt gilt aber auch, dass mehr militärische Fähigkeiten ohne diese Potentiale wenig Sinn ergäben.
Deutsche Politik muss deshalb über Verteidigungs-, Abschreckungs- und Interventionsfähigkeiten sowie die technologische und rüstungsindustrielle Basis genauso sprechen wie über wirksames multilaterales Handeln, die Mitarbeit in internationalen Organisationen und die Stärkung ziviler Konfliktbearbeitungskapazitäten. Die stärksten Machtressourcen, die Europa auf die internationale Waagschale bringt, sind allerdings sein wirtschaftliches und technologisches Gewicht und der Binnenmarkt. Mehr strategische Autonomie verlangt nicht nur, diese Ressourcen zu erhalten, sondern auch, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Europa handlungs- und konfliktfähiger werden kann, nicht zuletzt im währungs- und finanzpolitischen Bereich.
Sicherheit und Diplomatie
Vollständige strategische Autonomie im Sicherheits- und Verteidigungsbereich wäre für Europa allenfalls mittel- bis langfristig, bestenfalls in zehn bis zwanzig Jahren, vorstellbar. Dazu bedürfte es neben hinreichender Finanzierung auch der politischen Unterstützung und Bereitschaft aller Staaten, gegebenenfalls auf nationale Souveränitätsrechte zu verzichten, um mehr europäische Eigenständigkeit auch im militärischen Bereich zu erreichen. Größere strategische Autonomie dagegen verlangt vor allem, ein angemessenes Ambitionsniveau nach eigenen Prioritäten zu definieren und die sich daraus ergebenden Selbstverpflichtungen auch zu erfüllen. Entscheidend hierfür bleibt das Zusammenspiel – und nicht das Gegeneinanderausspielen – von EU und Nato.
Militärische Fähigkeiten lassen sich nur gemäß dem angestrebten strategischen Ziel bewerten. Was für den einen Zweck angemessen und ausreichend erscheint, ist für andere Aufgaben unpassend oder unzureichend. In diesem Zusammenhang lassen sich drei verschiedene Ambitionsniveaus in den Blick nehmen: a) eine zunächst jedenfalls anhaltende Abhängigkeit von den USA im Bereich der kollektiven Verteidigung bei gleichzeitiger Stärkung des europäischen Nato-Pfeilers, b) wachsende Autonomie in einer verteidigungspolitischen Grauzone, die nicht notwendig das Bündnis als Ganzes involviert, sowie c) eine begrenzte, aber notwendig zunehmende Autonomie beim Krisenmanagement.
Europa und die kollektive Verteidigung
Zwar ermöglicht es der Vertrag von Lissabon, schrittweise eine gemeinsame Verteidigungspolitik der Union festzulegen, die in eine gemeinsame Verteidigung münden könnte. Dennoch wird auf absehbare Zeit die Nato die zentrale Rolle bei der Verteidigung des euro-atlantischen Raums behalten. Glaubhafte strategische Autonomisierung in einer Verteidigungspolitik, die über Krisenmanagement hinaus kollektive Verteidigung auf dem Niveau der nordatlantischen Allianz umfasst, können die Europäer bis auf Weiteres nur in und mit der Nato und daher nur mit den USA gewährleisten. Sie sind militärisch, sowohl konventionell als auch nuklear, von den USA abhängig und können auch die Nato-Strukturen und Verfahren nicht einfach ersetzen. Ob die Nato langfristig über die politische Geschlossenheit und die militärischen Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung und darüber hinausgehende Auslandseinsätze verfügen wird, ist die erste Frage, die sich die Europäer stellen müssen. Die zweite lautet, was sie dazu beitragen können und welche Rolle die GSVP und mithin die EU dabei spielen können.
Aufmerksamkeit verdient eine jüngst wiederbelebte Konzeption: die Entwicklung bzw. Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato.
Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang eine jüngst wiederbelebte Konzeption, die aus den 1990er Jahren stammt, nämlich die Entwicklung bzw. Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato. Es wäre an den EU-Mitgliedstaaten, dies in Gang zu bringen, wobei die Ausgangslage schwierig ist. Vor allem ostmitteleuropäische Nato-Staaten haben größeres Vertrauen in bilaterale Schutzversprechen der USA als in die Solidarität und heutige wie künftige Leistungsfähigkeit der EU. Sie befürchten, dass eine Fokussierung auf die EU die Allianz schwächt und die USA provoziert. Einige von ihnen stehen deshalb sogar einer Stärkung des europäischen Nato-Pfeilers skeptisch gegenüber. Deutschlands politische Rolle läge darin, die Logik »Nato oder EU« zu durchbrechen. Berlin müsste das Eigeninteresse der Europäer herausstellen, ihre Fähigkeiten zu verbessern und über die europäische Sicherheitspolitik wirkungsvoller mitzuentscheiden.
Der Nutzen einer solchen Stärkung wäre doppelt. Erstens würde die generelle Handlungsfähigkeit der Europäer auch über die Nato hinaus für andere Engagements davon profitieren. Zweitens könnte das Interesse der USA an den Europäern als Partner steigen, denn ein größerer Beitrag zur transatlantischen Lastenteilung könnte das schwindende Interesse der USA beleben, in der Allianz und Europa engagiert zu bleiben. Das wäre nicht der geringste Beitrag zu einer symmetrischeren Beziehung zwischen EU/Europa und den USA. Insofern könnten auch Nato-Mitglieder, die nicht der EU angehören und über beachtliche Fähigkeiten verfügen (Großbritannien nach dem Brexit, Norwegen und die Türkei), für eine Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato gewonnen werden.
Politisch lässt sich die Rolle der USA als zentrale und anerkannte Führungsmacht, die politische Einigungen forciert und Entwicklungen vorantreibt, nicht ersetzen, aber doch stärker als bislang ausbalancieren. Dabei wird dieser europäische Pfeiler gleichermaßen militärisch (über größere und effektivere militärische Fähigkeiten) als auch politisch zu denken sein, nämlich als Format, in dem die europäischen Nato-Mitglieder Fragen euro-atlantischer Sicherheit diskutieren und Nato-Beschlüsse vorbereiten.
Stattdessen hat die EU seit 1999 mit dem Aufbau der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigenständige politische Entscheidungs- und rudimentäre militärische Handlungsstrukturen geschaffen. Dieser europäische sicherheitspolitische Pfeiler außerhalb der Nato hat sich aber nicht zu einem wirklich autonomen sicherheitspolitischen Instrument entwickeln können. Angesichts der wenig integrationsfreundlichen Grundstimmung in vielen europäischen Ländern ist dies auch kurzfristig nicht zu erwarten.
Stärke und Stabilität des europäischen Pfeilers innerhalb der Allianz dürften wesentlich von der Fähigkeit und Bereitschaft Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens abhängen, hier gemeinsam Führungsverantwortung zu übernehmen. Die drei müssten nicht nur eine gemeinsame Position definieren, sondern dafür auch die Gefolgschaft der übrigen Europäer gewinnen, also die Kohärenz mit der EU sicherstellen. Ein Zusammengehen der Europäer kann nur gelingen, wenn sie interessenbasiert und ohne antiamerikanische Spitze auftreten. Frankreichs Haltung gegenüber der Nato wird von Ländern wie Polen und den baltischen Staaten zumindest als zweideutig wahrgenommen. Das europäische Führungstrio müsste unter Beweis stellen, welchen sicherheits- und verteidigungspolitischen Nutzen die Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato bringt.
Risiken auf dem Weg zu einem Mehr an strategischer Autonomie Europas sind eine Fragmentierung der Sicherheitsbeziehungen in Europa selbst und unbeabsichtigte Friktionen mit den USA. So könnten einige tendenziell EU-skeptische Regierungen sich darum bemühen, die bilateralen Beziehungen zu den USA als Lebensversicherung zu stärken (siehe etwa die polnischen Bemühungen um bilaterale US-Truppenstationierung) und Beiträge zu EU und Nato zu vernachlässigen. Eine solche Fragmentierung würde Europas Handlungsfähigkeit schwächen. Schon jetzt betrachten einige ostmitteleuropäische Staaten die Orientierung auf strategische Autonomie als Vorhaben, das aufgrund fehlender Kapazitäten ihre Sicherheit aufs Spiel setzt. Wenn vor allem Deutschland und Frankreich nicht zeigen können, dass sich diese Lücken zumindest perspektivisch schließen lassen, dürften diese Staaten das Projekt einer größeren strategischen Autonomie im Rahmen der EU nicht nur nicht unterstützen, sondern blockieren.
Gleichzeitig sehen wir, dass die Debatte über entsprechende Ambitionen der EU, militärisch, politisch und industriell eigenständig oder eigenständiger zu handeln, in Washington nicht unbedingt als Beitrag zur Lastenteilung und zur oft verlangten größeren Eigenverantwortung Europas betrachtet wird. Für Präsident Trump reduziert sich die Forderung an Europa ohnehin darauf, »mehr für die Nato« zu zahlen. Es ist nicht auszuschließen, dass seine Regierung die europäische Autonomiedebatte zum Anlass nimmt, sich weiter von gemeinsamen Sicherheitsthemen abzuwenden und ihre militärischen Investitionen in Europa zu reduzieren oder auf einige, etwa ostmitteleuropäische Länder zu konzentrieren. Das könnte schneller geschehen, als Europa seine politischen, militärischen und industriellen Fähigkeiten ausbaut. Will Europa in diesen Bereichen stärker auftreten, muss es das gegenüber den USA, ausdrücklich nicht nur der Trump-Administration, sowie anderen Partnern wie der Türkei unmissverständlich kommunizieren. Es gilt deutlich zu machen, dass größere europäische Fähigkeiten das Bündnis insgesamt stärken, weil und indem Europa tatsächlich mehr für seine eigene Sicherheit zu leisten bereit ist.
Verteidigungspolitische Grauzonen
Während die kollektive Verteidigung im strategischen Sinne Aufgabe der Nato bleiben wird, ist in den vergangenen Jahren aufgrund neuer sicherheitspolitischer Bedrohungen eine verteidigungspolitische Grauzone entstanden, in der die Allianz nicht zwangsläufig agieren wird. Hier könnten zunehmend Aufgaben für die EU oder europäische Koalitionen der Willigen entstehen. Zu denken wäre an die Verteidigung von EU-Mitgliedern, die nicht von den Nato-Garantien profitieren, sowie an entschlossene Gegenmaßnahmen bei einem Angriff auf ein europäisches Nato-Mitglied, der keine Aktion der Allianz auslöst, bei Terroranschlägen in einem EU-Mitgliedstaat oder bei einem hybriden Angriff.
Vorstellbar wäre für diese Fälle ein stärker autonomes Handeln auf Grundlage von Artikel 42 (7) des Lissabonner Vertrages, der sogenannten Solidaritätsklausel. Sie wurde schon einmal angewandt, nämlich bei der Autorisierung des Anti-IS-Einsatzes nach den Pariser Terroranschlägen im November 2015. Aber selbst wenn die EU mittelfristig als politischer Rahmen für derartige Entscheidungen etabliert werden sollte, bedeutet das nicht, dass die Einsätze an sich vornehmlich in diesem Rahmen stattfinden werden. Eher dürfte sich eine Entwicklung des letzten Jahrzehnts fortsetzen: Mit Ausnahme der kollektiven Verteidigung, die klar in der Nato verankert bleibt, fanden Einsätze mehrheitlich in Ad‑hoc-Koalitionen statt. Nato und EU unterstützen und ermöglichen solche Koalitionen, indem sie Interoperabilität trainieren, Beschaffung koordinieren sowie Kommunikations- und Informationsinfrastruktur bereitstellen.
In diesem Sinne sollte Deutschland bei der Fortentwicklung der PESCO darauf achten, dass die EU-eigenen Aufgaben der Krisenprävention und des Krisenmanagements nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Gerade Frankreich fordert, diesen Aufgaben wieder größeres Gewicht einzuräumen. Paris sieht in der strategischen Autonomie Europas eine operative Dimension, die sich auch auf eine rüstungsindustrielle Unabhängigkeit gründet. Dieser Vision müsste sich Deutschland stärker als bisher verschreiben, wenn es strategische Autonomie streng auslegt. Ihr zu folgen wäre zunächst unbequem: Beide Bestandteile dieser Autonomie – die operative und die rüstungsindustrielle – sind im EU-Rahmen gegenwärtig nicht zu erreichen. Sie aus diesem Grund gleichwohl nicht konsequent zu verfolgen birgt die Gefahr, der EU auch in Zukunft keine eigene sicherheitspolitische Kontur zu verleihen.
Die EU als Anbieter von Krisenmanagement
Die Kernaufgabe der Nato ist die Bündnisverteidigung und Abschreckung. Federführend ist die Allianz auch bei Kampfeinsätzen. Dagegen konzentriert sich die EU auf das Krisenmanagement in der Nachbarschaft Europas, bei dem sie weitgehende Autonomie erreicht hat. Im engeren Sinne umfasst diese sicherheitspolitische Aufgabe gemäß Artikel 28b des Lissabonner Vertrages »gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten«.
In den vergangenen Jahren hat die EU sich vor allem auf den Aufbau sicherheitspolitischer Strukturen und Fähigkeiten (Capacity Building) in einigen Ländern Afrikas konzentriert. Allerdings fasst sie darüber hinaus auch ins Auge, »höherwertige« Aufgaben aus diesem Spektrum bis hin zu Kampfeinsätzen zu übernehmen, und hat in den vergangenen Jahren ihre Fähigkeiten dazu ausgebaut. Es käme also vor allem darauf an, den notwendigen politischen Willen für derartige Einsätze zu generieren oder zu erhalten. Genauso wichtig wäre es, den noch sehr eng auf technische Fragen bezogenen Kooperationsrahmen zwischen Nato und EU inhaltlich auszugestalten, Das empfiehlt sich gerade dort, wo es überlappende Aktivitäten gibt, also bei hybriden Bedrohungen, Terrorismusbekämpfung und der Mobilität von Truppen und Gerät.
Gegenwärtig sind die Mitgliedstaaten der EU allerdings weit davon entfernt, ihre selbstdefinierten militärischen Ambitionsniveaus zu erreichen. Im EU-Rahmen wollten sie bereits im Jahre 2010 in der Lage sein, zwei umfangreiche Operationen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau durchzuführen, bei denen mindestens zwei Jahre lang bis zu 10 000 Mann im Einsatz gehalten werden könnten. Darüber hinaus sollte es zu dem Zeitpunkt gewährleistet sein, gleichzeitig zwei befristete Operationen unter Einsatz der EU-Battlegroups, eine Operation zur Evakuierung europäischer Staatsbürger, eine Mission zur Überwachung und Abriegelung eines Seegebiets oder Luftraums sowie eine bis zu 90 Tage dauernde zivil-militärische Operation zur Leistung humanitärer Hilfe durchführen zu können. Wie oben angedeutet, stellt sich perspektivisch die Frage, ob und wie britische Kapazitäten künftig für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nutzbar gemacht werden können. Im Rahmen der Nato mit ihren Kernaufgaben Bündnisverteidigung, Krisenmanagement und kooperative Sicherheit wollen die europäischen Staaten sich in die Lage versetzen, zwei große und sechs kleine Operationen oder eine sehr große Operation mit bis zu 100 000 Soldaten und Soldatinnen durchzuführen.
