Die jüngste Debatte über eine mögliche Verteidigungshilfe Deutschlands für die Ukraine ist von Relevanz, was die Bemühungen angeht, den gegenwärtigen Stillstand im Minsker Prozess wie im Normandie-Format zu überwinden und einer Lösung im Konflikt um den Donbas näherzukommen. Sie betrifft aber auch weitergehende Fragen zur Rolle der Bundesrepublik in Europa und ganz allgemein in der internationalen Sicherheitspolitik. Dabei geht es um die Fähigkeit Deutschlands, sich auf Situationen einzustellen, in denen andere Länder bereit sind, Konflikte militärisch zu lösen. In diesem Sinne passt die Diskussion auch zu den Überlegungen für eine stärker geopolitisch ausgerichtete EU. Der Bundesregierung bietet sich hier ein Weg, der gewaltsamen Veränderung bestehender Grenzen aktiver entgegenzutreten und so ihrem Engagement für die Sicherheit und Stabilität Europas mehr Nachdruck zu verleihen.
Für die politisch Verantwortlichen in Deutschland ist es immer wieder eine schwierige Entscheidung, ob Akteuren in Krisengebieten militärische Hilfe bereitgestellt werden sollte. Diese und ähnliche Fragen werden sich bei zukünftigen Konflikten wahrscheinlich noch dringlicher stellen, denn im In- und Ausland steigen die Erwartungen an die Bundesrepublik, auf internationaler Bühne eine stärkere Rolle zu übernehmen. Deshalb sollte die jüngste Debatte über militärische Unterstützung für die Ukraine nicht nur als Teil des aktuellen Wahlkampfs gesehen werden, sondern auch als Zeichen dafür, dass dieses Thema auf der politischen Tagesordnung bleiben wird. Der Fall Ukraine wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, die im Zusammenhang mit einer breiter angelegten Außenpolitik Deutschlands und seinem möglichen Beitrag zur europäischen Sicherheit stehen.
Deutschlands Ansatz zur Sicherheit der Ukraine
Bereits seit 2014 dauert der Krieg im Donbas an, den Russland und seine Stellvertreter auf der einen und die Ukraine auf der anderen Seite führen. In dieser Zeit hat Deutschland auf vielfältige Weise zur Sicherheit der Ukraine beigetragen. Der sichtbarste Beitrag ist die Beteiligung am Normandie-Format, in dem sich Berlin und Paris im Austausch mit Moskau und Kyjiw darum bemühen, Lösungen für den Konflikt auszuhandeln und voranzubringen. Ebenso leistet Deutschland wichtige Unterstützung im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe aus Ukraine, Russland und OSZE, die einen weiteren Bestandteil des Minsker Prozesses bildet und dafür zuständig ist, konkrete Maßnahmen zur Regulierung und Bewältigung des Konflikts zu vereinbaren. Darüber hinaus hat Deutschland schwer verwundete Soldaten der Ukraine medizinisch behandelt sowie die Special Monitoring Mission der OSZE im Donbas und in der ganzen Ukraine mit Personal unterstützt. Zudem hat Berlin finanzielle und andere Hilfe gewährt, um die Situation in jenen Teilen des Donbas zu verbessern, die noch unter ukrainischer Kontrolle sind.
Aus verschiedenen Gründen hielt die Bundesregierung jedoch daran fest, der Ukraine keine Verteidigungshilfe zu gewähren. Abgesehen von der pazifistischen Einstellung in Teilen der deutschen Politik und Gesellschaft geht es dabei vor allem um mögliche Negativfolgen für die Entwicklung des Konflikts. Maßgeblich ist die Sorge, es würde die Auseinandersetzung nur eskalieren lassen, sollten Waffen und andere militärische Ausrüstung in eine anhaltende Konfliktsituation geliefert werden. Die deutsche Politik hat den Schwerpunkt stets auf Deeskalation und das Bemühen um eine politische Lösung gelegt. Ihr Ansatz zielt darauf, vor allem über politische, wirtschaftliche und humanitäre Mechanismen auf die Lage einzuwirken, während die militärische Komponente weitgehend außen vor bleibt. Im Wesentlichen entspricht dies der Herangehensweise der EU, auch wenn einzelne Mitgliedstaaten, allen voran Litauen, auf bilateraler Basis militärische Unterstützung für die Ukraine geleistet haben. Jenseits der EU kommt die größte Militärhilfe von den USA; aber auch Großbritannien und Kanada sind in dieser Hinsicht aktiv. Sollte Deutschland sich diesen Ländern anschließen und die Ukraine im Bereich der Verteidigung unterstützen wollen, wäre es sinnvoll, sich mit den betreffenden Regierungen und mit Kyjiw darüber abzustimmen, welche konkreten Mittel am hilfreichsten wären. Doch ist diese Frage zweitrangig, solange ungeklärt bleibt, ob Deutschland überhaupt zu einer Unterstützung dieser Art bereit ist.