Hier geht es noch gar nicht um das Ziel einer »europäischen Armee«, das in großen politischen Reden ungeachtet der Souveränitätsvorbehalte aller Staaten gern als Zukunftsvision beschworen wird. Um sich dem Ziel strategischer Autonomie weiter zu nähern, müssen die Europäer vielmehr ihre seit Jahren bestehenden Fähigkeitslücken schließen, die vor allem im strategischen Transport und den Bereichen Aufklärung und Führungsfähigkeit bestehen. Neben der strategischen Abschreckung existiert hier die größte Abhängigkeit von den USA.
Auch bei der rüstungsindustriellen Basis Europas wird man in näherer Zukunft kaum von strategischer Autonomie sprechen können. Zwar sind vor allem die größeren EU-Staaten in der Lage, militärisches Großgerät zu entwickeln und zu produzieren. Dagegen lässt die europäische Bedarfssteuerung und -harmonisierung zu wünschen übrig. Größter Hemmschuh dabei ist nach wie vor die national ausgerichtete Rüstungsplanung und ‑beschaffung. Wenn die EU-Mitgliedstaaten weiterhin über 80 Prozent ihrer militärischen Ausrüstung national beschaffen, wird dies auch künftig viel zu hohe Ausstattungskosten verursachen. Außerdem lässt sich auf diese Weise die im Einsatz notwendige Interoperabilität der Fähigkeiten nicht herstellen.
Bei konstanter Finanzierung würden die europäischen Staaten zehn bis 20 Jahre brauchen, um mit Waffensystemen aus eigener Produktion auf heutigem technischem Niveau operieren zu können. Größere Projekte, wie ein neues Kampfflugzeug, würden noch länger dauern. Das dürfte erst recht gelten, wenn es den Mitgliedstaaten nicht gelingt, sich auf gemeinsame Rüstungsexportkriterien zu einigen. Gegenwärtig befinden sich Deutschland und Frankreich hier in einer Blockadesituation. Paris macht den Export eines Kampfflugzeuges, welches beide Länder gemeinsam entwickeln und beschaffen wollten, zur Vorbedingung für das bilaterale Projekt. Weil Rüstungsfirmen in Europa ihre Kapazitäten mit den nationalen Bedarfen nicht auslasten können, sind sie auf den Export ihrer Produkte angewiesen und machen sich von der Nachfrage aus Drittländern etwa im Nahen und Mittleren Osten oder Asien abhängig. Gelingt es den Mitgliedstaaten aber weiterhin nicht, die industriellen Kapazitäten auf einem sinnvollen Niveau zu konsolidieren und sich auf gemeinsame Exportkriterien zu verständigen, dürfte strategische Autonomie in der Rüstungspolitik kaum zu erreichen sein.
Zwar können Deutschland und andere europäische Staaten amerikanische Rüstungsprodukte kaufen. Das erzeugt allerdings technologische oder gar politische Abhängigkeiten. So wird vor allem aus Frankreich zu Recht darauf hingewiesen, dass EU-Staaten vor jedem Einsatz der von ihnen in den USA erworbenen Drohnen vom Typ Reaper um eine Genehmigung in Washington ersuchen müssen. Im Falle des Kampfjets F‑35 laufen alle Informationen zum Betrieb und zur Wartung des Flugzeugs über Server in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig verdeutlicht gerade dieses Beispiel die Besonderheit von Rüstungskäufen: Staaten kaufen nicht bloß ein Flugzeug, sondern unterstreichen durch den Erwerb eines amerikanischen Jets die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen und amerikanischer Sicherheitsgarantien. So hat sich Belgien gegen eine europäische Lösung und für die F‑35 entschieden. Auch andere EU-Staaten streben aus diesen Gründen bewusst die Abhängigkeit von den USA an.
Anders ausgedrückt: Um größere strategische Autonomie zu erlangen, müssten die Europäer deutlich umfassender bei militärischen Fähigkeiten kooperieren. Mit weiteren Anstrengungen zur Entwicklung eines europäischen Rüstungsmarktes, gemeinsamen Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben und einheitlichen Standards kann hier auch die EU substantiell zu höherer Interoperabilität und gemeinsamer Einsatzfähigkeit beitragen.
Die nukleare Frage
In der politischen und wissenschaftlichen Diskussion ist umstritten, ob strategische Autonomie auch die Fähigkeit zu nuklearer Abschreckung beinhalten muss. Hier gilt es drei verschiedene Dimensionen zu unterscheiden.
Erstens geht es um die Abschreckung existentieller Angriffe auf europäisches Territorium. Hier greift weiterhin die in Artikel 5 des Nordatlantikvertrags festgelegte Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung. Neben den USA werden auch die europäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich nach wie vor nukleare Fähigkeiten in die Nato einbringen und so die Abschreckungsfähigkeit im Falle eines Angriffs auf existentielle Interessen der Europäer sicherstellen. Vor allem die Abschreckung nuklearer Angriffe durch andere Staaten dürfte damit auch künftig gewährleistet sein: Ein Angreifer muss in einem solchen Fall mit nuklearer Vergeltung rechnen.
Zweitens geht es darum, atomare Erpressungsversuche abwehren zu können. »Nuclear blackmail« war in der Vergangenheit wenig erfolgreich, bleibt aber als Risiko für die Handlungsfähigkeit denkbar. Strategische Autonomie hieße hier, die eigenen Verteidigungsanstrengungen so zu organisieren, dass Europa nicht aus Furcht vor einer nuklearen Eskalation zurückweichen muss, die ein Gegner betreibt. Dies erfordert eine Abstimmung im europäischen Rahmen über gemeinsame Prinzipien und Regeln im Hinblick auf glaubwürdige Abschreckung. Eine Verständigung darüber gibt es bisher nur in der Nato. Frankreich hat bisher keine Bereitschaft gezeigt, über diese strategischen und auch operativen Fragen im europäischen Rahmen zu beraten.
Drittens geht es darum, die eigene, europäische Handlungsfähigkeit im Kontext regionaler Krisen wahren zu können, in denen auch andere, konkurrierende Atomwaffenstaaten agieren. Besonders im Nahen Osten, aber auch in Asien sind derartige Interventionen denkbar, die schnell eine nukleare Dimension bekommen können. Solche Szenarien stellen höchste Anforderungen an die strategische Handlungsfähigkeit.
Nicht nur die oben angesprochenen Probleme der Abstimmung unter Verbündeten müssen gelöst werden. Es muss auch eine tiefe und belastbare Einigkeit über Ziele einer Intervention und die Mittel zur Erreichung dieser Ziele hergestellt werden. Bislang gab es kaum eine Intervention europäischer Staaten, in der die Übereinstimmung so groß war, dass hier mit dem höchsten, nämlich nuklearen Einsatz hätte »gespielt« werden können. Die Diskussion über die Rolle von Atomwaffen, die sich etwa auch in der Abrüstungsdebatte spiegelt, ist in der EU mittlerweile so toxisch, dass der Versuch einer Konsensfindung oft gar nicht mehr unternommen wird. Eine ungleich anspruchsvollere vergemeinschaftete Abschreckungspolitik erscheint vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar.
Eine »europäisierte« nukleare Abschreckung auf Grundlage des bestehenden französischen Arsenals ist zwar grundsätzlich denkbar. Um einen Angriff mit Kernwaffen auf einen EU-Staat zu verhindern, bedarf es keiner massiven Nukleararsenale. Es würde ausreichen, dass Frankreich und mit ihm die EU glaubwürdig drohen kann, einen Angriff auf einen EU-Mitgliedstaat nuklear zu vergelten. Einige Äußerungen französischer Präsidenten in den 1990er Jahren und auch jüngst die von Emmanuel Macron deuten darauf hin, dass Frankreich bereit sein könnte, seine Nukleargarantie entsprechend auszuweiten.
Bis heute bleibt Frankreich der nuklearen Planungsgruppe und anderen einschlägigen Gremien der Nato fern, um die uneingeschränkte nationale Entscheidungsfähigkeit über die force de frappe zu behalten. Daraus wird deutlich, wie unwahrscheinlich es ist, dass sich die französische Kernwaffenpolitik in eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik integrieren ließe. Eine weitere Unsicherheit ist, dass künftige französische Präsidenten oder Präsidentinnen sich an Verpflichtungen ihrer Vorgänger nicht mehr gebunden fühlen könnten. Der populistische Nationalismus ist schließlich nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen.
Die Diskussion über eine deutsche Nuklearoption ist eine Geisterdebatte.
Die Diskussion über eine deutsche Nuklearoption ist erst recht eine Geisterdebatte. Eine solche Option wäre mit enormen Kosten und Risiken verbunden, ohne dass ein sicherheitspolitischer Mehrwert erkennbar ist. Deutschland müsste unter anderem den Atomausstieg rückgängig machen und einen nuklearen Brennstoffkreislauf etablieren sowie mit eigenen außenpolitischen Prinzipien radikal brechen, um aus dem Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag austreten zu können. Dies würde das nukleare Nichtverbreitungsregime weiter schwächen, Rüstungswettläufe in Europa befeuern und die deutsche Gesellschaft derart polarisieren, dass die eigene Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt wäre.
Zivile Fähigkeiten
Um im eigenen strategischen Umfeld Ordnung projizieren und gestalten sowie Risiken abwehren zu können, sind militärische Fähigkeiten unabdingbar, aber nicht ausreichend. Noch fehlt eine gemeinsame europäische Strategie, die militärische mit diplomatischen und anderen zivilen oder nichtmilitärischen Instrumenten (wie Konfliktprävention, Vermittlung, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Konfliktnachsorge oder Sanktionen) kombiniert und zivile Konfliktbearbeitung nicht automatisch der militärischen unterordnet. Eine solche Strategie wäre aber notwendig, wenn strategische Autonomie umfassend und nicht ausschließlich militärisch durchdekliniert werden soll. Nicht zuletzt mit Blick auf den europäischen Wertekanon – die Orientierung an Frieden, Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sollten zivile Instrumente der Konfliktbearbeitung und mehr oder weniger robuste diplomatische Interventionen nicht nur als Vorspiel, untere Stufe oder Nachsorge zum »eigentlichen« Eingreifen verstanden werden. Das schließt allerdings eine Arbeitsteilung aus, bei der Deutschland sich vornehmlich auf zivile Interventionsinstrumente, andere Partner dagegen auf militärische konzentrieren. Europa träte damit eben nicht als gemeinsamer Akteur auf.
Es geht darum, parallel zur Stärkung militärischer Fähigkeiten und Abstimmungsprozesse auch die zivilen Fähigkeiten weiter auszubauen, vor allem durch eine gemeinsame strategische Planung Prioritäten zu setzen und mit Ziel- und Interessenkonflikten umzugehen. Die Ziel- und Interessenkonflikte beruhen auf unterschiedlichen Bindungen und Interessen einzelner Mitgliedstaaten sowie Konflikten zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Erwägungen, aber auch auf dem Interesse an guter Regierungsführung, Wahrung der Menschenrechte oder Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.
Diplomatie und Aufklärung
Jede Außen- und Sicherheitspolitik der EU steht und fällt mit der Fähigkeit ihrer Diplomatie, die Ziele der Union kohärent und gemeinsam anzustreben und nach außen widerspruchsfreie Positionen zu vertreten. Je größer die Orientierung auf eine strategische Autonomisierung Europas, desto mehr hängt der Erfolg davon ab, dass die Diplomatien der Mitgliedstaaten und der EU in ausreichendem Einklang agieren. Gegenwärtig fehlt es hier an den notwendigen Voraussetzungen: Dem Erfolg im Wege stehen nationale Interessen einzelner Mitgliedstaaten, schwer miteinander vereinbare diplomatische Arbeitsformen und Traditionen sowie die noch unzureichend entwickelte diplomatische Kohärenz im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Politischen Vorgaben, auch aus dem Rat selbst, wird oft unzulänglich gefolgt; der internationale Einfluss, den die EU haben könnte, bleibt ungenutzt. Europäische strategische Autonomie würde die Bereitschaft der Mitgliedstaaten verlangen, außenpolitische Orientierungen und deren diplomatische Umsetzung im EU-Rahmen so abzustimmen, dass Alleingänge einzelner, vor allem größerer Staaten unterbleiben. Um dies auch für die alltägliche diplomatische Tätigkeit wirksam werden zu lassen, müsste der EAD ein eigenständiger auswärtiger Dienst werden. Gefragt wäre ein einheitlicher Apparat mit eigenen Laufbahnen, geführt von einer Hohen Vertreterin, die politisch stark genug ist, Außenpolitik im Rahmen ihrer Zuständigkeit selbständig zu konzipieren und umzusetzen. Überdies müsste sie von den Mitgliedstaaten Mandat und Vertrauen bekommen, im Namen der Union mit Dritten zu verhandeln. Gerade der Brexit-Prozess hat gezeigt, wie stark die EU mit einer kollektiven Verhandlungsführung ihre Interessen durchsetzen kann. Eine solche doppelte Stärkung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Union läuft zwar aktuellen Renationalisierungstendenzen in Europa zuwider. Dennoch müsste die deutsche Regierung sie zur Priorität erklären, wenn sie das Ziel strategischer Autonomie ernsthaft verfolgen will.
Autonomes sicherheitspolitisches Handeln hängt oftmals von vertraulichen Informationen ab. Auch wenn die Vorstellung eines supranationalen EU-Geheimdienstes derzeit politisch wie vertragsrechtlich abwegig ist, bestehen wichtige Ansatzpunkte für die notwendige nachrichtendienstliche Unterstützung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Zurzeit verfügt die EU über zwei miteinander verbundene Analyseeinheiten im EAD und im EU-Militärstab, die in erster Linie auf der Grundlage von Berichten nationaler Dienste gemeinsame Lageanalysen und Handlungsoptionen erarbeiten. Diese bisher grundsätzlich freiwillige Zusammenarbeit könnte in vier Bereichen ausgebaut und flankiert werden: Erstens bedarf es einer verlässlichen Koordinierung, welche inhaltlichen und geographischen Prioritäten durch welche nationalen Dienste im gesamteuropäischen Interesse bearbeitet werden. Eine derartige Arbeitsteilung könnte analog zur PESCO zunächst zwischen einigen Mitgliedstaaten vereinbart werden, um die hohen Hürden für eine verbindliche EU-Kooperation zu umgehen. Zweitens werden eigene europäische Forschungs- und Beschaffungsprogramme für die Auswertung großer Datenmengen notwendig werden. Drittens müsste die EU über Initiativen zur Eindämmung von Desinformation hinaus deutlich mehr technische, organisatorische wie menschliche Ressourcen für die eigene Informationssicherheit und die Spionageabwehr mobilisieren. Viertens sollten die Befugnisse der nationalen Aufsichtsgremien für Nachrichtendienste und deren grenzüberschreitende Vernetzung gestärkt werden, um Rechtsstaatlichkeit, demokratische Kontrolle und Legitimität in diesem besonders sensiblen Bereich der europäischen Sicherheitspolitik zu bewahren.
Sanktionen
Europa hat sehr wohl gezeigt, dass es seine Ressourcen gezielt einsetzen kann, um international politisch Einfluss zu nehmen. Zu den robustesten Mitteln europäischer Diplomatie gehört das Sanktionsinstrumentarium der Europäischen Union. Es ist in den beiden letzten Jahrzehnten immer häufiger auch ohne Autorisierung durch den VN-Sicherheitsrat angewandt worden. Das gilt naturgemäß vor allem im Falle von Sanktionen, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrates oder deren engste Verbündete betreffen. Unilaterale EU‑Sanktionen ließen sich wirkungsvoller gestalten, indem dafür gesorgt wird, dass gezielte Finanzsanktionen wie das Einfrieren von Vermögen unter EU-Jurisdiktion sich nicht mehr so leicht umgehen lassen. Zu diesem Zweck müssten die Informationen zwischen den Mitgliedstaaten, die für die Umsetzung verantwortlich sind, und der Europäischen Kommission besser fließen, und zwar darüber, bei welchen Finanzinstituten sich wie viel Vermögen gelisteter Einzelpersonen, Einrichtungen und Organisationen befindet, das eingefroren werden könnte. Weiterhin sollten mehr Ressourcen investiert werden, um verlässliche empirische Daten über die erzeugten direkten und indirekten wirtschaftlichen Wirkungen zu erheben. Eine aussagekräftigere Datengrundlage könnte helfen, die politische Debatte über die Vor- und Nachteile von Sanktionen zu versachlichen und dessen gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu stärken, zumal mit Sanktionen unweigerlich auch Kosten für bestimmte Sektoren der eigenen Volkswirtschaften einhergehen. Schließlich müsste schon bei der Ausgestaltung von Sanktionen systematischer darauf geachtet werden, wie weit die damit verknüpften politischen Forderungen jeweils gehen sollten. Im Einzelfall sollten zusätzlich zu den Oberzielen auch konkrete Wegmarken abgesteckt werden, die bereits zu einer (beschränkten) Erleichterung von Sanktionen führen könnten. Damit ließen sich zusätzliche Anreize für Verhandlungen mit den betroffenen Staaten schaffen. Auch könnte die Gefahr zumindest reduziert werden, dass bestimmte Sanktionen sich zum Dauerzustand entwickeln, statt als autonomes, idealerweise aber international abgestimmt einsetzbares Einflussmittel zu wirken.
Grenzen europäischer Handlungsfreiheit zeigen sich beim Umgang mit US-amerikanischen Sanktionen, die die wirtschaftliche und politische Souveränität Europas untergraben. Gegenwärtig zwingt die US-Regierung europäische Unternehmen aus dem gesamtwirtschaftlich eher unbedeutenden Iran-Geschäft, unterminiert aber schon damit die Glaubwürdigkeit der europäischen Außenpolitik. Perspektivisch könnten ähnliche Sanktionen der USA Europas Handlungsspielraum auch gegenüber anderen Ländern einschränken, die die US-Regierung als »Schurkenstaaten« (»rogue states«) oder strategische Konkurrenten unter Druck zu setzen oder zu bestrafen sucht. Dies beträfe dann die für europäische Wirtschaftsinteressen weitaus wichtigeren Märkte Russland und China.
Eine offensive Vorgehensweise könnte sich auf US-Sekundärsanktionen richten, durch die europäische Einzelpersonen, Einrichtungen und Organisationen vom US-Markt ausgeschlossen werden, sofern sie bestimmte Transaktionen mit dem iranischen und dem russischen Energie- oder Rüstungssektor vornehmen. Darauf ließe sich analog mit einem vorübergehenden (Teil-)Ausschluss amerikanischer Unternehmen vom europäischen Markt reagieren. Das widerspräche aber dem europäischen Interesse an einer weiterhin engen, umfassenden transatlantischen Partnerschaft. Die EU hat mit Blick auf die Sanktionen der Vereinigten Staaten gegen den Iran die eigene Abwehrgesetzgebung (Blocking Statute) erneuert und bemüht sich darum, Zahlungskanäle durch die Einrichtung einer Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle) aufrechtzuerhalten. Für die Bedürfnisse internationaler Unternehmen, die Zugang zum US-Finanzmarkt benötigen, geht das Engagement der EU allerdings nicht weit genug, solange der lange Arm der amerikanischen Justiz nicht abgewehrt werden kann und der Euro als Zahlungsmittel und Reservewährung dem US-Dollar nachsteht.
Ein ergänzender und eher defensiv angelegter Einsatz europäischer Wirtschaftsmacht könnte sich in den einzelnen Mitgliedstaaten auf die Neutralisierung amerikanischer Primärsanktionen richten. Mit ihnen wird US-Jurisdiktion direkt auf europäische Einzelpersonen, Einrichtungen und Organisationen angewandt. Bei aufgedeckten Verstößen hat dies empfindliche zivil- und strafrechtliche Folgen. Die Ausdehnung von US-Jurisdiktion über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus ist der wichtigste Hebel, mit dem die Regierung in Washington die Risikoabwägung von Unternehmen beeinflusst und diese zwingt, sich aus bestimmten Märkten zurückzuziehen. Die EU könnte eine solch expansive Auslegung von US-Jurisdiktion unter Berufung auf völkerrechtliches Gewohnheitsrecht zurückweisen. Sie könnte betroffene europäische Unternehmen ermutigen und dabei unterstützen, die globale Reichweite von US-Sanktionen per Klage vor amerikanischen Gerichten anzufechten. Auch wenn solche Prozesse Zeit in Anspruch nähmen, wäre dies ein klares Signal sowohl an die US-Regierung als auch an europäische Unternehmen, dass es hier um die Wahrung geltenden Völkerrechts geht.
Rüstungskontrolle
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sind Kernthemen europäischer Außen- und Sicherheitspolitik. Gerade europäische Diplomatien haben hier ein hohes Maß an Kompetenz entwickelt. Die kooperative Begrenzung von Rüstungspotentialen und die wirksame Kontrolle missbrauchsrelevanter Technologien sind notwendige Ergänzungen einer eigenständigeren militärischen Sicherheitspolitik, weil sie effektiv, präventiv und nachhaltig zur Reduzierung von Bedrohungspotentialen beitragen können. Je handlungsfähiger Europa militärisch wird, desto mehr sollte es daher auch darüber nachdenken, wo es bereit wäre, zugunsten einer kooperativen Regelung auf eigene Fähigkeitszuwächse zu verzichten. Das ist vor allem bei noch nicht verregelten »emerging technologies« wie Cybertechnologien und autonomen Waffensystemen der Fall.
Zweifellos werden Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung in dem Maße schwieriger, wie Schwellen- und Großmächte kooperative Rüstungsbegrenzungen als Einschränkungen nationaler Handlungsfähigkeit ablehnen. Gleichzeitig spiegeln sich in der EU selbst viele globale Interessengegensätze wider, etwa zwischen Atomwaffenstaaten und Nichtatomwaffenstaaten. Immer wenn es den Europäern gelang, diese Konflikte intern zu überbrücken, konnten die erarbeiteten Kompromisse auch globale Wirkung entfalten. Internen Auseinandersetzungen etwa über den Umgang mit dem Atomwaffenverbotsvertrag sollten die EU-Mitgliedstaaten daher nicht ausweichen, wenn sie auch hier als globale Gestaltungsmacht wirken wollen.
Unabhängige europäische Instrumente zur Kontrolle kritischer Technologien, wie zum Beispiel Ausfuhrkontrollen, sind notwendige, aber keine hinreichenden Antworten auf globale Probleme der Proliferation. Strategische Autonomie heißt daher vor allem, eigenständige europäische Initiativen für ein effektives multilaterales Vorgehen zu entwickeln sowie Partner für solche Ansätze zu finden, um diese auch gegen politische Widerstände zu verfolgen. Europäische Politik sollte sich dabei auf Felder konzentrieren, in denen die EU einen konkreten Beitrag zu Erhalt und Ausbau bi- und multilateraler Regime leisten kann. So ist die erfolgreiche Umsetzung des Iran-Abkommens ein Testfall für den Willen und die Fähigkeit der EU, einen wichtigen nichtverbreitungspolitischen Fortschritt auch zu sichern. Scheitert das Iran-Abkommen, sinken die Chancen für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags im Frühjahr 2020.
Die EU sollte ihre 2003 verabschiedete Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen erneuern. Dazu könnte eine europäische Initiative für einen Nichtverbreitungsfonds gehören, der politisch motivierte Zahlungsausfälle von Großmächten ausgleicht. Als Teil einer auf größere Selbständigkeit ausgerichteten Politik kann Europa seine ökonomische Macht zudem dafür einsetzen, nichtverbreitungspolitische Ziele zu erreichen. So könnte es darauf dringen, auch Handels- und Kooperationsabkommen wieder mit Nonproliferationsklauseln zu versehen. Zielkonflikte zwischen rüstungskontrollpolitischen Interessen einerseits, wirtschaftlichen und geopolitischen andererseits werden dabei allerdings nicht ausbleiben.
Internationale Organisationen
Zur strategischen Autonomie gehört auch, dass die Europäer ihr Potential innerhalb des VN-Systems und anderer internationaler Organisationen wirkungsvoller zur Geltung bringen. Internationale Organisationen bilden nicht nur den umfassendsten institutionellen Rahmen multilateraler Kooperation. Sie sind in etlichen Ländern und Regionen auch mitentscheidende Akteure bei der Friedenssicherung, der Wiederherstellung staatlicher Ordnung oder der Umsetzung politischer und wirtschaftlicher Reformen. Eine strategische Partnerschaft der EU mit den VN sowie die trilateralen Treffen beider Organisationen mit der Afrikanischen Union etwa fördern schon heute die Kooperation bei Peacekeeping und Krisenmanagement. Diese Partnerschaft wird dadurch erleichtert, dass VN und EU mit Blick auf die normativen Ziele und Prinzipien internationaler Friedensoperationen grundsätzlich übereinstimmen. Die internationale Wahrnehmung der EU als strategischer Akteur – wahrscheinlich auch ihr Einfluss auf Mandatsentscheidungen und die Gestaltung von VN-Operationen – ließe sich steigern, wenn die Mitgliedstaaten bereit wären, fallweise europäische Krisenreaktionskräfte etwa in Gestalt der EU-Battlegroups zur Unterstützung der VN einzusetzen, gegebenenfalls auch unter VN-Kommando.
Ein ständiger EU-Sitz im VN‑Sicherheitsrat bleibt auf absehbare Zeit unrealistisch.
Mit ihren Stimmrechten und ihrem finanziellen Beitrag nehmen Deutschland und seine europäischen Partner schon heute Einfluss auf Ausgestaltung und Arbeit internationaler Organisationen. Sie könnten aber noch mehr Gewicht bei Entscheidungen erlangen, wenn nationale Stimmrechte stärker europäisiert oder gebündelt würden. Ein ständiger EU-Sitz im VN-Sicherheitsrat bleibt auf absehbare Zeit unrealistisch. Meist nehmen aber zwei, 2019 mit Belgien, Deutschland und Polen sogar drei Mitgliedstaaten einen nichtständigen Sitz ein. Zusammen mit dem ständigen Sicherheitsratsmitglied Frankreich müsste ein Mechanismus gefunden werden, um nicht nur ein kohärenteres Abstimmungsverhalten, sondern auch eine bessere Rückkoppelung mit den anderen EU-Staaten sicherzustellen.
Ähnliches gilt für die Internationalen Finanzorganisationen (IFIs). Pläne der Europäischen Kommission, die Stimmrechte der Euro-Länder im Direktorium des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammenzuführen, sollten schnellstmöglich verwirklicht werden. Damit hätten die Euro-Länder größeres Gewicht im IWF als die USA. Programme der IFIs könnten stärker genutzt werden, um eigene Interessen durchzusetzen. Die IFIs nehmen in verschiedenen Ländern nicht nur Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung, sondern indirekt auch auf andere Politikfelder, vor allem mit Hilfe ihres finanzpolitischen Durchgriffs. Deutschland und seine europäischen Partner sollten daher Reformprogramme des IWF sowie langfristige Entwicklungslinien und Aufbauprojekte der Weltbank sowie weiterer regionaler Entwicklungsbanken als außenpolitisches Werkzeug begreifen. Dabei muss nicht unbedingt auf die Programmausgestaltung selbst eingewirkt werden. Vielmehr bietet es sich an, die Gewährung der meist erforderlichen zusätzlichen Mittel für solche Programme an bilaterale Nebenabsprachen mit dem jeweiligen Empfängerland zu knüpfen, mit denen etwa die Regierungsführung oder die Menschenrechtslage verbessert werden sollen.
Außerdem hat die EU als Exportmacht ein besonderes Interesse daran, dass die globale Ordnung im Handel erhalten bleibt. Die Regierung Trump unterminiert jedoch aktiv die Welthandelsorganisation (WTO) und fördert damit ein opportunistisches Kalkül bei anderen WTO-Mitgliedern, das zur Gefahr für die gesamte globale Wirtschaftsordnung werden könnte. Europa ist hier durchaus konfliktfähig und kann als mächtiger Binnenmarkt auch bei einem Rückzug der USA aus der WTO sein Gewicht zur Geltung bringen. Zwar mag es damals einer hegemonialen Macht bedurft haben, um eine neue internationale Organisation aus der Taufe zu heben, doch ihr Fortbestand ist daran nicht gebunden. Die EU kann mit gleichgesinnten Wirtschaftsmächten wie Australien, Japan, Kanada und Korea eine Koalition zum Erhalt und zur Erneuerung des Regelwerks der WTO bilden. Hier kann sie selektiv auch mit Staaten wie China oder Russland Bündnisse eingehen, wenn an dieser Stelle die Interessen übereinstimmen.
Wirtschaft, Handel, Wettbewerbsfähigkeit
Wirtschaftliche Größe ist eine wesentliche Quelle außenpolitischer Macht. Insofern ist es nicht unerheblich, dass auf die EU zur Zeit noch 21,6 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), 15,2 Prozent des globalen Warenhandels, über 20 Prozent des Dienstleistungsverkehrs und 21,2 Prozent der Auslandsinvestitionen entfallen.
Allerdings gerät die EU gegenüber den beiden anderen großen Weltregionen Nordamerika (USA, Kanada, Mexiko) und Ostasien (Japan, China, Korea, ASEAN) ins Hintertreffen. Das gilt sowohl für die wirtschaftliche Leistungskraft (Nordamerika 27,8 Prozent, Ostasien 26,5 Prozent) als auch die Auslandsinvestitionen (Nordamerika 23,0 Prozent, Ostasien 32,3 Prozent). Auch wenn Europa gegenüber den Globalisierungsgewinnern in Asien weiter an Boden verlieren wird, bleibt es im Weltmaßstab ein wirtschaftlicher Pol. Die ökonomische Wertschöpfung in Europa, die unternehmerischen Entscheidungen und die technologischen Innovationen europäischer Unternehmen besitzen globale Tragweite. Deutschland spielt wegen seiner Wirtschaftskraft, seines breiten industriellen Profils und seiner hohen Außenhandelsquote in einer eigenen Liga innerhalb Europas. Aufgrund der engen außenwirtschaftlichen und konjunkturellen Verbundenheit sind Deutschlands wirtschaftliche Stabilität und Wachstum essentiell für Europas Wohlergehen und seinen Einfluss nicht nur in der Weltwirtschaft, sondern auch in der internationalen Politik.