Die Rolle der Verteidigungshilfe
Erkenntnisse auf dem Gebiet der strategischen Analyse lassen darauf schließen, dass militärische Unterstützung auch der Deeskalation dienen kann. Wie Studien über Verhandlungen in Krisensituationen und über Abschreckung nahelegen, sind sichtbare Abschreckungskapazitäten das zuverlässigste Mittel, um einer bewussten Zuspitzung der Gewalt durch die Gegenseite vorzubeugen (denial-based deterrence). Dies bedeutet mit Blick auf die Konfliktbedingungen in der Ukraine, dass eine Verstärkung der militärischen Hilfen für das Land am ehesten zur Reduzierung bewaffneter Gewalt führen und friedliche Verhandlungen wahrscheinlicher machen wird.
Im außenpolitischen Instrumentarium Russlands stellt Krieg eine zulässige Alternative zu anderen Formen des Handelns dar. Anders gesagt, wird das russische Militär schlicht als eine der nationalen Ressourcen begriffen, mit der Gewünschtes erreicht werden kann. Je nachdem, was in einer bestimmten Situation am kosteneffektivsten ist, wählt Russland – wie viele andere Staaten auch – zwischen Instrumenten der Überzeugung (Handel und Diplomatie) und denen des Zwangs (Militär).
Im Fall der Ukraine wechselte Russland 2014 zum militärischen Instrument, weil es Kyjiw auf diese Weise dazu bringen wollte, die eigenen Vorstellungen von der Region zu akzeptieren. Denn Moskau war überzeugt, dass dieses Mittel mehr Wirkung entfalten würde als diplomatisches Verhandeln. Im März und April 2021 verstärkte Russland seine Militärpräsenz in der Nähe der ukrainischen Grenze und auf der Krim – ein Zeichen dafür, dass der Kreml seine Sicht auf den Konflikt nicht verändert hat. Wenn mit diesem Instrument jedoch weniger erreicht wird als erwartet, während die eingesetzten militärischen Ressourcen schneller geschwächt werden, könnte das die russische Führung vielleicht zum Umdenken bringen und veranlassen, zu friedlichen Verhandlungen zurückzukehren. Eine Möglichkeit, das militärische Instrument Russlands weniger wirksam und attraktiv werden zu lassen, ist die Stärkung des ukrainischen Militärs. Dieser Ansatz scheint vor allem deshalb gangbar, weil nichts im bisherigen außen- und sicherheitspolitischen Verhalten der Moskauer Führung darauf hinweist, dass sie eine großangelegte Invasion der Ukraine in Erwägung zieht.
Eine durch zusätzliche Verteidigungshilfe gestärkte Ukraine könnte der russischen Seite aus der Defensive heraus erhebliche Kosten abverlangen, aber keine Offensivoperation gewinnen. Dafür reichen die Fähigkeiten der Ukraine nicht aus. Sie könnte kaum mehr als 60 000 bis 80 000 Soldaten in den Donbas schicken, und selbst dies nur unter der Gefahr, ihre Verteidigung in anderen Gebieten zu schwächen, unter anderem an der Grenze zu Belarus. Dagegen kann es sich Russland leisten, eine etwa doppelt so große Streitmacht an seinen Grenzen zur Ukraine aufmarschieren zu lassen. Das machte die erwähnte Truppenverlegung in diesem Frühjahr deutlich, als Russland – neben den bereits im Donbas stationierten Streitkräften – über 100 000 Soldaten in Richtung des Nachbarlandes entsandte. Dabei ist schon berücksichtigt, dass Russland spezifischen Einschränkungen unterliegt, die mit der Struktur seiner Streitkräfte zusammenhängen und ebenso mit der Notwendigkeit, die umfangreichen Grenzen des Landes zu schützen.
Mangels Erfolgsaussichten hat die Ukraine somit keinerlei Anreiz, eine militärische Offensive gegen Russland zu starten. Wie sich im August 2014 zeigte, ist sie in der Lage, den russischen Stellvertretern im Donbas eine Niederlage beizubringen. Allerdings wird die ukrainische Armee wohl auf einen Angriff dort verzichten, denn Kyjiw ist bewusst, dass Russland jederzeit eingreifen könnte – wie es auch 2014 geschah, als es sein Militär über die Grenze schickte und die vorrückenden ukrainischen Truppen besiegte. Sowohl der russisch-georgische Krieg von 2008 als auch die eigenen Erfahrungen im Donbas lassen den politisch Verantwortlichen der Ukraine wenig Zweifel, dass Moskau auf versuchte Angriffe gegen seine Stellvertreter mit militärischer Gewalt reagieren wird.
Andererseits könnte eine militärisch stärkere Ukraine darauf Einfluss nehmen, welchen Anreiz die russische Seite für eine bewaffnete Eskalation im Donbas hat. Mit moderner westlicher Ausrüstung, Logistik und Ausbildung würde Kyjiw die Kostenrechnung für das russische Militär erheblich verändern. Es ist erwiesen, dass eine technisch und zahlenmäßig unterlegene Streitkraft zur Herausforderung für die Gegenseite werden kann, wenn sie das moderne System der Kriegführung geschickt nutzt. Würde dieses System mit westlicher Ausrüstung kombiniert, könnten die ukrainischen Streitkräfte den sie angreifenden Truppen größeren Schaden zufügen und deren militärische Fähigkeiten schneller schwächen. Das sollte zumindest zu tragfähigeren Waffenstillständen führen. So wurde im Sommer 2020 eine der am längsten haltenden Waffenruhen für die Ostukraine vereinbart – kurz zuvor hatten die USA der Ukraine den Einsatz der von ihnen gelieferten Panzerabwehrraketen vom Typ Javelin unter der Bedingung erlaubt, sie nur zur Verteidigung gegen Angriffe im Donbas zu nutzen.
Auf einer zweiten Ebene wirkt sich Verteidigungshilfe dahingehend aus, dass eine besser gerüstete Ukraine bei russischen Angriffen weit geringere Verluste erleiden würde, wodurch der Nutzen dieser Angriffe abnähme. Beispielsweise hätte mit den Erste-Hilfe-Sets und anderen medizinischen Versorgungsgütern, die die Ukraine 2014 von Deutschland für sein Militär erbeten, aber nicht erhalten hat, die Todesrate von fast 40 Prozent der Verwundeten erheblich gesenkt werden können. Damit wäre auf ukrainischer Seite eine höhere Verteidigungsfähigkeit bewahrt worden. Ebenso dürfte eine verbesserte individuelle Schutzausrüstung für Soldaten, wie Schutzwesten und Kevlar-Gefechtshelme, vielen ukrainischen Kämpfern das Leben retten, was das Kosten-Nutzen-Verhältnis russischer Militäroperationen wiederum verschlechtern würde. Auch sichere Funkausrüstungen, verbesserte Aufklärungsausstattung und Nachtsichtgeräte – Posten, um die Kyjiw ebenfalls schon gebeten hat –, könnten die militärischen Fähigkeiten des Landes erhöhen und seine Personalverluste reduzieren.
Einige der Vorfälle mit den höchsten ukrainischen Todeszahlen betrafen den Beschuss durch Artillerie und Scharfschützen. Würde das ukrainische Militär mit Ausrüstung zur Überwachung und Zielerfassung beliefert und so seine Fähigkeit zum Gegenfeuer verbessert, könnte sich die Situation drastisch ändern. Diese und andere Arten der Verteidigungshilfe hätten die doppelte Wirkung, die ukrainischen Verluste zu verringern und die Kosten für das russische Militär zu erhöhen, das mehr Munition verbrauchen und mehr an Ausrüstung verlieren würde. Der kontinuierlich erforderliche Nachschub in den letzten sieben Jahren war nicht billig für Russland. Sollte der entsprechende Bedarf weiter steigen, während die russischen Angriffe den ukrainischen Truppen weniger Schaden zufügen, würde die militärische Eskalation für Moskau immer teurer und brächte immer weniger Vorteile.
Eine größere Chance für die Diplomatie
Die Steigerung der ukrainischen Verteidigungsfähigkeiten würde nicht nur die Verluste des Landes mindern, sondern auch seine Entschlossenheit stärken und ein klares Signal an Russland senden. Dies könnte entscheidend dazu beitragen, eine weitere Zuspitzung der Lage zu verhindern und den Konflikt von seiner jetzigen Phase der Gewalt zu diplomatischen Verhandlungen zu führen. Denn eine höhere Verteidigungsfähigkeit der Ukraine würde sich nicht nur darauf auswirken, wie Russland die Bereitschaft Kyjiws zum weiteren Kampf wahrnimmt, sondern auch auf seine Erwartungen über die Dauer des Konflikts und die dabei zu erzielenden Vorteile. Erhielte die Ukraine Verteidigungshilfe, müsste Moskau tendenziell die Annahme in Frage stellen, das Nachbarland neige zum Aufgeben und werde Russlands Bedingungen in Bezug auf den Donbas akzeptieren. Sollte der russischen Führung die Unbeugsamkeit der Ukraine bewusst werden, dürfte sie ihre Erwartungen anpassen und weniger auf eine Kapitulation des Landes setzen. Das könnte sich maßgeblich auf die Verhandlungen zur Konfliktlösung auswirken – und zwar in dem Sinne, dass Russland sich ernsthaft zu Gesprächen bereitfände.