Wirtschaftliche Stabilität, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas sind nicht garantiert, sondern externen und internen Risiken und Verwundbarkeiten ausgesetzt. Sosehr der hohe Grad weltwirtschaftlicher Verflechtung und Interdependenz den europäischen Staaten und Gesellschaften nutzt, geht er auch mit gelegentlich so genannten Konnektivitätsrisiken einher: Die europäische Wirtschaft ist von verlässlichen Lieferquellen etwa für Energie, Rohstoffe und technologische Komponenten abhängig und durch protektionistische Maßnahmen anderer verwundbar. Das Risiko makroökonomischer Instabilität wurde 2008/09 in der Finanzkrise deutlich, als zeitweise die Kreditmärkte nicht mehr funktionierten, Einkommen, Beschäftigung und Wachstum einbrachen und auch die Bereitschaft abnahm, Schäden innerhalb der Eurozone aufzufangen.
Marktpositionen müssen im globalen Wettbewerb laufend gegen nichteuropäische Konkurrenten behauptet werden, was unternehmerisches Talent und staatliche Standortpolitik immer wieder neu herausfordert. Deutschlands und Europas Wettbewerbsfähigkeit wird ohne leistungsfähiges Humankapital, eine anspruchsvolle Marktnachfrage, ein innovatives Umfeld, eine moderne Infrastruktur und eine zukunftsweisende Regulierung kaum verteidigt werden können. Wirtschaftliche Leistungskraft und technologische Innovationsfähigkeit sind insofern notwendige Voraussetzungen für eine strategische Autonomie Europas.
Als weltwirtschaftlicher Gravitationspol ist der Binnenmarkt eine veritable Machtressource Europas.
Als weltwirtschaftlicher Gravitationspol ist der Europäische Wirtschaftsraum eine veritable Machtressource Europas. Außenwirtschaftliche Interdependenzen sind stets asymmetrisch. Daher haben Europas ökonomische Beziehungen mit seiner Nachbarschaft immer auch eine machtpolitische Komponente. Dies trifft selbst dann zu, wenn es nicht intendiert ist, wie sich etwa beim Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU gezeigt hat. Umgekehrt ist die EU aufgrund ihrer außenwirtschaftlichen Verflechtungen verwundbar. Das gilt besonders im Verhältnis Europas zu den Schwergewichten USA und China, die beide willens und fähig sind, ökonomische Abhängigkeiten aktiv zu nutzen, um politische Interessen durchzusetzen.
Es sind vor allem, aber nicht ausschließlich die USA und China, welche für die EU in allen weltwirtschaftlichen Zusammenhängen sowohl Partner als auch Konkurrenten oder gar Gegenspieler sind.
Binnenmarkt und Handel
Der Binnenmarkt bildet den Integrationskern der EU und ist maßgeblich für den Zusammenhalt der EU nach innen sowie die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit nach außen. Bei Regulierung, Handel und Wettbewerb wird die EU international, gerade auch in den USA und China, schon jetzt als strategischer Akteur wahrgenommen.
In seiner Gesamtheit ist der Binnenmarkt der weltweit größte Absatzmarkt und beeinflusst damit die Welthandelspreise und -mengen. Durch den Binnenmarkt als Inbegriff angleichender Regelsetzung verfügt die EU mehr als jeder andere Akteur über Erfahrung mit handelspolitischen Instrumenten jenseits von Zöllen – und auf diese Weise über tiefgreifende Vorgaben etwa zu Produktionsprozessen und Arbeitsbedingungen. Zurzeit unterhält die EU Handelsabkommen mit mehr als 70 Staaten und führt Verhandlungen mit weiteren 25 Staaten. Mit dem Gewicht des absatzstarken Binnenmarktes kann die EU in ihren bilateralen Abkommen die Regeln des Handels-, Investitions- und Dienstleistungsverkehrs in ihrem Sinne fortentwickeln. Hier verfügt die EU auch über einen Kompetenzvorteil aufgrund ihrer einzigartigen Erfahrungen, die sie im Zuge ihrer Integrationsgeschichte hin zum Binnenmarkt durch die Angleichung großer Regelungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sammeln konnte. Ein aktuelles Beispiel für eine solche Regelfortbildung ist das neue europäische Modell des Investor-Staat-Streitverfahrens, das erstmals im Handelsabkommen mit Kanada (CETA) vereinbart worden ist. Die Rolle der EU als Reform- und Führungsmotor wird gerade von gleichgesinnten Staaten geschätzt, etwa im Umgang mit Vorschlägen zur Reform der WTO und bei der Aufrechterhaltung von WTO-Prinzipien auch gegen die beiden anderen großen Handelsmächte USA und China.
Die exklusive europäische Zuständigkeit für den Handel und die Wettbewerbsregeln, die das Funktionieren des Binnenmarkts gewährleisten sollen, wirkt auch auf die Wahrung der Kohärenz nach innen: Sie erlaubt es der Kommission, die gemeinschaftliche Linie durchzusetzen, etwa gegen nationale Beihilfen an bestimmte Branchen und Unternehmen, die der gemeinsamen Handelspolitik zuwiderlaufen und das externe Auftreten der EU als einheitlicher Akteur schwächen. Der Umgang mit den unterschiedlichen handelspolitischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten wird schwierig bleiben, gerade dann, wenn diese politischem Druck und Einflussnahme von außen ausgesetzt sind.
In der Wettbewerbspolitik verfügt die EU mit der europäischen Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht über ein Instrument, das auch jenseits der Außengrenzen Durchschlagskraft gegenüber marktmächtigen Großunternehmen hat. So musste sich Gazprom in seiner Vertriebspolitik für Mittel- und Osteuropa 2015 den wettbewerbsrechtlichen Auflagen Brüssels fügen. Und gegen Alphabet/Google verhängte die EU-Wettbewerbskommission die Rekordstrafe von 4,3 Milliarden Euro wegen missbräuchlicher Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung des Android-Betriebssystems.
Technologie
Europa ist neben den USA und Nordostasien der dritte große Produzent neuen technischen Wissens. Dabei verfügt Europa über ausgewiesene Stärken, etwa in der Grundlagenforschung und den industriellen Anwendungstechnologien. Es hat aber auch Defizite gerade in zukunftsträchtigen Feldern wie Quantencomputing und datengetriebenen Anwendungen sowie generell im Innovationssystem, nämlich ungünstige Standortbedingungen für schnelles, innovationsgetriebenes Wachstum. So werden Deutschland und Europa auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, den Vorsprung Chinas und Amerikas in der Digitalökonomie aufzuholen. Umso wichtiger bleibt die Fokussierung auf Invention und Innova-tion, denn technologische Fähigkeiten bilden die Grundlage dafür, globales Gestaltungspotential zu schaffen und Abhängigkeiten zu reduzieren. So kann Europa etwa in der Informations- und Kryptotechnik nur dann Einfluss auf Standardisierungsverfahren und Technologienutzung nehmen, wenn es über das nötige Wissen und eine relevante Forschungs- und Industriekapazität verfügt. Als Beispiele seien hier der neue Mobilfunkstandard 5G, Künstliche Intelligenz sowie Robotik/Autonome Systeme genannt. Allerdings ist in vielen Technologiefeldern gerade keine Autonomie, sondern Partizipationsfähigkeit und multilaterale Governance gefragt, um die Potentiale auch im Sinne europäisch-außenpolitischer Interessen auszuschöpfen. Der Bereich der Weltraumtechnologie und des freien Zugangs zum All verdeutlicht die Mischung aus eigenständigen Fähigkeiten (wie die Gemeinschaftsprogramme Galileo und Copernicus der Europäischen Weltraumagentur und der Europäischen Kommission sowie der Zugang zum Weltraum mit Hilfe der Raketentypen Ariane 5/6) und den daraus entstandenen Kooperationsmöglichkeiten wie der Internationalen Raumstation ISS. Gerade weil Europa ein Weltraumakteur geworden ist, wurde es für die USA, Russland und China zu einem gefragten Kooperationspartner.
Energie
Die EU und alle ihre Mitgliedstaaten sind Nettoimporteure für Energie. Die höchsten Importraten weist die EU bei Erdöl mit 87,7 Prozent und bei Erdgas mit 70,4 Prozent auf. Insgesamt genießen die EU-Staaten ein hohes Maß an Versorgungssicherheit dank ihrer Vernetzung, der etablierten Krisenmechanismen, einer gut ausgebauten Importinfrastruktur sowie der Attraktivität des Marktplatzes. Märkte aber sind zyklisch und der Schwerpunkt des globalen Handels verschiebt sich nach Asien. Die global wachsenden strategischen Rivalitäten sind durch eine zunehmende Verschränkung zwischen Sicherheit und Wirtschaftspolitik gekennzeichnet. Mehr strategische Autonomie verlangt deshalb auch energiepolitische Handlungsfreiheit. Dazu gehört eine Debatte über strategisch wichtige Zukunftstechnologien und Infrastrukturen, die nach transparenten Mechanismen und von der EU gesetzten Regeln funktionieren.
Es liegt auf der Hand, dass eine erfolgreiche Energiewende den Handlungsspielraum Deutschlands und der EU erweitert und zudem die Wettbewerbsfähigkeit stärkt. Der Konsens über eine Energietransformation in der EU ist allerdings brüchig, was wiederum ihren Einfluss auf die Normen- und Standardsetzung schwächt.
Russland als größter Energielieferant der EU steht im Zentrum der aktuellen Kontroversen innerhalb der Union. Deutschland als Anlandestaat der Nord-Stream-Pipeline wird von denjenigen kritisiert, die außen- und sicherheitspolitische Erwägungen über energiewirtschaftliche Überlegungen stellen. Nord Stream 2 bringt Berlin in die schwierige Situation, zwischen Wirtschaftlichkeit, Sicherstellung der Grundlastversorgung und Rücksicht auf europäische Partner und Brüssel abwägen zu müssen. Die Interessen- und Deutungskonflikte sind manifest und schwer zu lösen. Deutschlands Glaubwürdigkeit in Bezug auf die europäische Einheit wird sich nur mit deutlichen Diversifizierungsschritten und dem Erhalt des Gastransits durch die Ukraine sichern lassen. Mangelnde Einigkeit der EU kann sich im Verhältnis zu den USA, aber perspektivisch auch zu China als Bumerang erweisen. Gerade im Handelsstreit mit den USA braucht Deutschland die Rückendeckung und Unterstützung der EU.
Euro-Währungsunion
Der Euro ist zum unverzichtbaren Bestandteil des Binnenmarkts geworden. Die gemeinsame Währung erleichtert den Austausch von Waren und Dienstleistungen, sichert Preisstabilität und treibt weitere Bereiche der Integration voran, wie die Bankenaufsicht oder die Regulierung von Finanzdienstleistungen. Der Euro hat dazu beigetragen, dass der Binnenmarkt die globale Finanzkrise von 2008/09 überstanden hat – dass es anders als in der Krise der 1930er Jahre nicht zu wettbewerbsbedingten Abwertungen, zum völligen Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems und zu einer langen und tiefen Rezession kam. Die Europäische Zentralbank (EZB) als eine der stärksten Zentralbanken der Welt erwies sich während der Krise trotz ihrer primären Ausrichtung auf Preisstabilität als flexibel und konnte so Wirtschaftswachstum sowie Haushalts- und Finanzstabilität in der Eurozone unterstützen.
Eine große Herausforderung für eine stabile gemeinsame Währung bleiben jedoch die Vielfalt und die Divergenzen der Länder, die gemeinsam einen der am stärksten integrierten Wirtschaftsräume der Welt bilden. Allein die drei größten Volkswirtschaften des Euroraums sind für 66 Prozent des BIP der EU-19 verantwortlich. Die nördlichen Volkswirtschaften gehören zu den offensten und wettbewerbsfähigsten der Welt, während Südeuropa immer noch mit strukturellen Problemen und den Folgen der Eurokrise zu kämpfen hat. Das unterschiedliche Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung und institutionellen Leistungsfähigkeit, also das anhaltende wirtschaftliche Missverhältnis der europäischen Volkswirtschaften, führt zu sozialen Ungleichheiten. Daraus ist eine Situation entstanden, in der sich die politischen Interessen der Euro-Länder hinsichtlich der Fiskalpolitik, der Geldpolitik oder weiterer wirtschaftlicher Integration nahezu unvereinbar gegenüberstehen.
Der Euro ist die zweitwichtigste Währung im globalen, vom Dollar dominierten Finanzsystem, doch seine internationale Rolle befindet sich seit 1999 auf einem historischen Tiefstand. In den Jahren der Finanzkrise ist bei den Anlegern die Skepsis gegenüber der Integrität der Währungsunion gewachsen. Der wichtigste Grund war die Unsicherheit über die dauerhafte Finanzstabilität einzelner Mitglieder des Euroraums. Ein weiterer Grund waren Zweifel daran, ob die EZB unter erneuten Finanzmarktturbulenzen eigenständig in der Lage wäre, den Euro zu verteidigen. Das europäische Finanzsystem ist bis heute stark von dem der USA und von den Entscheidungen der Zentralbank Federal Reserve (Fed) abhängig. Während der globalen Finanzkrise haben die USA ihre Position als finanzieller Hegemon noch ausgebaut. Die Dollarliquidität, welche die Fed der EZB während der Finanzkrise zwischen 2007 und 2010 gewährte (Devisenswap-Vereinbarung Fed-EZB), lässt sich mit einer militärischen Sicherheitsgarantie im Nato-Kontext vergleichen. Ohne diese Unterstützung wäre das Finanzsystem der EU zusammengebrochen, mit fatalen Konsequenzen für die Unternehmen, die Beschäftigung und das wirtschaftliche Wachstum in Europa und in der Welt.
Politische Kompromisse in der EU sind notwendig, um die institutionelle Architektur des Euroraums zu vollenden und krisenfest zu machen. Hier sollte deshalb auch die Priorität für Deutschland und die EU liegen: Vertrauen in die Irreversibilität des Euro würde dessen internationale Rolle bei Zahlungen, Investitionen, als Reservewährung und bei der Ausgabe von Staats- und Unternehmensanleihen in Euro erheblich unterstützen. Deutschland müsste, wenn es die Eurozone stärken und auf größere Autonomie Europas setzen will, spürbare Zugeständnisse auf mehreren Gebieten gleichzeitig machen, nämlich bei der Schaffung der automatischen Stabilisierung für den Euroraum (Fiskalkapazität) und bei der Vollendung der Bankenunion. Auch eine gemeinsame Emission von Euro-Anleihen gäbe ein deutliches Signal, dass die Währungsunion in Europa unumkehrbar ist. Außerdem sollte der Europäische Stabilitätsmechanismus unabhängiger von der nationalen Politik handeln.
Eine Stärkung der globalen Rolle des Euro wird nicht ohne Änderungen des deutschen Wirtschaftsmodells zu haben sein.