Durch Verteidigungshilfe für Kyjiw würde Deutschland, zusammen mit den anderen hier bereits aktiven Staaten, also Russlands Willen zur Eskalation dämpfen. Solange Moskau die Ukraine für schwach und unentschlossen hält, bleibt der Anreiz erhalten, durch Angriffe und Scharmützel gegen deren Truppen weiter Druck auszuüben und auf einen Zermürbungseffekt zu setzen. Legt man Informationen über frühere Beeinflussungsoperationen Moskaus gegen die Ukraine zugrunde, so dürften die russischen Militärplaner bewusst eine Vorgehensweise gewählt haben, die zu ständigen Nachrichten über Kriegsopfer, zu wachsender Kriegsmüdigkeit der ukrainischen Bevölkerung und steigendem politischen Druck auf die Regierung in Kyjiw führt. Da Russland die Ukraine als angreifbar betrachtet, bricht es permanent die Waffenruhe und instrumentalisiert die entsprechenden Auswirkungen, um den Widerstandswillen der Menschen im Nachbarland zu unterminieren.
Ein aktiveres Engagement Deutschlands käme nicht nur dem Friedensprozess zugute und würde bewaffnete Eskalationen für Russland verteuern. Es würde sich auch darauf auswirken, wie Moskau die Chancen der Ukraine wahrnimmt, sich die Unterstützung wichtiger Akteure in der EU zu sichern. Dies wiederum würde Berlin eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Moskau verschaffen. Derzeit bestimmt weitgehend Russland die Verhandlungen und deren Tagesordnung. Die Schuld dafür, die Minsker Vereinbarungen nicht einzuhalten, wälzt der Kreml dabei auf seine Stellvertreter im Donbas ab, was es leichter macht, die eigenen Vertragsbrüche fortzusetzen.
Übernähme Deutschland – neben den anderen westlichen Staaten – eine bedeutende Rolle dabei, die ukrainische Verteidigung zu konsolidieren, könnte es seine Verhandlungsmacht gegenüber Moskau stärken. Denn Berlin wäre in der Lage, direkten Einfluss auf russische Interessen und Aktivitäten in einer Region zu nehmen, die für Moskau hohe geopolitische Bedeutung hat. Durch Verteidigungshilfe zugunsten der Ukraine würde sich Deutschland nach und nach einen breiteren Rahmen für einen Kompromiss mit Russland verschaffen. In diesem Rahmen könnte später eine Anpassung der Unterstützung zugestanden, die Hilfe jedoch auf einem Niveau gehalten werden, das für eine effektive Abschreckungsfähigkeit der Ukraine ausreicht. Damit würde ein Verhandlungsprozess über den Donbas befördert, der bewaffneten Eskalationen vorbeugt. Könnte die deutsche Seite vor Ort Einfluss ausüben, wäre Moskau gezwungen, den Dialog mit Berlin zu suchen – nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch in der Sicherheitspolitik.
Wenn Deutschland eine friedensstiftende Rolle im Donbas spielen will, muss es Russlands Kalkül durchkreuzen, die Ukraine könnte durch militärische Zermürbung ihrer Verteidigungsfähigkeiten gezwungen werden, sich zu unterwerfen. Ansonsten wird sich der Konflikt vermutlich noch über Jahrzehnte hinziehen, Tausende weiterer Todesopfer fordern und ein steigendes Risiko militärischer Eskalation mit sich bringen. Denn die Ukraine will auf keinen Fall ein Satellitenstaat Russlands werden. Parallel zu einer Strategie der Verteidigungshilfe könnte Deutschland zum Friedensprozess beitragen, indem es Verhandlungen mit der russischen Seite führt, die ihr eine Möglichkeit zum »ehrenhaften Rückzug« aus dem Donbas eröffnen. Doch solange die Kosten für Russlands militärische Aktivitäten nicht erheblich steigen, scheint eine friedliche Lösung für den dortigen Krieg eher unwahrscheinlich. Verändern lässt sich die russische Kostenrechnung nur in einem allmählichen Prozess, der eine kontinuierliche internationale Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte erfordert.
Erkenntnisse für die deutsche Außenpolitik
Mit der Bereitschaft, militärische Unterstützung für die Ukraine zu leisten, würde Deutschland mehrere Probleme gleichzeitig angehen. Dadurch ließe sich proaktiv auf den derzeitigen Stillstand im Minsker Prozess reagieren, bei dem sich Russland trotz verschiedener Vorschläge der Ukraine, wie man einer Lösung näherkommen könnte, sehr unflexibel zeigt. In einer Situation, in der die Ukraine und andere Akteure immer größere Hoffnungen auf die US-Regierung setzen, wäre es ein wichtiges Signal an Moskau und an Deutschlands Verbündete, dass Berlin weiterhin bereit ist, einen Teil der europäischen Verantwortung für die Bewältigung des Konflikts im Donbas zu tragen. Sollten die USA ihr Engagement verstärken, könnten Deutschland und andere europäische Akteure weniger Einfluss auf den Prozess in der Ukraine nehmen.
Deutsche Unterstützung für die Ukraine wäre zudem ein Zeichen in Richtung Moskau, dass Berlin nicht gewillt ist, die langfristige Sicherheit Europas gegen kurzfristige wirtschaftliche Vorteile einzutauschen. Derzeit scheinen einige russische Amtsträger vom Gegenteil auszugehen – dass nämlich Deutschland und andere EU-Länder auf Dauer nicht bereit wären, ihre ökonomischen Interessen zu gefährden. Diese Wahrnehmung bestärkt Russlands Sicherheitspolitik im Ausland. Und schließlich würde sich Deutschland durch Verteidigungshilfe für die Ukraine solidarisch mit jenen EU- und Nato-Mitgliedstaaten zeigen, die entsprechende Unterstützung bereits leisten.
Mit einer solchen Hilfe würde Berlin auch nicht gegen Verpflichtungen unter internationalen Abkommen verstoßen. Nach dem Vertrag über den Waffenhandel von 2013, dem Deutschland beigetreten ist, gelten keine Einschränkungen bei militärischer Unterstützung für die Ukraine. Genauer gesagt, sind Waffenexporte dorthin vom UN-Sicherheitsrat nicht untersagt worden, und es gibt keine Hinweise darauf, dass an Kyjiw gelieferte Rüstungsgüter für Zwecke eingesetzt werden sollen, die gegen das Völkerrecht verstoßen. Tatsächlich hat die Ukraine nach Artikel 51 der UN-Charta das Recht, Waffen zur Selbstverteidigung einzusetzen – und es gibt reichlich Belege dafür, dass Russland seine regulären Streitkräfte direkt sowie mittels Stellvertretern vor Ort zu Angriffen gegen die Ukraine nutzt.
Allgemeiner gesagt, wäre militärische Unterstützung für die Ukraine ein Signal für einen strategischeren Ansatz zur europäischen Sicherheit. Deutschland könnte auf diese Weise seine Bereitschaft zeigen, das eigene Instrumentarium für den Einsatz im internationalen Umfeld zu erweitern. Es wäre eine effektive Antwort auf eine Situation, in der andere Akteure – in diesem Fall Moskau – nach militärischen Lösungen streben. Zudem würde dadurch eine politische Lösung des Konflikts wahrscheinlicher, weil Moskau vermutlich eher bereit wäre, sich auf ernsthafte und konkrete Verhandlungen einzulassen. Und schließlich wäre es auch eine deutliche Reaktion auf den jüngsten Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze und auf der Krim, von denen bisher nur ein Teil wieder abgezogen wurde. Dieser Aufmarsch ist ein klares Zeichen, dass Russland sich weiterhin auf militärische Instrumente stützen will, um schwächere Akteure einzuschüchtern und zu zwingen, seinen Willen zu akzeptieren. Diese Vorgehensweise Moskaus hat bereits dazu geführt, dass in Europa de facto neue Grenzen gezogen wurden. Bekäme die Ukraine Verteidigungshilfe und würde so der Anreiz für Russland verringert, sein Militär einzusetzen, würden nicht nur die Chancen für eine nachhaltige Deeskalation steigen. Es wäre auch ein weiteres konkretes Signal, dass Deutschland es nicht hinnimmt, wenn Grenzen in Europa gewaltsam verändert werden und sich kleinere Staaten mit weniger Ressourcen größeren und militärisch mächtigeren unterordnen sollen.
Dr. Dumitru Minzarari ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.
Dr. Susan Stewart ist Leiterin (a.i.) der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien.
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ISSN (Online) 2747-5018
doi: 10.18449/2021A54
Übersetzt von Ina Goertz
(Deutsche Version von SWP Comment 42/2021)