Ein weiterer Anstieg des Euro-Anteils bei grenzüberschreitenden Zahlungen könnte Europa unabhängiger vom amerikanischen Finanzsystem machen und so auch eigene Unternehmen vor dem extraterritorialen Zugriff von US-Sanktionen schützen. Dabei ist zu beachten, dass eine stärkere globale Rolle des Euro oder eine dominierende Rolle bei globalen Zahlungen und Devisenreserven zu einer kontinuierlichen Aufwertung des Euro führen dürften. Dies wiederum könnte die exportorientierten Wirtschaften einiger nördlicher Mitglieder der Eurozone zumindest zeitweise belasten. Das heißt auch, dass eine Stärkung der globalen Rolle des Euro nicht ohne Änderungen des deutschen Wirtschaftsmodells zu haben sein wird, und zwar weniger Exportabhängigkeit des Produktionssektors, stärkere Entwicklung des Finanzdienstleistungssektors sowie Förderung digitaler Innovationen und einer Start-up-Kultur. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verlangt zudem öffentliche Investitionen, nicht zuletzt in Infrastruktur, Informations- und Kommunikationstechnologie und Bildung. Diese Schritte hätten damit erhebliche politische und finanzielle Kosten für Deutschland zur Folge.
Will also die EU den Euro als Leitwährung aufbauen, muss sie erst noch wichtige Voraussetzungen schaffen, nämlich den Euro stabiler machen, eigene europäische sichere Anleihen ausgeben und Haftungsrisiken aufteilen. Zu einer stabilen internationalen Leitwährung gehört außerdem historisch betrachtet immer auch eine starke militärische Kapazität – der politische Wille und die Fähigkeit, die Interessen des gemeinsamen Währungsraums notfalls mit einer Armee zu verteidigen.
Strategische Autonomie Europas in einer multipolaren Weltordnung
Europa muss seine strategische Autonomie in einer multipolaren Weltordnung entwickeln und behaupten. Deshalb ist es relevant, wie die Europäer ihre Beziehungen zu Schlüsselakteuren – den USA, China und Russland, aber auch mittleren und aufstrebenden Mächten – gestalten und wie diese Akteure sich selbst gegenüber einem strategisch autonomeren Europa positionieren.
Die Beziehungen zwischen den Europäern und diesen Akteuren reichen von Allianz und Partnerschaft bis zu Konkurrenz und Konfrontation; die Bandbreite der Handlungsformen erstreckt sich von Integration und Kooperation bis zu Entflechtung und Gegenmachtbildung. Die Machtverhältnisse spiegeln sich in einem unterschiedlichen Grad von Symmetrie und Dependenz zwischen den verschiedenen Polen wider. Europa definiert sich mit dem Anspruch der strategischen Autonomie selbst als Pol in einer ungefestigten multipolaren Weltordnung, die immer stärker von einer sino-amerikanischen Rivalität bestimmt wird.
USA
Auch unter Präsident Trump sind die USA der bevorzugte und wichtigste Partner der Europäer. Für ihre Verteidigung und Sicherheit sind die USA sogar unverzichtbar, solange Europa nicht selbst gewaltige Anstrengungen in diesem Bereich unternimmt. Zugleich fordert aber Trumps Leitmotiv »America First« und seine disruptive und erratische Außenpolitik Europa dazu heraus, europäische Interessen stärker selbst zu definieren und zu schützen. Das Streben nach strategischer Autonomie hat jedoch davon abgesehen strukturelle, tiefer liegende und langfristige Gründe. Selbst wenn Trump 2020 nicht wiedergewählt würde, wäre es kurzsichtig von den Europäern, auf ein bloßes Wiederanknüpfen an alte Zeiten der transatlantischen Zusammenarbeit zu setzen und in alte Verhaltensmuster des Juniorpartners zurückzufallen. Zuletzt unterstrich der US-amerikanische Außenminister Pompeo im Dezember 2018 bei einer Rede in Brüssel, dass Donald Trumps kritische Sicht auf multilaterale Formate im Allgemeinen und die EU im Besonderen nunmehr in weiten Teilen seiner Administration geteilt wird. Nur in einer ausgewogeneren transatlantischen Partnerschaft kann Europa seine Interessen so wahrnehmen, wie es die USA auf der anderen Seite für sich beanspruchen. Deshalb müssen sich Europa und Deutschland auf vermehrte Kontroversen, offenere und strittigere Debatten und auch Konflikte mit den USA einstellen.
Die USA blicken dabei auch unter der Präsidentschaft Trumps mit einer Mischung aus Skepsis und Ablehnung auf die Idee einer strategischen Autonomie Europas im sicherheitspolitischen Bereich. Frühere Debatten über eine mögliche Abkopplung Europas von der Nato sind in Washington zwar weitgehend verstummt. Die Grundsätze von »America First« würden zudem nahelegen, dass die USA der Idee größerer europäischer Eigenständigkeit im sicherheitspolitischen Bereich eher offener gegenüberstehen. Doch die USA – das Pentagon und die restliche Administration sicher mehr als Präsident Trump selbst – wollen ihren Einfluss auf europäische Sicherheitspolitik, ihren Zugang zu europäischen Stützpunkten als Sprungbrett erhalten. Verstärkt wird die Skepsis gegenüber europäischer Autonomie, wenn europäische Initiativen, wie die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik, aus Sicht Washingtons dazu dienen können, amerikanische Rüstungsfirmen aus dem lukrativen europäischen Markt herauszuhalten.
Die Debatte über Strafzölle ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich ein bedrohlicher Konflikt über die Zukunft der WTO.
Im Gegensatz zur Sicherheitspolitik ist das Kräfteverhältnis zwischen den USA und Europa im wirtschaftlichen Bereich heute nahezu ausgeglichen, wenn man das Gesamtbild von Handel mit Waren und Dienstleistungen und auch die Investitionen betrachtet. Für Spannungen sorgen unter der Regierung Trump jedoch die Handelsbilanzüberschüsse der EU gegenüber den USA im Warenbereich. Trump favorisiert Einfuhrzölle auf einzelne Waren, um das aus seiner Sicht ungerechte US-Defizit umzukehren und die Europäer zu höheren Einfuhren amerikanischer Waren zu bringen. Die Debatte über Strafzölle ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Darunter verbirgt sich ein bedrohlicher Konflikt über die Zukunft der Welthandelsorganisation (WTO), die von der US-Regierung aktiv unterminiert wird und deren Regeln andere Länder, allen voran China, seit Jahren ignorieren.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Sanktionspolitik. Die USA nutzen hier zunehmend die finanzpolitische Abhängigkeit der Europäer, um mit Sekundärsanktionen sowohl außenpolitische als auch unternehmerische Interessen Europas zu konterkarieren. Wenn die EU den Euro als Reservewährung aufbauen will, etwa um eigene Unternehmen vor dem extraterritorialen Zugriff von US-Sanktionen zu schützen, muss sie erst wichtige Voraussetzungen schaffen. Gewinnt die EU auf diese Weise mehr finanzielle Eigenständigkeit, könnte sie den Euro stärker als Instrument einsetzen, um eigene außenwirtschaftliche und außenpolitische Ziele zu erreichen. Zu erwarten ist, dass Washington darauf ablehnend reagiert. Präsident Trump sieht in der EU offensichtlich zunehmende Konkurrenz. Denkbar ist aber auch, dass US-Regierungen wegen der steigenden Bedeutung des Renminbi und des weltweit wachsenden chinesischen Einflusses auf Märkte und Regierungen künftig daran gelegen sein könnte, die Position des Euro als Gegengewicht zu stärken.
Im Konflikt zwischen den USA und China zeigt sich besonders deutlich das Interesse Washingtons, weiterhin auf Wirtschafts- und Sicherheitspolitik der EU Einfluss zu nehmen. Die Trump-Administration verfolgt offenbar das Ziel, den hegemonialen Rivalen China wirtschaftlich einzudämmen und seinen technologischen Wandel aufzuhalten. Große Teile der US-Administration, besonders der Nationale Handelsrat, der Nationale Sicherheitsrat und das Pentagon, setzen auf wirtschaftliche Abkopplung der USA von China, um so die wirtschaftlich-technologische und damit auch die sicherheitspolitische Verwundbarkeit zu reduzieren, die sich aus der bestehenden Interdependenz ergibt. Washington erhöht weiter den Druck auf seine Verbündeten einschließlich der EU, sich in den wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen klar auf die Seite der USA zu stellen. Sollte Washington von Europa fordern, sich gleichfalls von China abzukoppeln, wären wirtschaftliche Interessen der EU empfindlich verletzt, da die Volksrepublik einen Wachstumsmarkt und eine Quelle wirtschaftlicher Innovationen und künftiger Entwicklungen bildet. Zudem leisten chinesische Exporte nach Europa und Investitionen in der EU einen wachsenden Beitrag zur europäischen Wirtschaft und zum Binnenmarkt.
In einer Zeit der Ungewissheit über den Kurs der US-Außenpolitik und des Wandels im internationalen System ist es für Deutschland vernünftig, im europäischen Verbund eine Politik der strategischen Risikoabsicherung zu entwickeln und die eigenen außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Auch wenn strategische Autonomie allenfalls langfristig und annäherungsweise zu verwirklichen ist, lassen sich bereits heute aus der Maxime strategischer Risikoabsicherung einige Folgerungen für den Um-gang mit den USA ableiten. Strategische Risikoabsicherung kann je nach Konflikt- und Interessenkonstellation in eine Politik wirtschaftlicher und diplomatischer Gegenmachtbildung (hard balancing) münden. Ein Beispiel wäre die Nutzung internationaler Institutionen, um einseitige Machtausübung der USA einzuhegen. Eine weichere Form der Ausbalancierung (soft balancing) kann heißen, selbst internationale Führungsleistungen in jenen Politikfeldern zu erbringen, in denen die USA eher blockieren als initiieren, etwa der Klimapolitik. Schließlich kann strategische Risikoabsicherung auch den Schulterschluss (bandwagoning) mit den USA bedeuten. Dieser ist zweifellos sinnvoll, wenn das amerikanische Vorgehen mit den eigenen Interessen übereinstimmt bzw. wenn die amerikanische Politik im eigenen Sinne beeinflusst werden kann.
Deutsche und europäische Politik muss auch die Kosten einer größeren Autonomie gegenüber den USA berücksichtigen.
Unabhängig davon, welchen Kurs deutsche und europäische Politik einschlägt, muss sie jeweils die Kosten einer größeren Autonomie gegenüber den USA benennen und berücksichtigen. Das gilt für die Verteidigungspolitik ebenso wie für die Finanz- und Wirtschaftspolitik und die Beziehungen zu China. Zu diesen Kosten gehört die Gefahr einer europäischen Spaltung. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt, dass transatlantische Konflikte wie über den Irak-Krieg 2003 immer auch innereuropäische Spaltungen nach sich gezogen haben. Vor allem ein Balancing gegenüber den USA, selbst wenn es auf Einzelfälle wie das Iran-Abkommen begrenzt bleibt, macht es daher zwingend notwendig, dass sich die Europäer zuvor auf eine unumstößliche gemeinsame Position verständigen.
China
Vor dem Hintergrund des heraufziehenden Großmachtkonflikts zwischen Washington und Peking entwickelt sich das Kräfteverhältnis zwischen China und der EU bzw. ihren Mitgliedstaaten immer asymmetrischer zu Ungunsten Europas. Lediglich in der Handels- und teilweise in der Investitionspolitik kann die EU China ein von Peking respektiertes Eigengewicht entgegensetzen.
Europa ist für China in vielerlei Hinsicht von eminenter Bedeutung: wirtschaftlich als wichtigstes Lieferland und zweitwichtigster Exportmarkt, technologisch als Lieferant von Blaupausen und Hochtechnologie, institutionell als Rollenmodell, politisch, um eigene Zwecke gegenüber Drittstaaten und vor allem den USA zu verfolgen, sowie selektiv als Partner, etwa bei der globalen Gesundheit und der Stabilisierung von Drittregionen. Während China im Gegensatz zu Russland und den USA ein grundsätzliches Eigeninteresse am Fortbestand und der Kohärenz der EU als Akteur in einer multipolaren Welt hat, verfolgt es in der Praxis eine Politik des »Teile und herrsche«. China bevorzugt oder bestraft einzelne EU-Staaten selektiv, und zwar abhängig von ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung und in Reaktion auf das von China erwartete Wohlverhalten in wichtigen Fragen. Dazu zählen zum Beispiel Rüstungsexporte nach Taiwan, Treffen mit dem Dalai Lama oder die Haltung zu den Uiguren, zur Situation der Menschenrechte in China und zum Südchinesischen Meer. Dabei interagiert China mit Europa auf allen Ebenen, sei es politisch, wirtschaftlich, technologisch, kulturell oder akademisch. Es nutzt und initiiert dazu diverse politische Beziehungskanäle, etwa strategische Partnerschaften mit der EU und einzelnen EU-Mitgliedstaaten, Dialogformate wie das mit 16 mittel- und osteuropäischen Ländern (16+1) sowie hochrangige bilaterale Regierungskonsultationen mit Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Chinas Erwartung, dass sich die EU zu einem eigenständigen und vollgültigen Akteur in der Weltpolitik und als Gegengewicht der USA mausern wird, ist gesunken. Sollte die EU oder Europa tatsächlich Anstrengungen in Richtung strategischer Autonomie unternehmen, wäre dies China willkommen, sofern diese sich nicht in einer härteren Haltung gegenüber dem Land manifestiert oder gar darauf konzentriert.
Europa hat keine belastbare außenpolitische Position im geopolitischen Ringen Amerikas und Chinas um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum.
Die europäische Politik ist sich zwar prinzipiell der großen politischen und strategischen Bedeutung Chinas bewusst. In bilateralen Kontexten streben die Mitgliedstaaten aber vor allem danach, China als Quelle für wirtschaftliches Wachstum und als Möglichkeit wirtschaftlicher Diversifizierung zu nutzen, sowohl als Exportmarkt wie als Investor. Die politischen Interessen Europas – Frieden und Stabilität in Ostasien, Chinas globale Beiträge für Stabilität, Entwicklung, Umwelt, Klima, Eindämmung der Proliferation, Verbesserung der Menschenrechtssituation in China – werden demgegenüber oft als nachrangig behandelt und auch nur von einem Teil der EU-Mitgliedstaaten überhaupt verfolgt. Europa verfügt über keine belastbare gemeinsame außenpolitische Position im geopolitischen Ringen Amerikas und Chinas um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum. Auch fehlt es an einer klaren Haltung zu Chinas autoritären, paternalistischen Ordnungsvorstellungen. Selbst in Handels- und Investitionskonflikten vermag Europa nicht zu einer einheitlichen Linie zu finden. Zu heterogen sind Status, Profile und Interessen der EU-Mitgliedstaaten im Verhältnis zu China: Was die wirtschaftlichen Beziehungen anbelangt, verläuft ein Graben zwischen denjenigen, die für China als Industrie- und Technologiepartner attraktiv sind, und jenen, die untereinander als Bittsteller in Peking konkurrieren. Einige Länder haben ein erklärtes Interesse an internationaler Ordnungspolitik. Großbritannien und Frankreich unterhalten darüber hinaus eine eigene militärische Präsenz in Asien.
Nur ein politischer Konsens über die eigenen strategischen Interessen in Bezug auf China würde ein strategisches Handeln Europas gegenüber China ermöglichen. Dazu bedarf es einer stärkeren Priorisierung der europäischen China-Politik jenseits der aktuellen außenpolitischen Problemlagen. Die Initiative dazu müsste gemeinsam von Paris, Berlin und London ausgehen. Am wichtigsten ist es, die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit Europas gegenüber Chinas Staatswirtschaft unter Beweis zu stellen. Ferner sollte das außenwirtschaftliche Förderinstrumentarium so weit ausgebaut werden, dass europäische Unternehmen in der Lage sind, in Drittstaaten wettbewerbsfähige Infrastrukturinvestitionen anzubieten, auch um der chinesischen Belt and Road Initiative etwas entgegensetzen zu können.
Russland
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump ist die transatlantische Koordination der Russlandpolitik weitgehend zusammengebrochen. Zwischen der vom Weißen Haus zur Schau gestellten Offenheit für einen umfassenden »Deal« mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Versuchen des Kongresses in Washington, den außenpolitischen Spielraum des US-Präsidenten gegenüber Russland einzuschränken, ist die Abstimmung mit den europäischen Verbündeten ins Hintertreffen geraten. Diese Entwicklung wird von der zunehmenden extraterritorialen Anwendung von US-Sanktionen überlagert, die bereits vor Trumps Präsidentschaft begonnen hat.
Vor diesem Hintergrund ist mehr strategische Autonomie für Europa im Verhältnis zu Russland besonders wichtig. Gleichzeitig zeigen sich gerade in diesem Verhältnis erhebliche Zielkonflikte. Russland bleibt eine mehrdimensionale Herausforderung, die die EU bzw. die europäischen Staaten auf absehbare Zeit nicht allein bewältigen können. Wird die US-amerikanische Sicherheitsgarantie abgeschwächt, bevor Europa seine eigenen Fähigkeiten stärken kann, drohen der EU daher neue Verwundbarkeiten, die Russland nicht nur an den Außengrenzen der Union, im Baltikum etwa, testen könnte. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben heute auch keine ausreichenden eigenen Möglichkeiten, Russland von einer aggressiven und risikobereiten Durchsetzung seiner Interessen in der gemeinsamen Nachbarschaft abzuhalten.
Zwar überschneiden sich europäische und russische Positionen zu einzelnen Fragen wie dem Iran-Nuklearabkommen und US-amerikanischen Sekundärsanktionen. Allerdings besteht keine darüber hinausgehende, strategische Übereinstimmung mit Russland. Als Partner für ein nach eigenständiger Gestaltungskraft strebendes Europa bietet sich das Land daher nicht an. Mehr eigenen Einfluss auf die Beziehungen zu Russland kann die EU deshalb eher über die Neuausbalancierung der transatlantischen Koordination erreichen, weniger über ihre weitere Lockerung.
Moskau steht dem Streben der EU nach größerer strategischer Autonomie ambivalent gegenüber.
Moskau steht dem Streben nach einer größeren strategischen Autonomie der EU bzw. Europas ambivalent gegenüber. Einerseits werden die seit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump entstandenen Risse im transatlantischen Bündnis als Beginn der anvisierten »postwestlichen« Weltordnung begrüßt. Darin sieht Moskau die Chance auf Verwirklichung des von ihm vertretenen Ordnungsmodells – eines multipolaren »Konzerts der Großmächte«, in dem internationale Großmächte wie Russland, China, die USA und einzelne, bedeutende europäische Staaten ihre globalen Interessenkonflikte ohne Rücksichtnahme auf die übrigen, kleineren Staaten regeln. Für einen an multilateralen Regelwerken orientierten Akteur wie die EU wäre in einer solchen Weltordnung wenig Platz.
An europäischer Autonomie ist Russland daher nur im Sinne einer Abspaltung von den USA und der Nato interessiert, auch weil es sich zu Washington in einem von strukturellem Antagonismus geprägten Verhältnis sieht. Kein Interesse hat Moskau dagegen an einer größeren europäischen Handlungsfähigkeit. Die derzeitige Erosion der transatlantischen Partnerschaft (in Kombination mit dem Brexit und dem Aufstieg EU-kritischer Parteien in Europa) interpretiert Moskau eher als Symptom einer weiter reichenden Zersplitterung des Westens, nicht als Beginn neuer europäischer Eigenständigkeit. Der Kreml ist daran interessiert, diesen Prozess zu beschleunigen und diejenigen Länder und politischen Kräfte, bei denen er Potential für Kooperation sieht, weiter aus dem EU-Kontext herauszulösen. Russland könnte einem nach Autonomie strebenden »Kerneuropa« auf sicherheitspolitischer Ebene (im Zusammenhang mit einer »europäischen Sicherheitsordnung«) und zum Teil auch auf wirtschaftlicher Ebene (gemäß Putins Offerte eines »Wirtschaftsraums Lissabon-Wladiwostok«) neue Angebote machen, um das Gewicht amerikanischer »hard power« in Europa zu verringern. Mögliche Vorschläge wären russische Unterstützung für GSVP-Missionen außerhalb Europas, zum Beispiel in Mali, sowie mehr Kooperation bei der Stabilisierung Libyens oder beim Konfliktmanagement in Syrien.
Beim Aufbau eigener Handlungsfähigkeit und Kapazitäten auf EU-Ebene ist hingegen eher mit Widerstand aus Moskau zu rechnen als mit ernst gemeinten Kooperationsangeboten. Vor allem in den Staaten der Östlichen Partnerschaft bleibt die EU schließlich aus russischer Perspektive ein Kontrahent, der Moskaus hegemonialen Ansprüchen im Wege steht. Wichtige Voraussetzung für mehr europäische Autonomie ist daher auch eine stärkere Immunisierung der EU-Staaten gegen russische Einflussnahme auf medialer, partei- und minderheitenpolitischer sowie geheimdienstlicher Ebene. Dies kann dazu beitragen, die Bedenken mittel- und osteuropäischer EU‑Staaten gegen das Projekt strategischer Autonomie zu reduzieren. Des Weiteren müsste ein strategisch autonomes Europa auch eine einheitliche wirtschafts- und energiepolitische Position vertreten, um weniger Angriffsfläche für spaltende Angebote aus Moskau zu bieten. Hierzu gehört besonders die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2.
Der russisch-europäische Handel und die beidseitigen Investitionen sollten, soweit möglich, stärker vor der gegenwärtigen Unberechenbarkeit der US-Sanktionen abgeschirmt werden. Ein Teil der Lösung ist hier, die Güter- und Kapitalmärkte zwischen Europa und Russland teilweise aus der Dominanz des US-Dollars zu lösen. Russland und andere sanktionierte Staaten wie Iran und Venezuela sind sehr daran interessiert, dollarfreie Zahlungssysteme und Rohstoffmärkte aufzubauen. Aufgrund der deutlich engeren Verflechtung Europas mit der US-amerikanischen Wirtschaft kann dies allerdings nur punktuell, etwa bei der Finanzierung von Investitionen in Russland, und unter hohen Transaktionskosten umgesetzt werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich die Beziehung zu Washington damit verschlechtert. Wenn die EU sich für Schutzmechanismen wie eine spezielle Russland-(und Iran-)Bank oder die Anwendung des Blocking Statute entscheidet, sollte dies im Sinne eines »agree to disagree« für die amerikanische Seite stets nachvollziehbar und transparent sein.
Deutschland bleibt wegen seiner engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und seines großen innereuropäischen Gewichts auch weiterhin der bedeutendste Ansprechpartner für Moskau innerhalb der EU. Deshalb trägt es bei jedem Schritt, den Europa in Richtung strategische Autonomie geht, eine besondere Verantwortung für die sichere Navigation in diesen Zielkonflikten. Auf der einen Seite gilt es, den Dialog mit Russland weiter zu pflegen und sinnvolle Kooperationsbeziehungen fortzuführen. Auf der anderen Seite ist die Kohärenz der EU einschließlich ihrer östlichen Mitgliedstaaten Grundlage der außenpolitischen Handlungsfähigkeit. Es ist daher wichtig, in den Dialog mit Russland stets auch die östlichen Nachbarn einzubinden. Gerade wegen der engen Verbindungen nach Russland kann Deutschland hier den größten Beitrag zum Aufbau eines strategisch autonomeren Europas leisten.
Mittlere und aufstrebende Mächte
Das Streben nach mehr strategischer Autonomie teilt Deutschland mit einer Reihe anderer mittlerer und aufstrebender Mächte im internationalen System, die sich ebenfalls herausgefordert sehen, ihren Platz in der sich wandelnden internationalen Ordnung zu definieren, und ihr Gewicht und ihre Interessen wirkungsvoll einbringen wollen. Anders als Deutschland sind sie jedoch nicht Teil eines der EU vergleichbaren Staatenverbunds, in dessen Rahmen sie das Ziel verfolgen könnten, ihre strategische Autonomie zu verwirklichen. Mittelmächte haben per definitionem weder die notwendigen ökonomischen noch die militärischen Machtressourcen, um internationale Politik völlig eigenständig entsprechend ihren Interessen zu gestalten. Sie verfügen jedoch über ausreichende Machtressourcen, um regional außen- und sicherheitspolitisch gestalterisch tätig zu werden. Zudem eint sie meist die Präferenz für multilaterale Kooperation in internationalen Institutionen, ziviles Konfliktmanagement und eine regelbasierte internationale Ordnung, die Hegemonialmächte wie die USA oder China einhegt.
Staaten wie Australien, Brasilien, Kanada, Indien, Indonesien, Japan, Mexiko oder Südkorea können daher die eigene strategische Autonomie im Wesentlichen über drei Wege vergrößern. Erstens können sie auf internationalem Parkett, zum Beispiel über das G20-Forum, Agenden bestimmen und Normen (weiter-)entwickeln. Dabei können sie nicht nur die eigenen Interessen vertreten, sondern auch als Vermittler zwischen den divergierenden Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern fungieren, wie das Beispiel Klimapolitik zeigt. Zweitens können sie ihre Gestaltungsmacht stärken, indem sie eigene Netz-werke und Koalitionen bilden. Somit können sie drittens ihre Außenpolitiken in bestimmten Politikbereichen enger koordinieren, um im Verbund internationale Gestaltungskraft unabhängig von der Unterstützung durch Großmächte zu demonstrieren.
Einer intensiveren internationalen Kooperation von Mittelmächten sind derzeit (noch) enge Grenzen gesetzt.
Einer intensiveren internationalen Kooperation von Mittelmächten sind derzeit jedoch (noch) enge Grenzen gesetzt. Da wäre zunächst das Verhältnis zu den USA zu nennen. Einige dieser Mittelmächte sind sicherheitspolitisch wie wirtschaftlich eng mit den Vereinigten Staaten verbunden. Das dürfte die Herausbildung eigener Positionen und Politiken politisch kostspielig werden lassen, vor allem wenn die betreffenden Länder sich damit de facto von den USA abgrenzen. Auch umfasst die gemeinhin als Mittelmächte klassifizierte Gruppe von Staaten eine äußerst heterogene Ansammlung. Über sehr allgemeine Bezugspunkte wie Multilateralismus und eine regelbasierte Ordnung hinaus unterscheiden sich Staaten wie die Türkei oder Indonesien in ihrer normativen Ausrichtung wie in ihren Interessen teilweise sehr stark von Ländern wie Deutschland oder Kanada. Auch lassen sich deutliche Divergenzen bei der Einhaltung des internationalen Rechts ausmachen. Nicht zuletzt bestehen zwischen den mittleren Mächten genauso unterschiedliche Ansichten darüber fort, welche Teile der liberalen internationalen Ordnung, als reformbedürftig gelten und welche erhalten werden sollen, zum Beispiel in den VN oder der WTO.
Angesichts dieser Heterogenität mittlerer und aufstrebender Mächte weichen auch ihre Positionen und Beziehungen zur Europäischen Union fundamental voneinander ab. Die EU hat neben den Großmächten USA, China und Russland sieben mittlere und aufstrebende Mächte zu strategischen Partnern erklärt. Bis dato ist die EU in diesen Beziehungen aber dem Ziel »strategischer« Partnerschaften kaum gerecht geworden und hat weder das Konzept konkretisiert noch die Erwartungen der Partner erfüllt. Eine EU mit dem Ziel größerer strategischer Autonomie müsste sich daher auch in die Lage versetzen, diese Beziehungen mit Inhalten zu füllen und tragfähige Vereinbarungen zu treffen.
Es ist durchaus sinnvoll, auf eine Allianz – oder vielleicht richtiger: ein Netzwerk – multilateral gesinnter Akteure zu setzen, die das vitale Interesse Deutschlands und der EU an einer regelbasierten internationalen Ordnung teilen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass manche der in vielen Fragen gleichgesinnten Wunschpartner wie etwa Indien oder Südafrika nicht einfach für eine Agenda zu vereinnahmen sind, die den Erhalt der internationalen Ordnung in den Vordergrund stellt, sondern selbst eine Reform dieser Ordnung anmahnen. Das bezieht sich nicht zuletzt auf Sitze und Stimmrechte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Viele Partner würden mit den Europäern für wirksamen weltweiten Klimaschutz, starke internationale Organisationen, die Geltung globaler Übereinkommen und Nachhaltigkeitsziele sowie gegen protektionistische Einschränkungen der freien Welthandelsordnung eintreten. Dieselben Partner sind indes sehr viel skeptischer, wenn es um Elemente der »liberalen« Ordnung wie den Internationalen Strafgerichtshof geht. Eine Koalition für den Multilateralismus muss sich deshalb von Beginn an als Reformbündnis verstehen, das nicht nur multilaterale Arrangements enthält, sondern Konsens über deren Reform- und Entwicklungsmöglichkeiten sucht.
Schlussfolgerungen
Strategische Autonomie in einem umfassenden Sinne zu verwirklichen ist nach allem, was wir in den vorhergehenden Kapiteln dargelegt haben, für die Europäer ein politisch und praktisch anspruchsvolles Unterfangen. Es ist zudem keineswegs ausgemacht, dass sich Schlüsselländer wie Frankreich und Deutschland, aber auch Polen, Italien und Spanien diesem Ziel verschreiben und es konsequent verfolgen werden. Überdies manövriert sich Großbritannien mit dem Brexit in eine Randposition. Dabei gibt es in Europa sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was strategische Autonomie sein soll und sein kann. Gerade deshalb ist es wichtig, dass die deutsche Politik eine reflektierte Haltung entwickelt, in der sie Ziel und Zweck strategischer Autonomie Europas klar formulieren und vertreten kann. Dafür können auf der Basis unserer Analyse sechs Leitlinien empfohlen werden:
Erstens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie Europas ist notwendig, um auf der Grundlage eigener Werte und Interessen das internationale Umfeld mitzugestalten und nicht bloß Empfänger strategischer Entscheidungen anderer zu sein. Sie ist somit Voraussetzung für eine wirksame Mitgestaltung der politischen Ordnungsstruktur in der direkten Nachbarschaft wie auf globaler Ebene.
Ein Anti-Trump-Reflex allein greift als Begründung für mehr strategische Autonomie Europas zu kurz.
Ein Anti-Trump-Reflex allein greift als Begründung für die notwendigen Anstrengungen zur Stärkung der strategischen Autonomie Europas zu kurz. Spätestens seit Ende des Kalten Krieges haben alle US‑Regierungen mehr oder weniger deutlich gefordert, dass Europa sich mehr um seine eigene Sicherheit und um Stabilität in seinem eigenen geostrategischen Umfeld kümmern solle. Dies gilt umso mehr, als die geographischen Prioritäten amerikanischer Sicherheitspolitik sich immer mehr auf andere Regionen beziehen dürften als auf Europa. Dabei handelt es sich um das Mittelmeer, Afrika und möglicherweise auch den Mittleren Osten, also Europas weitere geographische Nachbarschaft. Hier sollte und muss Europa in der Lage sein, nicht nur politisch und wirtschaftlich eigene Prioritäten zu setzen, sondern Krisen und Stabilisierungsaufgaben aus eigener Kraft und mit einem umfassenden Ansatz anzugehen, der die notwendigen und passenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Instrumente zusammenbringt.
Die Triebkraft für strategische Autonomie sollte also kein europäisch oder neudeutsch verbrämter Nationalismus sein. Strategische Autonomie für Europa kann und sollte auch nicht mit dem Anspruch verbunden werden, im Alleingang internationale Politik zu betreiben oder sich von den USA abzukoppeln. Vielmehr bleiben die liberalen Werte, wie sie im Grundgesetz und im EU-Vertrag mit Blick auf die demokratische Verfassung im Innern und die Außenbeziehungen festgeschrieben sind, der Maßstab für Deutschland und seine europäischen Partner im Streben nach größerer strategischer Autonomie. In ihren Diskursen wie in der Praxis sollten sich die Europäer wahrnehmbar von jenen Kräften unterscheiden, die gemeinsame Regeln missachten und multilaterale Kooperation systematisch geringschätzen oder unterminieren.
Zweitens: Eine Entwicklung in Richtung auf mehr strategische Autonomie ist dringend, weil sich Europa schon heute in einer neuen multipolaren Konstellation des internationalen Systems behaupten muss. US-Präsident Trump und seine Politik sind eher Symptom als Ursache dieser neuen weltpolitischen Konstellation, in der sich Machtzentren und Machtrelationen zwischen den USA, China, Russland und Europa neu ordnen. Die Europäer können nicht mehr mit höchster Zuversicht auf die amerikanische Sicherheitsgarantie und den normativen Schulterschluss mit den USA vertrauen.
Welche Rolle die Europäer in dem neuen Koordinatensystem spielen und wie sie die internationale Ordnung zu gestalten vermögen, hängt wesentlich von ihrer eigenen Stärke ab. Washington, Peking und Moskau stehen einem strategisch autonomeren Europa ambivalent oder gar ablehnend gegenüber. Alle nehmen die EU als Handels- und Regulierungsmacht ernst. Sie sehen aber zugleich deren Schwächen im Hinblick auf Handlungs- und Konfliktfähigkeit, nicht nur, aber besonders im militärischen Bereich. Sie nutzen die Interessengegensätze unter den Europäern ebenso aus wie deren Exportabhängigkeit oder sicherheitspolitische Verwundbarkeit.
Andere Großmächte werden nicht warten, bis sich die Europäer innenpolitisch sortiert haben.
Andere Großmächte werden nicht warten, bis sich die Europäer innenpolitisch sortiert haben. Sie sehen sich mehr oder weniger explizit als strategische Konkurrenten und werden dabei versuchen, Europa für eigene Ziele einzuspannen, auseinanderzudividieren und ihm ihre eigenen Regeln aufzuzwingen. Die Überwindung europäischer Schwächen und Fähigkeitslücken erfordert es, so rasch wie möglich die Weiche für mehr strategische Autonomie zu stellen.
Unter allen großen Mächten stehen die USA den Europäern politisch immer noch am nächsten, im Bereich der Sicherheitspolitik sind die USA der unverzichtbare Partner. Doch hat sich ein Schatten der Ungewissheit und Unberechenbarkeit auf die transatlantischen Beziehungen gelegt, und die Konfliktthemen häufen sich. Sosehr Europa daran interessiert ist, die Grundlagen und die Handlungseinheit des politischen Westens auch in der Zukunft zu wahren und zu entwickeln, muss es eine Amerikapolitik betreiben, die aktiv auf eine stärkere Symmetrie in den Beziehungen hinwirkt und die eigenen außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten sukzessive vergrößert. Entlang der Maxime der strategischen Risikoabsicherung wäre ein differenziertes Vorgehen angemessen: Wo immer dies auf Grundlage der gemeinsamen Werte und übereinstimmender oder kompatibler Interessen möglich ist, bleibt die enge Abstimmung oder der Schulterschluss mit den USA die bevorzugte Option. Idealerweise wird Europa mit den USA und anderen Partnern haltbare Kompromisse suchen, um Frieden und internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen und nachhaltige Antworten auf globale Herausforderungen zu finden. Je nach Konflikt- und Interessenkonstellation allerdings werden die EU und ihre Mitgliedstaaten eine Politik »sanfter« oder »robuster« wirtschaftlicher und diplomatischer Gegenmachtbildung (»soft« oder »hard balancing«) betreiben müssen, wo möglich abgestützt durch internationale Institutionen, wie etwa die WTO. Wo die USA funktionierenden multilateralen Regelwerken ihre Unterstützung entziehen oder sogar dagegen arbeiten, wie etwa in der Klimapolitik, wird Europa sich ihnen entgegenstellen und dazu im Zusammenwirken mit Gleichgesinnten Führung zeigen müssen.
Im Umgang mit China ist Europas größter Trumpf seine Handels- und Wirtschaftsmacht und potentiell seine Stärke als Währungsblock. Gegenüber Chinas Staatswirtschaft müsste Europa seine wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit an strategisch wichtigen Punkten unter Beweis stellen. Das verlangte zum Beispiel, dass die EU-Mitglieder eine einheitliche Linie bei der kontrollierten Öffnung für chinesische Direktinvestitionen verfolgen. Europäische Unternehmen sollten mit Hilfe von EU-Förderinstrumenten und der Bündelung gemeinsamer Investitionen auch in die Lage kommen, strategischen Investitionen Chinas und sinozentrischen geoökonomischen Großprojekten wie der Belt and Road Initiative (BRI) etwas entgegenzusetzen. Das gilt vor allem innerhalb der EU und in anderen Staaten Europas, in der europäischen Nachbarschaft und in Afrika. Doch die EU sollte China nicht nur durch die wirtschaftliche Brille betrachten, denn das Land verfolgt global eigene Ordnungsinteressen (siehe BRI), mit denen sich die Europäer auseinandersetzen müssen. Gegen die Gefahr, zum Spielball der sich abzeichnenden sino-amerikanische Rivalität zu werden, können sich die Europäer nur durch eine umfassende und kollektive außenpolitische Strategie wappnen.
Mehr strategische Autonomie für Europa ist im Verhältnis zu Russland besonders wichtig, zumal im Falle zunehmender Zweifel an der US-amerikanischen Sicherheitsgarantie für das Nato-Territorium. Moskau wird Europa dann als noch verwundbarer ansehen und könnte die Geschlossenheit des Bündnisses zum Beispiel im Baltikum testen. Gegenüber einem Russland, das in der unmittelbaren Nachbarschaft aggressiv und antagonisierend auftritt, sollte Europa mehr zur Gegenmachtbildung des Westens beitragen können. Dazu gehört die Stärkung eigener europäischer militärischer Fähigkeiten, aber auch der inneren politischen Resilienz gegen Spaltung der Mitgliedstaaten und ihrer Gesellschaften.
Bei der Gestaltung der internationalen Ordnung nach liberalen Grundsätzen sind weder China noch Russland Verbündete Europas.
Wenn es um die Gestaltung der internationalen Ordnung nach liberalen Grundsätzen geht, sind weder China noch Russland Verbündete Europas. Das schließt eine gezielte Kooperation in internationalen Organisationen und bei der Lösung spezifischer internationaler Konflikte nicht nur nicht aus, sondern verlangt diese in vielen Fällen. Die wirtschaftliche Verflechtung mit Mächten wie Russland und China bleibt richtig, auch wenn deren politische und geopolitische Ziele mit europäischen konfligieren. Interdependenz stellt für Europa schon aus historischer Erfahrung einen Wert und ein Interesse dar, unterfüttert Europas Wohlstand und Einfluss und dient tendenziell dem Erhalt internationaler Stabilität sowie friedlichen internationalen Beziehungen. Weder wirtschaftliche Macht noch Interdependenzbeziehungen setzen sich allerdings von selbst in Einfluss, Konfliktfähigkeit und Resilienz um. Sie verlangen vielmehr eine gemeinsame strategische Orientierung. Ein Test für die Autonomie und Konfliktfähigkeit Europas etwa ist, ob die EU-Staaten sich auf ein gemeinsames Vorgehen für den Umgang mit chinesischen strategischen Investitionen einigen können. Als Beispiel dienen könnte die Beteiligung chinesischer Firmen am Aufbau des europäischen 5G‑Netzes und anderer kritischer Infrastruktur.
Gleichzeitig ist Europa mehr denn je darauf angewiesen, Partner unter mittleren und aufstrebenden Mächten zu finden, mit denen es gemeinsam für eine regelgebundene und multilaterale Ordnung eintritt. Außerordentlich wichtig ist deshalb das ständige Engagement der Europäer und ihr kollektives oder zumindest abgestimmtes Auftreten in den VN und ihren Unterorganisationen, den internationalen Finanzinstitutionen und den G20/G7. Die Rolle der EU als Reform- und Führungsmotor wird gerade von gleichgesinnten Staaten geschätzt, etwa im Umgang mit Vorschlägen zur Reform der WTO und bei der Aufrechterhaltung von WTO-Prinzipien auch gegen die beiden anderen großen Handelsmächte USA und China.
Drittens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist möglich, weil die Europäer mit der EU im Prinzip schon über den geeignetsten Rahmen verfügen. Zum einen gilt das in normativ-politischer und institutionell-operativer Hinsicht, denn die EU basiert auf liberalen Werten und setzt sich für deren internationale Geltung ein. Angegriffen wird die Legitimität des EU-Systems derzeit vor allem dadurch, dass Regierungen und nationalistische oder »souveränistische« politische Kräfte in den Mitgliedstaaten gegen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Auf dem Weg zu mehr strategischer Autonomie ist dies eine Hypothek, denn die EU-Staaten benötigen untereinander mehr politisches Vertrauen und müssen demokratische und rechtsstaatliche Spielregeln akzeptieren, um zu mehr Effizienz und Handlungsstärke zu gelangen. Bei den Inhalten ringen die EU-Akteure um eine neue Balance zwischen Öffnung und Deregulierung einerseits, Schutz und Regulierung andererseits. Doch nur die EU bietet einen dauerhaften, institutionell verfassten Rahmen, der als Grundlage für strategische Autonomie jenseits von immer instabilen Ad-hoc-Koalitionen notwendig ist.
Zum anderen verbindet die EU die verschiedenen Politikbereiche, die für eine umfassende strategische Autonomie unverzichtbar sind. Als weltwirtschaftlicher Gravitationspol ist der Europäische Wirtschaftsraum mit dem Binnenmarkt als Integrationskern der EU eine veritable Machtressource Europas. Die EU bildet für die Mitgliedstaaten den Rahmen, um Europas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den aufstrebenden asiatischen Ländern zu verteidigen und zu erhalten. Wichtige Faktoren dafür sind ein leistungsfähiges Humankapital, eine anspruchsvolle Marktnachfrage, ein innovatives Umfeld, eine moderne Infrastruktur und die Fähigkeit, Regeln nicht nur in der EU, sondern auf Basis des Binnenmarkts global durchzusetzen.
Da die Grenzen zwischen internen Politiken und Außenbeziehungen schwinden, ist die EU auch deshalb ein geeigneter Rahmen, weil sie als einziger Staatenverbund weit und breit ein Zuständigkeitsprofil besitzt, das beinahe dem eines Staates entspricht, allerdings mit den wichtigen Ausnahmen, keine Entscheidungen über Krieg und Frieden und über eigene Steuern treffen zu können. Die größten Defizite und die wenigsten durchsetzungsfähigen Instrumente hat die EU trotz GSVP in der klassischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte werden auch langfristig die Mitgliedstaaten fällen, und die Nato wird eine herausragende Rolle bei der kollektiven Verteidigung spielen. Selbst wenn das so bleibt, befindet die EU sich in einer guten Ausgangsposition im Wettbewerb um eine umfassend verstandene strategische Autonomie. In einem tendenziell multipolaren internationalen System bildet sie schon heute einen Pol mit hoher, anderen vielfach auch überlegener Anziehungskraft.
Auf allen relevanten Feldern außer der Sicherheit wird die Verwirklichung strategischer Autonomie von Entscheidungen für mehr Integration abhängen.
Auf allen relevanten Feldern mit Ausnahme der Sicherheit wird die Verwirklichung strategischer Autonomie von Entscheidungen für mehr Integration abhängen, und zwar im Sinne von Souveränitätsübertragung, verstärkter Kooperation innerhalb von Führungsgruppen und nicht zuletzt von Mehrheitsentscheidungen. Durch bewusste Weichenstellungen könnte die EU die Europäische Außenpolitik auch auf dem Reformweg deutlich verbessern. Unterhalb von Vertragsänderungen eröffnet sich dafür eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel könnten Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik eingeführt werden. Denkbar ist auch, dass die EU-Staaten, möglichst zusammen mit Großbritannien, im VN-Sicherheitsrat geschlossen auftreten und so eine europäische Position sichtbar werden lassen. Eine weitere Option wäre, dass sich die Chefs im Europäischen Rat regelmäßig und unabhängig von Krisenzeiten mit Außen- und Sicherheitspolitik befassen und der nächsten Hohen Vertreterin mehr Spielräume und mehr Bedeutung geben. Ferner könnten Instrumente zur militärischen Zusammenarbeit wie PESCO und EU-Verteidigungsfonds auf einem wesentlich höheren Ambitionsniveau genutzt werden. Greifen diese Reformen ineinander, dann wäre damit zu rechnen, dass sich Gruppen von Staaten herausbilden, die ein höheres Maß an Einsatzwillen und ‑fähigkeit für Außen- und Sicherheitspolitik zeigen und die sich gegebenenfalls verfestigen. Eine andere Folge werden Abstufungen unter den Mitgliedstaaten sein, sei es weil gegen die großen Mitgliedstaaten in einem System qualifizierter Mehrheit keine Politik gemacht werden kann oder weil die Großen einen festen Sitz in einem noch zu etablierenden EU-Sicherheitsrat haben.
Allein mit Verfahren wie Mehrheitsabstimmungen zur Effizienzsteigerung wird es aber nicht getan sein. Es kommt vor allem darauf an, dass die Interessen und Präferenzen der EU-Mitgliedstaaten in entscheidenden Fragen stärker konvergieren, dass sich das tagtägliche Agieren an langfristigen Vorstellungen orientieren kann und dass die Fähigkeiten zu Planung und Aktivitäten sowie das Tempo dabei deutlich gesteigert werden. Die Mitgliedstaaten haben Formate und Strukturen auf EU-Ebene geschaffen, in denen das alles stattfinden könnte, nutzen sie aber nur halbherzig. Insofern kann man erste Überlegungen, oberhalb des Europäischen Rats ein Direktorium oder einen EU-Sicherheitsrat ins Leben zu rufen, entweder als Befreiungsschlag oder als Spaltpilz sehen. Dieser Sicherheitsrat könnte aus ständigen und rotierenden Mitgliedstaaten inklusive des Präsidenten des Europäischen Rats und der Ratspräsidentschaft bestehen. Ob die EU einen eigenen Sicherheitsrat schafft oder nicht – in jedem Fall müssen die Mitgliedstaaten Wege finden, um die vertikale Verzahnung der GASP mit dem gemeinschaftlichen Regelbetrieb der EU etwa bei Handels-, Wettbewerbs- oder Währungspolitik besser zu bewerkstelligen und damit ihr Potential auszuschöpfen, wie tendenziell bereits bei der Sanktionspolitik.
Viertens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist herausfordernd, weil sie gerade auf europäischer Ebene den Umgang mit vielen Zielkonflikten notwendig macht.
Die Achillesferse der strategischen Autonomie ist gegenwärtig die Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Die Achillesferse der strategischen Autonomie ist gegenwärtig die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In diesem Segment geben die Europäer der Nato den Vorrang vor der EU, was durch die Osterweiterung beider Organisationen noch verstärkt worden ist und nahezu uneingeschränkt für die kollektive Verteidigung gilt. Nach dem Brexit verfügen EU und Nato zwar weiterhin über 21 gemeinsame Mitgliedstaaten, aber mehr als 80 Prozent der Nato-Verteidigungsausgaben werden dann außerhalb der EU getätigt. Zwar sollte die Debatte über strategische Autonomie nicht auf die militärische Komponente und noch weniger auf die reinen Militärausgaben reduziert werden. Gleichwohl gilt auch: Ohne Verbesserung der militärischen Fähigkeiten und der Interoperabilität europäischer Streitkräfte wird ein substantielles Mehr an strategischer Autonomie nicht zu erreichen sein. Hinzu kommt das Misstrauen mittel- und osteuropäischer Staaten, das Streben nach strategischer Autonomie könne das Engagement der USA in Europa gefährden. Je mehr daher auch die Sicherheitspolitik in der EU vom Integrationsimpetus erfasst wird (siehe den neuen Verteidigungsfonds oder PESCO), desto größer ist der Bedarf an Abstimmung mit Nato-Beschlüssen im Hinblick auf Planungsziele, Standards und Verfahren. Eine besondere Herausforderung wird dann sein, wie Großbritannien nach dem Brexit in die Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingebunden werden kann, ohne gleichzeitig den Zusammenhalt in der EU zu gefährden.
Das heißt aber auch, dass die Europäer bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwar eine größere, aber auch begrenzte Autonomie anpeilen. Sie schließen eine nukleare Option für die EU aus. Der Schwerpunkt der EU liegt bei ausreichenden Fähigkeiten, um eigenständig (ohne die USA) auch anspruchsvolle Aufgaben des Krisenmanagements und der Beilegung bewaffneter Konflikte zu übernehmen. Mittelfristig wird die EU aber auch ihre Fähigkeiten zur Verteidigung des Territoriums und der Integrität ihrer Mitgliedstaaten ausbauen müssen. Gleiches gilt für Staaten, die keine Nato-Mitglieder sind, oder für Fälle hybrider oder terroristischer Angriffe, die keine unmittelbare Aktion der gesamten Allianz auslösen. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen müsste die EU dazu aber die militärischen Fähigkeiten sehr viel besser mit den zivilen abstimmen, Entscheidungen schneller fassen und Maßnahmen kohärent umsetzen. Auch bei den zivilen Kapazitäten gibt es gravierende Lücken, so bei der gemeinsamen strategischen Planung und der Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. Das erschwert oder vereitelt Konfliktprävention, Vermittlung, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammen-arbeit und Konfliktnachsorge sowie die Umsetzung von Sanktionen. Die EU-Akteure müssen auf Dauer mit Ziel- und Interessenkonflikten umgehen, weshalb das fortwährende Hinwirken auf mehr politisch-strategische Konvergenz und Handlungsfähigkeit so elementar ist.
Die EU ist ein wichtiger und zuverlässiger Akteur in der Rüstungskontrollpolitik. Sie sollte das im gegenwärtigen Klima neuer Aufrüstungsambitionen und auch angesichts des eigenen Strebens nach militärisch untermauerter Autonomie proaktiv sichtbar machen. Auf dieser Linie läge es, ihre 2003 verabschiedete Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu erneuern. Dazu könnte eine europäische Initiative für einen Nichtverbreitungsfonds gehören, der politisch motivierte Zahlungsausfälle von Großmächten ausgleicht. Als Teil einer auf größere Selbständigkeit ausgerichteten Politik kann Europa zudem seine ökonomische Macht einsetzen, um nichtverbreitungspolitische Ziele zu erreichen. Zum Beispiel könnte es darauf dringen, Handels- und Kooperationsabkommen ebenfalls wieder mit Nonproliferationsklauseln zu versehen. Weitaus kritischer ist jedoch, dass über die PESCO organisierte und über den EU-Verteidigungsfonds finanzierte Rüstungsvorhaben gemeinsame Rüstungsexportstandards erfordern. Deren politische Brisanz hat nicht zuletzt der Fall Saudi-Arabien gezeigt. Trotz Koordination haben gerade Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Zusammenhang mit Rüstungsexporten sehr unterschiedlich auf den Jemen-Krieg und die Ermordung eines saudischen Journalisten reagiert.
Der stärkste Trumpf für die strategische Autonomie der EU sind ihre wirtschaftliche Leistungskraft, eine über die EU-Grenzen hinaus durchsetzungsfähige Wettbewerbspolitik und technologische Innovationsfähigkeit. Die Union würde noch deutlich konfliktfähiger, wenn sie den Euro zu einer Reservewährung ausbaute. Um die Eurozone langfristig zu stabilisieren, ist es unverzichtbar, dass Berlin und Paris für die strittigen Reformvorhaben Kompromisslinien entwickeln, die für die gesamte EU akzeptabel sind. Es geht zum Beispiel um die Frage der gemeinsamen Haftung in der Bankenunion, die Einführung automatischer Stabilisatoren in der Eurozone und die Anpassung des exportlastigen deutschen Wirtschaftsmodells.
Über alle Politikbereiche hinweg fordert das Ziel strategische Autonomie zudem das Integrationsmodell der EU heraus. Was eng mit dem Binnenmarkt verflochtene Politikbereiche anbelangt, etwa Handelspolitik oder digitale Regulierung, kann und sollte die EU nur gemeinsam entscheiden. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei der internationalen Rolle des Euro, aber auch der militärischen Zusammenarbeit, wird die EU nur in Form von Gruppen williger Staaten ambitioniert voranschreiten können.
Fünftens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie ist für Deutschland brisant, weil Berlin vor Richtungsentscheidungen gestellt wird, die Änderungen seiner traditionellen europapolitischen Positionen erfordern werden. Weiterhin den bevorzugten Mittelweg einzuschlagen wird für Berlin immer schwieriger, schon angesichts der französischen Offerten für mehr Integration (in der WWU) und sicherheitspolitische Kooperation im exklusiven Kreis. Strategische Autonomie wirkt also nicht als Zauberwort, mit dem sich die traditionellen Unterschiede und Konflikte zwischen Paris und Berlin überbrücken oder gar lösen ließen. Würde strategische Autonomie als rein deutsch-französisches Projekt vorangetrieben, dürfte es den Zusammenhalt der EU eher gefährden als stärken. Deutschland hat kraft Lage, Geschichte und Interessen in der Mitte der EU seinen Platz und arbeitet darauf hin, die Schnittmengen unter der größtmöglichen Zahl von Mitgliedstaaten zu vergrößern. Dazu müsste sich Deutschland selbst bei Fragen wie der Vertiefung der WWU von der Randlage wieder stärker auf die Mitte zubewegen. Je besser deutsche Positionen für andere anschlussfähig sind, desto stärker kann Deutschland auch bestimmen, wo die Mitte inhaltlich liegt. Unter den Vorzeichen strategischer Autonomie und der Suche nach Gefolgschaft anderer EU-Staaten in außen- und sicherheitspolitischen Fragen müsste Deutschland zum Beispiel die Reform der WWU, die Handelsbilanzüberschüsse oder Projekte wie Nord Stream 2 (neu) bewerten.
Von Paris und Berlin werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen.
Von Paris und Berlin werden die entscheidenden Impulse ausgehen müssen, um die interne Führungsfähigkeit der EU sicherzustellen. Die beiden Länder bilden angesichts des britischen Austritts aus der EU und der aktuellen polnischen und italienischen EU-Politik das einzige politische Kraftzentrum der EU-27. Gerade weil strategische Autonomie aus unserer Sicht viel weiter geht als das Militärische, eignet sich das Ziel interne Führungsfähigkeit besonders für einen deutsch-französischen Ausgleich. Dies schließt eine ambitionierte Weiterentwicklung der internationalen Rolle des Euros und des Binnenmarkts ebenso ein wie die Zusammenarbeit bei militärischen Fähigkeiten und dem zivilen Krisenmanagement. Das wird beiden Ländern wie auch den anderen EU‑Staaten viel abverlangen.
Sechstens: Eine Entwicklung in Richtung mehr strategische Autonomie kann schon 2019/20 von deutschen und europäischen Entscheidungsträgern vorangebracht werden. Im politischen Kalender gibt es dafür einige Ansatzpunkte:
(1) Deutschland könnte seinen nichtständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat explizit europäisch interpretieren. Das heißt zum Beispiel, sich besonders in der Konfliktprävention zu engagieren und europäische Ressourcen zu mobilisieren.
(2) Der Brexit sollte, wann immer möglich und nicht integrationsschädlich, unter der Formel »EU plus Gleichgesinnte« ausgestaltet werden, damit die Europäer ihr volles Gewicht geltend machen können.
(3) Beim Treffen des Europäischen Rats in Sibiu im Mai 2019 sollten die 27 Mitgliedstaaten die Perspektiven eines strategisch autonomen Europas aufzeigen und die dafür notwendigen Schritte innerhalb des EU‑Rahmens, die Kosten und den erwarteten Nutzen sowie die Alternativen skizzieren. Es sollte auch klar kommuniziert werden, dass strategische Autonomie nicht auf eine militärische Dimension zu reduzieren sein wird.
(4) Die Wahlen zum Europäischen Parlament sind eine Chance, mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Selbstbehauptung Europas unter den Bedingungen der Interdependenz, der globalen Konnektivität sowie wachsender Verwundbarkeit zu sprechen, ebenso über die Aussichten auf mehr Wohlstand sowie bessere Umwelt und Lebenschancen. Aus Gründen der Legitimität ist die Öffnung der nationalen Debatten für diese Fragen besonders wichtig, wenn die Außen- und Sicherheitspolitik immer weniger Veto-Möglichkeiten und nationale Opt-outs gestattet. Die Neubesetzung der Spitzenpositionen in der EU 2019 sollte für eine inhaltliche Kursbestimmung genutzt werden, welche die hier diskutierten Aspekte der strategischen Autonomie aufgreift.
(5) Strategische Autonomie muss sich auf ausreichende Mittel stützen können, damit sich die Politikvorhaben auch verwirklichen lassen. Die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen sind eine Möglichkeit, die Ausgabenschwerpunkte und Kriterien für die Mittelvergabe auf die Anforderungen einer strategischen Autonomie hin abzustellen. Bislang gibt es nur kleinste Ansätze, die in diese Richtung gehen, wie den Verteidigungsfonds und einen moderaten Aufwuchs in der Rubrik Außenbeziehungen. Aber im Prinzip bleibt die völlig anachronistische Haushaltsstruktur bestehen, wozu auch Deutschland beiträgt.
(6) In Deutschland könnte eine öffentliche Debatte über strategische Autonomie an die parteien- und ressortübergreifende Diskussion über mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt anschließen.
Anhang
Abkürzungen
ASEAN Association of Southeast Asian Nations
BIP Bruttoinlandsprodukt
BRI Belt and Road Initiative
CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement
EAD Europäischer Auswärtiger Dienst
EG Europäische Gemeinschaft
EP Europäisches Parlament
EPG Europäische Politische Gemeinschaft
EPZ Europäische Politische Zusammenarbeit
EU Europäische Union
EU-SR Europäischer Sicherheitsrat
EUV EU-Vertrag
EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft
EZB Europäische Zentralbank
Fed Federal Reserve (USA)
G20 Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer
G7 Gruppe der Sieben (die sieben führenden westlichen Industriestaaten)
GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GSVP Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik
IFIs Internationale Finanzorganisationen
IS »Islamischer Staat«
ISS International Space Station
IWF Internationaler Währungsfonds
Nato North Atlantic Treaty Organization
OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
PESCO Permanent Structured Cooperation (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit)
PSK Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee
VN Vereinte Nationen
VN-SR VN-Sicherheitsrat
WTO World Trade Organization (Welthandelsorganisation)
WWU Wirtschafts- und Währungsunion
Die Autorinnen und Autoren*
* Redaktion
Dr. Barbara Lippert
Forschungsdirektorin
Dr. Nicolai von Ondarza
Leiter (a. i.) der Forschungsgruppe EU / Europa
Prof. Dr. Volker Perthes
Direktor
Mitwirkende
Dr. Steffen Angenendt
Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen
Dr. Muriel Asseburg
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika
Dr. Annegret Bendiek
Stellvertretende Leiterin (a. i.) der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Raphael Bossong
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Laura von Daniels
Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Amerika
Dr. Marcel Dickow
Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Susanne Dröge
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Dr. Felix Heiduk
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien
Dr. Hanns Günther Hilpert
Leiter der Forschungsgruppe Asien
Dr. Markus Kaim
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Ronja Kempin
Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Margarete Klein
Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien
Dr. Janis Kluge
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien
Dr. Sascha Lohmann
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika
Botschafter a. D. Dr. Eckhard Lübkemeier
Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Claudia Major
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Oliver Meier
Stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Marco Overhaus
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika
Dr. Stephan Roll
Leiter der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika
Dr. Bettina Rudloff
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Peter Rudolf
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika
Botschafter a. D. Dr. Volker Stanzel
Senior Distinguished Fellow in der Forschungsgruppe Asien
Dr. Paweł Tokarski
Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa
Dr. Judith Vorrath
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik
Dr. Gudrun Wacker
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Asien
Dr. Annette Weber
Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten und Afrika
Dr. Kirsten Westphal
Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen
Endnoten
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Die hier genannten Autorinnen und Autoren haben eigene Beiträge zum Text beigesteuert. Naturgemäß wird nicht jede einzelne Aussage von allen gleichermaßen mitgetragen.
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ISSN 1611-6372
doi: 10.18449/2019S02